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BDEW-Geschäftsführerin Kerstin Andreae

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BDEW-Geschäftsführerin Kerstin Andreae: „Die Wirtschaft darf sich jetzt nicht spalten lassen“

Grünes Konjunkturpaket oder Aufweichung der Klimavorgaben? Ein Gespräch mit BDEW-Geschäftsführerin über klimafreundliche Investitionen und Kohle-Entschädigungen.

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Frau Andreae, Sie sind seit einem halben Jahr BDEW-Hauptgeschäftsführerin – als grüne Politikerin. Der BDEW galt lange als Fürsprecher der Atom- und Kohlelobby. Funktioniert das für eine Grüne?
Die Energiebranche insgesamt hat sich auf den Weg gemacht, den Weg in eine neue Energiewelt zu gehen und sich von den fossilen Energieträgern zu verabschieden. Deshalb hatte ich in den vergangenen sechs Monaten an keiner Stelle das Gefühl, dass es da Unstimmigkeiten gibt. Ich bin gerne da, wo ich bin.

Die Energiewirtschaft ist kritische Infrastruktur. Ist die Versorgung in Zeiten von Corona sicher?
In jedem Fall. Wasser-, Strom- und Gasversorgung sind auch jetzt sicher. Die Bedingungen sind natürlich erschwert. Ein Beispiel: Entstörungsdienste müssen in Haushalte, brauchen zum Beispiel zum Teil Schutzkleidung. Mich hat beeindruckt, wie schnell Versorger ihre Pandemie-Pläne angepasst und eingesetzt haben. Auch im BDEW haben wir einen Krisenstab eingesetzt, der direkt bei mir angesiedelt ist.

Wir haben eine regelmäßige Telefonkonferenz mit unseren Mitgliedern eingerichtet, deren Rückmeldungen wir bündeln und auf dieser Basis dann wöchentlich das Bundeswirtschaftsministerium über die Lage in der Branche informieren.  Engen Austausch gibt es auch mit dem Bundesumwelt- und dem Bundesinnenministerium. Auch mit den europäischen Verbänden sind wir im engen Kontakt Alle ziehen an einem Strang.

Kommen BDEW-Mitgliedsunternehmen finanziell durch Corona in die Bredouille?
Der Strom- und Gasverbrauch geht zurück, dass hinterlässt Spuren. Gravierende Probleme sehen wir zum Beispiel bei einzelnen Energieversorgern, wenn ein sehr großer Energiekunde aus der Industrie den Verbrauch drastisch drosselt. Der staatliche Schutzschirm schließt in Teilen Hilfe für kommunale Unternehmen aus. Das muss sich ändern. Hierzu stehen wir schon im Austausch mit der Bundesregierung.

Sprechen sie mit der Regierung auch schon über Konjunkturhilfen für die Energiebranche?
Wir sind alle noch im akuten Krisenmodus. Aber allmählich würde ich mir wünschen, dass auch gesehen wird, was nötig ist, damit die Energiewirtschaft dabei helfen kann, stark aus der Krise herauszukommen.

Dann machen Sie doch Vorschläge! Wir haben bislang in dieser Hinsicht wenig vom BDEW gehört.
Die dringlichsten Maßnahmen liegen doch schon seit Monaten auf dem Tisch.  Investitionshemmnisse abbauen, das ist das Wichtigste. Der Photovoltaik-Deckel, der den Ausbau auf insgesamt 52 Gigawatt Leistung in Deutschland begrenzt, muss endlich wie im Koalitionsvertrag versprochen weg. Für die Windkraft müssen die Probleme bei den Genehmigungs- und Planungsverfahren angegangen werden. Es darf keine neuen pauschalen Abstandsregeln geben. Für die Windkraft auf hoher See muss das Ausbauziel erhöht werden. Das sind die wichtigsten Hebel, um Investitionen zu mobilisieren, während und nach der Krise: Der Ausbau der erneuerbaren Energien muss wieder an Fahrt gewinnen.

Die Branche hat Aufträge, sie kann schnell Jobs schaffen, sie steht in den Startlöchern – aber man hindert sie leider daran. Wir brauchen den Zubau der erneuerbaren Energien auch für den grünen Wasserstoff, den wir für die Dekarbonisierung der Industrie benötigen.

Viele sehen vor allem bei der Union im Bundestag die Verantwortung für die verfahrene Situation. Sie auch?
Ich bin eigentlich neutrale Beobachterin. PV-Deckel und Windkraft-Abstand wurden gemeinsam auf den Altar gelegt. Und eine Einigung ist schwierig, die Situation ist verfahren. Ich hoffe, dass es da in den Regierungsfraktionen Bewegung gibt – auch und vielleicht sogar besonders bei der Union.

Treibt die AfD die CDU vor sich her, insbesondere im Osten?
Die AfD hat es sich zum politischen Geschäftsmodell gemacht, Ängste zu schüren. Inzwischen gibt es eine regelrechte Strategie der AfD, in Bürgerversammlungen Stimmung gegen die Windkraft zu machen. Die Sorge der CDU ist, dass diese Strategie verfängt. Ich werbe dafür, die Gegenkampagne zu fahren: zeigen, welche positiven Effekte wir haben durch die Windkraft, auch für die lokale Wirtschaft. Da würde es übrigens helfen, wenn es eine kluge kommunale Beteiligung gäbe – die Politik kann das noch stärker unterstützen.

Jetzt haben Sie über Barrieren gesprochen, die aus Ihrer Sicht wegmüssen. Hätten Sie auch konkrete Vorschläge für weitere Elemente eines grünen Konjunkturprogramms?
Wir werden hierzu in Kürze ein erstes Papier vorlegen und aufzeigen, was unser Beitrag zur wirtschaftlichen Erholung sein kann. Es ist wichtig, dass Konjunkturstimuli gegeben werden. Allerdings müssen sie in einen nachhaltigen Transformationspfad fließen. Es ergibt keinen Sinn, das Wirtschaften von vorgestern zu subventionieren. Ich zähle dabei auch auf ein starkes Signal durch den europäischen Green Deal.

Sollte die EEG-Umlage stärker gesenkt werden als bislang vorgesehen?
Man sollte die geplante höhere CO2-Abgabe mit einer deutlicheren Senkung der EEG-Umlage verbinden als noch im vergangenen Herbst geplant. Die spürbare Senkung der Steuer- und Abgabenlast auf den Strompreis wäre ein wichtiger Impuls.  Wir fordern seit langem, die Stromsteuer drastisch zu senken und die EEG-Ausnahmen für die Industrie über den Bundeshaushalt zu finanzieren. Das würde Verbraucher und Industrie entlasten.

Der DIHK hat vorgeschlagen, zu prüfen, ob die Einführung des nationalen CO2-Preises für die Industrie verschoben werden kann. Der Wirtschaftsrat der CDU will insgesamt den Klimaschutz aufweichen. Sind sie nicht schon mitten in einem Abwehrkampf?
Statt die Verschiebung wichtiger Klimaschutz-Instrumente wie der CO2-Bepreisung im Verkehrs- und Wärmesektor zu fordern, sollten in Konjunkturprogrammen Investitionen in Klimaschutztechnologien eine wichtige Rolle spielen. Meine große Bitte ist, dass sich die Wirtschaft jetzt nicht spaltet oder spalten lässt. Auch wenn jetzt viele unter Druck geraten: Beim Klimaschutz das Rad zurückzudrehen ist überhaupt keine Lösung.

Ist der Kohlekompromiss noch zeitgemäß? Kohlekraftwerke sind am Markt massiv unter Druck, die Coronakrise verschärft das noch – sie bekommen trotzdem Milliarden Euro an Entschädigungen.

Niemand fordert ein goldenes Ende für die Kraftwerke– sondern, dass die Betreiber Mittel bekommen, auf CO2-neutrale Erzeugung umzustellen. Dazu gehört zum Beispiel der Bonus für die Umstellung von Kohle auf Gas. Es geht darum, Möglichkeiten für die Zukunft zu öffnen.

Am Markt wäre ausreichend Kapital für Investitionen in erneuerbare Energien vorhanden, das muss nicht von Kohlekonzernen kommen, die ihr Geld in überkommenden Strukturen vergraben haben. Ist die BDEW-Position glaubwürdig, wenn sie sich zum Verfechter der grünen Transformation aufschwingen, aber noch Kohlemilliarden sichern wollen?

Es geht um die Wahrung rechtstaatlicher Grundsätze, einen erfolgreichen Kohleausstieg, die Wahrung der Versorgungssicherheit und darum, die Unternehmen und deren Eigner nicht in finanzielle Schieflagen zu bringen. Die Entschädigungen fließen doch auch dafür, dass unter anderem die Stadtwerke vor zehn oder 15 Jahren von der Politik dazu aufgerufen wurden, diese Investitionen in Kohlekraftwerke zu tätigen und diese noch nicht abgeschrieben sind. Eine entschädigungslose Stilllegung wäre nicht nur rechtlich problematisch, sie wäre auch politisch unredlich.

Schafft Deutschland durch Corona sein Klimaziel 2020 von 40 Prozent weniger Emissionen im Vergleich zu 1990?
Ja, das ist sehr wahrscheinlich. Das können wir aber nicht als Indiz dafür nehmen, dass wir insgesamt und über alle Branchen hinweg auf einem guten Weg sind. Dazu brauchen wir den bereits angesprochenen Strukturwandel. Konjunkturprogramme infolge der Corona-Krise müssen so ausgestaltet werden, dass sie auch einen Beitrag zu einer nachhaltigeren Wirtschaft leisten.

Ein weiteres Ziel sind die 65 Prozent Anteil erneuerbarer Energien am Stromverbrauch im Jahr 2030. Die Bundesregierung rechnet bis dahin mit einem sinkenden Energieverbrauch. Ist das realistisch?
Mich wundert, dass die Bundesregierung von einem sinkenden Stromverbrauch ausgeht. Wir wollen in Deutschland die Elektromobilität massiv ausbauen und auf zehn Millionen Fahrzeuge bis 2030 kommen. Wir wollen im Wärmemarkt mehr Strom einsetzen, wir brauchen grünen Wasserstoff aus erneuerbaren Energien für die Dekarbonisierung der Industrie. Wir als BDEW gehen deshalb von einem Anstieg des Strombedarfs aus.

Die Wasserstoffstrategie wird derzeit viel diskutiert. Was wäre der beste Weg? Wir haben gehört, dass es eine BDEW-Arbeitsgruppe dazu gibt, in der es hoch hergeht.
Es schadet nicht, wenn intensiv diskutiert wird. Die Wasserstoffwirtschaft kann und wird einen großen Beitrag zur CO2-armen Wirtschaft leisten. Sie ist insbesondere für die Industrie unabdingbar. Für uns entscheidend ist, dass Wasserstoff nutzungsoffen in den Markt kommt. Auch im Wärmemarkt kann Wasserstoff eine wichtige Rolle spielen. Da sind wir auf der Seite des Wirtschaftsministeriums und müssen im Umweltministerium noch Überzeugungsarbeit leisten. Ende des Monats ist die Veröffentlichung unserer Roadmap Grünes Gas zu erwarten – da buchstabieren wir aus, für welche Rahmenbedingungen wir werben.

Blauer Wasserstoff spielt eine größere Rolle?
Davon gehe ich aus. Ich befürchte, dass wir alleine mit grünem Gas, womöglich auch noch nur aus Deutschland, die enormen Bedarfe nicht zeitnah werden decken können. Das Problem bei blauem Wasserstoff ist CCS, also die Abscheidung und Verpressung von CO2. Ich plädiere für eine ruhige und faktenorientierte Debatte.

Braucht es für Wasserstoff ein WWG, ein neues EEG?
Wenn wir Mitte des Jahrzehnts den marktgetriebenen Hochlauf nicht erreichen, dann werden wir in der Tat über eine systematische staatliche Förderung reden müssen.  Dann könnte eine Quotenlösung  ins Spiel kommen.

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