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Rasantes Wachstum. Der Schienenverkehr wird zunehmend gefragter, sagt Huber. Auch wegen der vollen Straßen.

© Paul Zinken/dpa

Bahnvorstand Huber im Interview: "Wir können im Fernverkehr doppelt so viele Fahrgäste schaffen"

Bahnvorstand Berthold Huber sieht den größten Staatskonzern trotz der Probleme mit Verspätungen auf dem richtigen Weg.

Herr Huber, Als Vorstand der Bahn für den Personenverkehr sollen Sie für pünktliche, saubere und sichere Züge, guten Service, faire Fahrpreise und ein transparentes Tarifsystem sorgen. In allen Punkten gibt es Kritik am DB-Angebot, teils seit Jahren. Zu Recht?

Berechtigte Kritik ist willkommen und hilft uns, das Angebot weiter zu verbessern. Unfaire Kritik ärgert mich. Natürlich müssen wir in vielen Punkten deutlich besser werden. Das gilt besonders für die Pünktlichkeit. Wir sollten jedoch unser Bahnsystem nicht schlechter reden  als es ist. Noch wichtiger als ein Zehntel Prozentpunkt mehr oder weniger bei der Pünktlichkeit unserer Züge ist doch, dass der Kunde mit seiner Fahrt zufrieden ist und wir die Bahn als nachhaltigstes Verkehrsmittel gemeinsam weiter nach vorne bringen.

Welche Kritik ärgert Sie?

Zum Beispiel die Aussage, dass vor allem wegen vieler Billigtickets die Fahrgastzahlen wachsen und deshalb der Konzern weniger Gewinn mache. Tatsache ist, dass wir 2018 im Schnitt die Erlöse pro Personenkilometer steigern konnten. Und Tatsache ist auch, dass der Fernverkehr den Umsatz um rund 300 Millionen Euro erhöht und zudem das beste Ergebnis der DB-Geschichte erzielt hat. Das zeigt schon ein kurzer Blick in unseren Geschäftsbericht.

Im internen Strategiekonzept „Agenda für eine bessere Bahn“ werden massive Kapazitätsprobleme beim Netz, Fahrzeugen und Personal beklagt. Wie konnte es angesichts so vieler gut bezahlter Manager und Berater und so vieler Zukunftskonzepte soweit kommen? 

Man sollte nicht vergessen, dass die Bahn auch andere Zeiten erlebt hat. Die Kapazitätsengpässe in der Infrastruktur entstehen auch ganz maßgeblich durch den stark gewachsenen Regionalverkehr in den großen Knoten, der durch erfreulich höhere öffentliche Zuschüsse möglich wurde. Damit war um die Jahrtausendwende nicht unbedingt zu rechnen. Da hat die Schiene eher Fahrgäste verloren, deshalb wurde auch mit Blick auf den damals geplanten Börsengang manche Entscheidung verschoben. Hinterher ist man immer schlauer. Wichtig ist, dass wir auf die Entwicklung reagiert haben und mit den Möglichkeiten der Digitalisierung deutliche Kapazitätszuwächse realisieren können.

Bahnchef Richard Lutz hat Verkehrsminister Andreas Scheuer rasche Besserungen mit einem Fünf-Punkte-Plan zugesagt. Wie ist der Zwischenstand?

Wir sind da gut unterwegs und haben das größte Investitionsprogramm der DB-Geschichte auf den Weg gebracht. Rund 200 neue Züge für fast sieben Milliarden Euro sind bestellt, wir modernisieren die Infrastruktur und stellen in diesem Jahr mehr als 20.000 neue Mitarbeiter ein. Damit wollen wir unsere Angebotsqualität in den nächsten Jahren weiter deutlich verbessern.

Bis 2030 soll sich die Zahl der Fahrgäste auf der Schiene verdoppeln. So sieht es der Koalitionsvertrag der Bundesregierung vor. Doch schon jetzt sind Verkehrssysteme und Bahnknoten in großen Städten oft überlastet, ärgern sich Bahnkunden über Verspätungen und Zugausfälle. Ist das Ziel der Verdoppelung nicht eine Illusion?

Es ist richtig, für den Schienenverkehr solch ehrgeizige politische Ziele zu setzen. Bis 2030 soll der Deutschlandtakt kommen, also bundesweit mehr Anschlüsse, regelmäßige Abfahrtzeiten und kürzeres Umsteigen. Dafür sind hohe Investitionen in die Infrastruktur und sehr große Anstrengungen nötig. Wenn das konsequent umgesetzt wird und der politische Wille da ist, können wir im Fernverkehr doppelt so viele Fahrgäste schaffen. Der Markt gibt das her, der Bedarf an umweltschonender Mobilität nimmt beständig zu.

Was bedeutet das konkret?

Wenn die notwendigen Rahmenbedingungen realisiert sind, könnten wir dann 280 Millionen Fahrgäste im Fernverkehr befördern. Mit unserer Zugflotte und den 200 Neubestellungen, die bis 2024 kommen und unsere Kapazität massiv erhöhen werden, sind die ersten Voraussetzungen bereits geschaffen. Dafür müssen alle an einem Strang ziehen. Schon jetzt wächst der Schienenverkehr deutlich schneller als der Luft- und Fernbusverkehr. In vielen Städten und auch zwischen den Ballungsräumen kommt man mit dem Auto kaum noch voran, daran werden auch autonome und elektrische Fahrzeuge wenig ändern. Diese Chance für die Bahn müssen wir nutzen, schon im Interesse des Klimaschutzes.

Was muss dafür passieren?

Der politische Wille zum Umsteuern ist da, das ist das Wichtigste. Nötig sind klare Ziele, ausreichende Finanzierung und Geduld, auch die Transformationsschmerzen auszuhalten, die entstehen, wenn Straßenverkehr reduziert und Schienenwege ausgebaut werden. Das ist eine gewaltige Aufgabe, und es wird sicher nicht ganz ohne Einschränkungen gehen.

Ist eine Verdoppelung der Fahrgastzahlen im Nahverkehr überhaupt möglich?

Die Herausforderung ist hier noch größer. Die Infrastruktur in den Städten ist schon jetzt in Spitzenzeiten hoch ausgelastet. In Metropolen kann man, bis auf einige Ausnahmen, allenfalls noch unterirdisch neue Verkehrswege bauen, was extrem aufwändig ist. In München stellen wir uns dieser Herausforderung bei der zweiten Stammstrecke durch die Stadt. Ein wesentlicher Schlüssel ist hier die Digitalisierung der Infrastruktur, um in deutlich dichterer Taktfolge fahren zu können. Das werden wir beispielsweise in Stuttgart realisieren. Viel gewonnen wäre schon, wenn wir es schaffen, auch in den Nebenverkehrszeiten mehr Autofahrer zum Umsteigen zu bewegen. Da haben wir nämlich immer noch Platz in den Zügen.

Muss die Bahn nicht deutlich günstiger werden, um mehr Menschen zum Umsteigen in den Zug zu bewegen?

Wir haben bereits attraktive Preise und ein Tarifsystem, das jedem das passende Angebot bietet. Im Fernverkehr gibt es Tickets schon ab 19,90 Euro zum Supersparpreis mit Zugbindung, mit der Bahncard erhalten Kunden hohe Rabatte. Und wer flexibel reisen will, bucht eine Fahrkarte zum Flexpreis. Gleichzeitig erwartet unser Eigentümer zu Recht, dass wir wirtschaftlich arbeiten, um auch zukünftig die notwendigen Investitionen für unsere Kunden finanzieren zu können.

Andreas Scheuer (CSU), Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur, erwägt eine Mehrwertsteuersenkung für Fernverkehrstickets.
Andreas Scheuer (CSU), Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur, erwägt eine Mehrwertsteuersenkung für Fernverkehrstickets.

© Michael Kappeler/dpa

Wie finden Sie die Pläne einer Mehrwertsteuersenkung für Fernverkehrstickets?

Ich begrüße das ausdrücklich: Eine Senkung der Mehrwertsteuer würde die anvisierte Verkehrs- und damit die Klimawende weiter voranbringen. Wir könnten dadurch rund fünf Millionen zusätzliche Fahrgäste pro Jahr gewinnen. Davon würden etwa drei Viertel von der Straße auf die Schiene umsteigen.

Der Bahnbeauftragte der Regierung, Enak Ferlemann, hat vor einiger Zeit aber höhere Bahnpreise gefordert. Was sagen Sie dazu?

Ich bin mir mit Herrn Ferlemann völlig einig, dass es nicht die Regel sein kann, für 19 Euro quer durch Deutschland zu reisen. Deshalb macht dieses Angebot auch nur zwei Prozent des gesamten Fernverkehrsumsatzes aus. Für unsere Preisgestaltung sind vor allem die Kontingente von Spartickets entscheidend, die wir frei gestalten können, je nachdem, wie Strecken und Züge ausgelastet sind. Mit günstigen Tickets und Zugbindung kriegen wir Fahrgäste eher dazu, lieber einen späteren Zug zu nutzen als den schon vollen ICE zur Spitzenzeit.

Werden zum nächsten Fahrplanwechsel im Dezember die Fahrpreise wieder erhöht?

Darüber reden und entscheiden wir grundsätzlich im Herbst.

Der Umsatz im Fernverkehr soll laut der vertraulichen Mittelfristplanung der DB-Spitze bis 2023 deutlich zulegen, der Gewinn sogar von 418 auf 737 Millionen Euro steigen. Geht das ohne deutlich höhere Preise?

Zumindest haben wir schon mehrfach gezeigt, was mit einer verbesserten Steuerung der Preise möglich ist, als wir beispielsweise in den Jahren 2010, 2014 und 2015 auf Erhöhungen verzichtet haben. Entscheidend ist, dass wir unsere durchschnittliche Auslastung weiter erhöhen, die 2018 im Fernverkehr auf erfreuliche 56 Prozent gestiegen ist. Und durch geschickte Preissteuerung sorgen wir für bessere Verteilung. So ist die sogenannte Steherquote von Fahrgästen, die keinen Sitzplatz finden, im vergangenen Jahr gesunken. Und wir müssen auch noch seltener Fahrgäste aus überfüllten Zügen heraus bitten, die sonst nicht abfahren können

Das Gespräch führte Thomas Wüpper.

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