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Michael Fohrer ist seit Ende 2016 Vorsitzender der Geschäftsführung der Bombardier Transportation und seit November 2019 Präsident des Bahnindustrie-Verbands.

© imago images/Reiner Zensen

Bahnindustrie-Präsident im Gespräch: „Züge sind heute ein Wohlfühlpaket“

Bombardier-Chef und Bahnindustrie-Präsident Michael Fohrer über die Bedeutung der Schiene für den Klimaschutz und die Übernahme von Bombardier durch Alstom.

Die Investitionspläne für den Schienenverkehr wirken wie ein langfristiges Konjunkturprogramm für die deutsche Bahnindustrie. „Der Trend zur Mobilität auf der Schiene wird unsere Auftragsbücher in den kommenden zehn bis 15 Jahren füllen“, sagte der Präsident des Verbands der Bahnindustrie in Deutschland (VDB), Michael Fohrer, im Gespräch mit dem Tagesspiegel. Das Problem mit den Überkapazitäten in der europäischen Branche – Experten gehen von bis zu 30 Prozent aus – relativiere sich deshalb. „Der Planungshorizont der Bahnindustrie für einzelne Projekte ist fünf Jahre. Wir brauchen die vorhandenen Kapazitäten für die aktuellen Aufträge“, sagte Fohrer.

Die Bundesregierung hatte sowohl die Finanzausstattung der staatseigenen Deutschen Bahn (DB) als auch die der Aufgabenträger und Kommunen für den Regionalverkehr massiv aufgestockt. Nun muss das Geld verbaut und investiert werden. „Bis Mai werden wir im Zukunftsbündnis Schiene zusammen mit der Politik einen Plan für den Rollout der anstehenden Investitionen verabschieden“, kündigte Fohrer an. „Das ist eine Rekordzeit angesichts des Volumens von mehr als 80 Milliarden Euro bis 2030.“

Im vergangenen Geschäftsjahr waren die Investitionen noch nicht angekommen und es hatte kaum Wachstum gegeben beim Bau von Gleisen, Signaltechnik und Weichen. Der Industrieverband setzt auf die Zukunft. „Die Industrie wächst beim Auftragseingang um drei bis vier Prozent“, sagte Fohrer. „Die Chancen für uns sind riesig.“

Bei Ausschreibungen sollte mehr auf Innovationen geachtet werden

Der VDB-Präsident, der auch Chef von Bombardier Transportation ist, warnte davor, Innovationschancen bei den Ausschreibungen zu gefährden. „Was wir brauchen, ist eine kreative, innovationsfreundliche Vergabe- und Zulassungskultur“, sagte er. Wenn zu 90 Prozent der Anschaffungspreis entscheide, „weiß ich, wer gewinnt“, sagte er mit Blick auf die Billigkonkurrenz aus China. „Wir müssen deutlicher sagen: Die innovative Technik, alternative Antriebe, die Multisystem-Lok und anderes sind da, holt sie Euch.“ Dazu brauche sowohl die Industrie als auch die Bahn und andere Verkehrsanbieter eine Imagekampagne. „Züge sind heute Erlebniswelten, sie sind ein Wohlfühlpaket.“

Im Wettbewerb mit asiatischen Herstellern, insbesondere dem Weltmarktführer CRRC aus China, appellierte Fohrer an die Politik, für faire Wettbewerbsbedingungen und Spielregeln zu sorgen, „damit die starke Bahnindustrie ,Made in Europe’ erhalten bleibt". Am Know-how und Nachwuchs mangele es jedenfalls nicht, aktuell profitiere die Schienenbranche von der Schwäche der Automobilhersteller. „Wir gewinnen viele gute, topausgebildete Leute, Ingenieure, Facharbeiter“, sagte Fohrer. „Wir sind die Guten.“ Die Autoindustrie steckt in einer Transformation vom Verbrennungsmotor zum Elektroantrieb und hat wegen des Dieselbetrugs viel Vertrauen verloren. Aufgabe seiner Branche sei es nun, „den Auftragsboom in der Wertschöpfungskette abzubilden, ohne dass die Qualität leidet“, sagte Fohrer.

Hier hat aber vor allem Fohrers Arbeitgeber Bombardier massive Probleme. Der vor der Übernahme durch Alstom stehende Zughersteller reagiert auf die Beschwerden von Kunden, die die mangelhafte Qualität von Bombardier-Züge beklagen. „Wir haben uns bereits zu einem ersten Spitzengespräch getroffen, um zu zeigen, was wir schon getan haben und noch tun werden, um unsere Qualität zu verbessern", sagte Fohrer.

Bombardier-Kunden beklagen Qualitätsmängel

In einem Brandbrief hatten große Branchenverbände kürzlich um ein solches Gespräch gebeten. „Weitere Treffen werden in den nächsten drei Monaten folgen“, versicherte Fohrer. Die Schienenverkehrsunternehmen werfen Bombardier gravierende technische Mängel an neuen Zügen sowie Lieferprobleme vor.

Das Verkehrsunternehmen Abellio, Tochter der niederländischen Staatsbahn, musste sich zum Beispiel Züge bei Wettbewerbern ausleihen, weil Bombardier nicht rechtzeitig Regionalzüge vom Typ Talent 2 für den Einsatz im Neckartal liefern konnte. Die Deutsche Bahn (DB) stoppte die Abnahme von IC-Zügen aus Bombardier-Fertigung wegen technischer Mängel bei der Software.

„Ja, wir hatten wegen der Transformation von Bombardier Transportation in Deutschland Probleme mit der pünktlichen Lieferung der Züge“, räumte Fohrer mit Blick auf den Abellio-Auftrag ein. „Aber die, die bereits fahren, fahren gut und zuverlässig.“ Der doppelstöckige IC2 für die Bahn „arbeitet derzeit nicht mit der von der DB und Bombardier selbst erwarteten Zuverlässigkeit“, sagte Fohrer weiter. Es werde derzeit eine neue Software getestet, „und wir haben mit der DB das gemeinsame Ziel, die finale Zulassung bis zum Sommer 2020 zu erhalten“, kündigte der Chef der Bombardier Transportation an.

Zu den Erfolgschancen der Übernahme – Alstom bietet bis zu 6,2 Milliarden Euro für die Zugsparte des kanadischen Bombardier-Konzerns – äußerte sich Fohrer nicht. Von Branchenexperten werden die Aussichten positiver eingeschätzt als das von der EU im vergangenen Jahr gestoppte Joint-Venture Siemens-Alstom. Bombardier hat kaum Signaltechnik im Produktportfolio und ist im Hochgeschwindigkeitsbereich nur als Partner von Siemens aktiv.

Betriebsräte warnen vor Stellenabbau bei Bombardier

Problematisch sind indes die Überschneidungen bei Regionalzügen und Stadtbahnen (U- und S-Bahnen sowie Straßenbahnen). Vermutlich müssen Kapazitäten in diesem Bereich abgegeben werden, weil Alstom-Bombardier andernfalls zu dominant wäre auf dem Regionalmarkt. Als Käufer kämen die Schweizer Stadler oder die spanische CAF in Betracht. Beide Unternehmen sind auf Wachstumskurs und haben in jüngster Zeit ihre Kapazitäten ausgebaut. Der Regionalmarkt ist auch aufgrund des Trends zur Urbanisierung in Deutschland und Europa der stärkste Markt für die Schienenfahrzeugindustrie.

Ob und gegebenenfalls welche deutschen Standorte durch eine Fusion gefährdet wären, ist derzeit schwer absehbar. Alstom hat in Salzgitter, wo auch Wasserstoffloks gebaut werden, sein größtes deutsches Werk und beschäftigt hierzulande rund 2500 Mitarbeiter. Bei Bombardier sind es mit knapp 8000 Beschäftigten deutlich mehr. Darunter sind gut 1000 Ingenieure in Hennigsdorf, dem Entwicklungsstandort von Bombardier, der nach der Übernahme durch Alstom in dem Umfang wohl nicht mehr gebraucht würde.

Das mehr als 170 Jahre alte Wagenkästen-Werk in Görlitz, das im Verbund mit Bombardier-Standorten in Tschechien und Polen kooperiert, gilt als Industriemuseum, während das Straßenbahnwerk in Bautzen hochmodern ist. In Bautzen hat Bombardier in den vergangenen Jahren rund 40 Millionen Euro investiert.

In einen offenen Brief an die Bundesminister für Verkehr und Wirtschaft, an den Chef des Bundeskanzleramtes und den Schienenverkehr-Beauftragten der Bundesregierung haben inzwischen die Betriebsratsvorsitzenden aller deutschen Werke von Bombardier und Alstom vor einem Abbau von Arbeitsplätzen gewarnt. Die französische Regierung pflege die Sicherung von Standorten und Arbeitsplätzen durchzusetzen. Das erwarte man auch von der Bundesregierung. „Wir werden nicht hinnehmen, dass eine Übernahme zu Lasten deutscher Standorte und Arbeitsplätze beider Unternehmen geht“, schreiben IG-Metall-Vertreter und Betriebsräte aus neun Betrieben.

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