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Für die Bahnkunden ist es eine gute Nachricht, dass die Tarifpartner auf dem Weg der Einigung sind.

© dpa

Bahn-Konflikt vor der Lösung: Weselsky auf Friedenskurs

Lokführerchef Claus Weselsky und Bahn-Vorstand Martin Seiler tüfteln an einem neuen Tarifvertrag. Die Konkurrenzgewerkschaft EVG ist auch dabei.

Nach vielen Monaten Tamtam und drei Streiks hat sich eine erstaunliche Stille über den Tarifkonflikt bei der Bahn gelegt. Claus Weselsky, Vorsitzender der Lokführergewerkschaft GDL, ist seit einer Woche nicht mehr aufgefallen mit Attacken auf die „Nieten in Nadelstreifen“ im Bahn-Tower am Potsdamer Platz. Und die letzte Verlautbarung von Personalvorstand Martin Seiler liegt auch schon einige Tage zurück. Die Herren verhandeln seit Mitte vergangener Woche und kommen sich offenbar täglich näher. An diesem Donnerstag könnten sie einen neuen Tarifvertrag vorlegen, heißt es in Gewerkschaftskreisen. Ein erneuter Arbeitskampf ist jedenfalls sehr unwahrscheinlich.

Ein Vertrag über hunderte Seiten

Qualitativ und quantitativ ist das Tarifgeschäft im Staatskonzern aufwändig und anspruchsvoll. Die letzten mit der GDL abgeschlossenen Tarife umfassen mehrere hundert Seiten. Und dieses Mal ist es besonders schwierig, weil die GDL-Mitglieder insgesamt neun Tage gestreikt haben; mit jedem Streiktag steigen die Erwartungen der Streikenden. Die Bahn kann jedoch nicht einfach mit mehr Geld den Konflikt beilegen, nachdem sie im vergangenen Jahr mit der Eisenbahnverkehrsgewerkschaft EVG aufgrund der Pandemiebelastung ein „Bündnis für die Bahn“ geschmiedet hat: 2021 bekommen die EVG-Mitglieder im Konzern, insgesamt zählt die Gewerkschaft 180 000 Mitglieder, keine Tariferhöhung. Erst Anfang 2022 gibt es 1,5 Prozent.

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EVG als Trittbrettfahrer?

Wenn die Bahn nun zwischenzeitlich mit der GDL eine höhere Zahlung vereinbart, muss sie den Tarif mit der EVG nachbessern. Das wäre teuer und ginge zulasten des Images der EVG, die von Weselsky als „Hausgewerkschaft“ der Konzernführung verspottet wird und dann als „Trittbrettfahrerin“ vom Arbeitskampf der Lokführer profitieren würde. Die GDL hat gut 37 000 Mitglieder, aber nach eigenen Angaben in den vergangenen zwölf Monaten 3000 zusätzlich gewinnen können.

Zwischen GDL und EVG laviert Personalchef Seiler, wie an seinem bisherigen Angebot abzulesen ist. Er will – ebenso wie im EVG-Tarif – der  GDL 1,5 Prozent zum 1.1.2022 zahlen und dann weitere 1,7 Prozent zum 1.3.2023. Der zweite Termin kommt dadurch zustande, dass der EVG-Tarifvertrag im Februar 2023 ausläuft. In einem neuen Tarif könnte Seiler dann auch der EVG die 1,7 Prozent ab März zahlen. So weit, so plausibel. Doch Weselsky kann sich nach dem Arbeitskampf nicht auf eine Nullrunde für 2021 einlassen. Das weiß auch Seiler. „Neben der geforderten Lohnerhöhung von 3,2 Prozent und einer Corona-Prämie für 2021 bietet die DB eine zusätzliche Entgeltkomponente an“, ließ er am vergangenen Sonnabend mitteilen. Seitdem wird unter anderem über die „Entgeltkomponente“ verhandelt und über die Höhe der Coronaprämie, die nach letztem Stand zwischen 400 und 600 Euro liegen könnte – je nach Einkommenshöhe.

Schlichtungsempfehlung von Platzeck

An dieser Stelle bietet sich ein Blick in die Schlichtungsempfehlung von Matthias Platzeck an, die der frühere Brandenburger Ministerpräsident im November vorgelegt hatte. Die GDL lehnte damals die Platzeck-Vorschläge ab und rief neun Monate später ihre Mitglieder drei Mal zum Streik auf. Mit Folgen für Weselsky: Er muss deutlich über Platzeck abschließen, sonst steht er nackt vor den eigenen Leuten. Die Schlichtungsempfehlung aber lag mit 600 bis 800 Euro Coronaprämie sogar über der Forderung Weselskys – in diesem Punkt kann er sich also nicht verbessern.

Bei der linearen Entgelterhöhung orientierte sich Platzeck am EVG-Abschluss und empfahl 1,5 Prozent zum 1.1.2022. Davon wird sich Seiler kaum abbringen lassen, weshalb er die „zusätzliche Entgeltkomponente“ auf den Verhandlungstisch gebracht hat. Wie die Ende aussieht, ist ganz wichtig für Weselsky.

Ältere sollen weniger arbeiten dürfen

Bei der umstrittenen Altersvorsorge wird es für den GDL-Chef schwierig, mehr als Platzeck zu erreichen. Denn der Schlichter regte nach der Kündigung des Zusatzversorgungs-Tarifvertrags durch die Bahn eine Erhöhung des Arbeitgeberbeitrags zur betrieblichen Altersvorsorge von 3,3 auf 3,7 Prozent an. Damit kann die GDL leben. Beim Thema Arbeitszeit wird es dann sehr kleinteilig, weil beide Seiten „eine Vielzahl von Forderungen erhoben bzw. Themen eingebracht haben“, wie Platzeck schreibt. Konkret wird er bei der Reduzierung der Jahresarbeitszeit zur Entlastung Älterer (über 59 Jahre) in Schichtarbeit. Sie „können ihr regelmäßiges Jahresarbeitszeit-Soll auf 81 Prozent der Referenzarbeitszeit reduzieren“, empfiehlt der Schlichter. Beim Thema Arbeits- und Ruhezeiten wird Weselsky versuchen zu punkten. Und vor allem bei der Tarifbindung: Platzecks Empfehlung betrifft nur die Tarifverträge für die traditionellen GDL-Mitgliedschaft, also Lokführer, Lokrangierführer, Zugbegleiter, Bordgastronomen und Zug-Disponenten.

Weg mit der Tarifeinheit

Weselsky beansprucht die Gültigkeit „seiner“ Tarifverträge auch für GDL-Mitarbeiter in der Verwaltung oder in den Bahnhöfen. Hier spielt das umstrittene Tarifeinheitsgesetz rein, das die Bahn in diesem Jahr erstmals anwenden will und das die größere Gewerkschaft in den Betrieben privilegiert, in denen mehrere Gewerkschaften Tarifverträge für identische Beschäftigtengruppen abschließen. Die EVG ist viel größer als die GDL. Doch Seiler hat angedeutet, das berüchtigte Tarifeinheitsgesetz wieder in der Schublade verschwinden zu lassen. Der Personalchef hätte wieder Frieden im Haus und Weselsky könnte für sich beanspruchen, den Untergang der kleinen GDL im Kampf verhindert zu haben.

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