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Weniger Verkehr? Carsharing soll die Städte entlasten, ist aber nur in wenigen Metropolen profitabel machbar.

© Getty Images

Autos zum Teilen: Corona stellt Carsharing auf die Probe

Sinkende Nutzerzahlen, Kostendruck und Investitionsstau – die Anbieter stellen ihre Expansionsziele wegen akuter Unsicherheit zurück. In der Krise haben die Kunden ihr Verhalten geändert. Das könnte neue Geschäftschancen für Autos zum Ausleihen bieten.

Die Coronakrise ist für Mobilitätsdienstleister zur Bewährungsprobe geworden. Auch das betriebswirtschaftlich ohnehin prekäre stationsungebundene Carsharing hatte zeitweise mit massiv gesunkenen Nutzerzahlen zu kämpfen, weil die Kunden Angst vor Infektionen haben. Gleichzeitig stiegen die Kosten, weil Fahrzeuge kostenpflichtig geparkt waren, gereinigt und desinfiziert werden mussten oder medizinischem Personal kostenfrei zur Verfügung gestellt wurden.

Die Anbieter sind jetzt zum Handeln gezwungen: Die VW-Tochter We Share kündigte vergangene Woche an, ihre Expansion in weitere Städte neben Berlin auf das kommende Jahr zu verschieben. Der Vermieter Sixt berichtete vom „schlechtesten Quartal in der Unternehmensgeschichte“. Share-Now, das Gemeinschaftsunternehmen von BMW und Daimler, hatte schon vor Ausbruch der Pandemie seine Wachstumsziele gekappt und seinen Rückzug aus Nordamerika, London, Brüssel und Florenz verkündet.

Niemand weiß derzeit, wie nachhaltig Corona das Geschäftsmodell beschädigt hat. Vorerst gilt: Weil vor allem die Kerngeschäfte der Konzerne (Autoproduktion, Vermietung) coronabedingt eingebrochen sind, fehlen die finanziellen Ressourcen, um die Mobility Services zu skalieren und neue Märkte zu erschließen. BMW, Daimler und Volkswagen sind vordringlich mit dem Hochlauf ihrer Produktion und der Wiederbelebung des Vertriebs beschäftigt.

Außerdem ist die Sorge groß, dass es zu einer zweiten Covid-19-Welle kommt: „Wir haben ein sehr hohes Maß an Planungsunsicherheit“, sagte We-Share-Geschäftsführer Philipp Reth. „Wenn wir noch mal in harte Lockdown-Szenarien reinrutschen sollten, dann würde das erneut einen ganz erheblichen Einfluss auf das Mobilitätsverhalten in Ballungsräumen haben.“ Ähnlich äußerte sich Sixt. We Share wollte ursprünglich 2020 in sieben weitere Städte in Deutschland und Europa gehen (Hamburg, München, Budapest, Prag, Madrid, Paris und Mailand). 

Neue Preismodelle statt Expansion 

„Verlierer der Coronakrise sind eindeutig Bus und Bahn, Sieger sind der private Pkw und das Fahrrad“, sagt Wulf Stolle, Partner beim Beratungsunternehmen Kearney. „Das Carsharing liegt dazwischen.“ Das Rennen ist hier also noch offen. Weil sich viele Menschen in einem Auto sicherer als im ÖPNV fühlen, haben die Hersteller noch die Chance, „ihre eigenen Assets effektiver zu nutzen“, wie ein We-Share-Sprecher sagte.

Konkret heißt das: Statt munter weiter in rote Zahlen hinein zu wachsen, werden im Carsharing „Produktthemen“ bearbeitet. So kündigte We Share an, in Kürze mit einem neuen Abo-Preismodell für längere Mietzeiten auf den Markt zu kommen. Share Now hat Preis-Pakete bereits im Angebot. Gelernt hat man in der Krise, dass die verbliebenen und langsam zurückkehrenden Kunden die Fahrzeuge für einen längeren Zeitraum mieten. 

„Die Grenzen zur klassischen Vermietung verwischen“, heißt es bei der VW-Tochter. Da passt es ins Bild, dass Volkswagen Berichten zufolge daran interessiert ist, den führenden europäischen Autovermieter Europcar zu übernehmen. Die Niedersachsen hatten Europcar 2006 für 3,3 Milliarden Euro an den französischen Finanzinvestor Eurazeo verkauft. Nun halten Branchenkenner es für möglich, dass Volkswagen das dichte Netz an Europcar-Vermietstationen bei seinen Plänen nutzen will, zu einem Mobilitätsanbieter zu werden.

Carsharing als Datensammelplattform

Doch bleibt fraglich, ob der Umbau oder die Erweiterung des Geschäftsmodells den Weg in die Profitabilität ebnet. „Es gibt grundsätzliche Zweifel an der ökonomischen Sinnhaftigkeit des Businessmodells von stationsungebundenem Carsharing“, sagt Wulf Stolle. In einzelnen Städten wie Berlin sei ein Angebot durchaus profitabel möglich, in der Summe aber wohl nicht. „Die Hersteller sollten nicht ihr Heil darin sehen.“

Es sei denn, sie verfolgen gar keine unmittelbaren finanziellen Ziele. So zeigen Studien, dass die Sharingmodelle auch als Datensammelstellen, Marketing- oder Kundenbindungsplattformen Sinn ergeben, wenn damit mehr Autos – vor allem Elektromodelle – verkauft werden. „Carsharing senkt die Kontaktschwelle und ist quasi ein subventioniertes Testfahrtenprogramm“, sagt Berater Stolle. Das belegt auch eine aktuelle Studie der Universität Hohenheim in Kooperation mit der Surrey Business School in Großbritannien und der EBS Universität für Wirtschaft und Recht in Wiesbaden: Carsharing kann zu einer breiteren Akzeptanz von Elektrofahrzeugen führen.

In eine ähnliche Richtung geht eine kürzlich veröffentlichte Studie des ZEW Mannheim. So würden E-Autos im Carsharing im Vergleich zu Verbrennern seltener gemietet, weil die Nutzer Angst vor einer zu geringen Reichweite hätten. Gleichzeitig biete sich den Anbietern aber die Chance, potenziellen Kunden, die nicht gleich ein Elektroauto kaufen müssten, die Vorzüge des elektrischen Antriebs zu demonstrieren: „Es ist wichtig, dass politische Entscheidungsträger, Autohersteller und Carsharing-Anbieter die Sorge der Autofahrerinnen und Autofahrer entkräften“, so Studienautor Martin Kesternich vom ZEW.

Anbieter sehen sich als Krisengewinner

Die Anbieter sprechen sich derweil selber Mut zu und sehen sich sogar als Krisengewinner. „Die Auslastungswerte liegen über den Werten von vor der Coronakrise“, sagte We-Share-Geschäftsführer Reth. In Berlin habe man mehr als 70.000 registrierte Kunden für die 1500 rein-elektrischen VW Golf, ergänzt der Sprecher. Dreiviertel von ihnen haben wenigstens einmal gebucht, die Hälfte fährt jeden Monat. „Die Zeit der stürmischen Registrierung ist vorbei, dafür steigt das Aktivitätsniveau.“

Sixt berichtete, die Carsharing-Flotte in Deutschland sei seit Beginn der Corona-Krise um mehr als 1000 Fahrzeuge aufgestockt worden. Sixt Share ist seit Kurzem auch in drei niederländischen Städten verfügbar, erstmals auch mit einer komplett elektrischen Flotte.
Ungewiss bleibt indes die Zukunft des Joint-Ventures Share-Now von BMW und Daimler. Wenn Beobachter auch keine direkten Rückschlüsse auf das Geschäft daraus ziehen, dass die beiden Autobauer ihre Kooperation beim autonomen Fahren diese Woche gekündigt haben. Die Fliehkräfte zerren dennoch an der Liaison von BMW und Daimler. Die angekündigte Suche nach einem externen Investor für die Sharing-Sparte blieb bis heute erfolglos.
 

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