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Großer Bedarf. Noch immer gibt es viel zu wenige Ladesäulen für Elektroautos.

© imago/photothek

Autopräsidentin Müller im Interview: „Ich sorge mich um die Arbeitsplätze“

Hildegard Müller, Präsidentin des Autoverbandes VDA, über die Absatzkrise, saubere Verbrenner und das Konjunkturpaket.

Frau Müller, legen Sie Geld in Aktien an?

Unter anderem.

Haben Sie Tesla im Depot?
Als gute Anlegerin spreche ich nicht über Details meines Depots.

Die Tesla-Aktie ist diese Woche erstmals über 1000 Dollar gestiegen.
Es ist immer die Frage, ob Kursentwicklungen eher kapitalmarktgetrieben sind oder bestimmte Geschäftsmodelle abbilden. Aber Glückwunsch an Tesla.

Der Newcomer ist an der Börse mehr wert als VW, Daimler und BMW zusammen.
Konkurrenz belebt das Geschäft. Wettbewerb hat die deutsche Automobilindustrie international erfolgreich gemacht. Deshalb begrüße ich es, dass Tesla nach Deutschland kommt und in Brandenburg Autos produzieren möchte.

Aktienkurse bilden vor allem Zukunftserwartungen ab.
Manch einer behauptet, die deutsche Automobilindustrie sei nicht zukunftsfähig. Die Fakten sehen anders aus: Die Investitionen in neue Antriebe und Digitalisierung sind enorm und in dem Ausmaß weltweit einzigartig. International wird unsere Automobilindustrie ganz vorn gesehen. Hierzulande werden die Erfolge dieser Industrie von manchen Kritikern eher kleingeredet.

Der Anteil von Elektroautos und Plug-in- Hybriden liegt bei 7,6 Prozent.
Das ist die Zahl für die ersten fünf Monate – und nahezu eine Verdreifachung gegenüber dem Vorjahreszeitraum. Das ist ein beeindruckendes Wachstum. Außerdem haben wir im gleichen Zeitraum unseren Marktanteil bei Elektro-Pkw- Neuzulassungen von 48 auf 66 Prozent gesteigert. Von den zehn meistverkauften E-Modellen sind sieben Modelle deutscher Konzernmarken. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass es immer noch viel zu wenige Ladesäulen gibt. Wer kein Vertrauen in die flächendeckende Ladeinfrastruktur hat, kauft sich kein Elektroauto. Immerhin geht die Entwicklung mit den beschlossenen Fördermaßnahmen nun in die richtige Richtung. Das Vertrauen der Verbraucher in die Elektromobilität wird steigen. Klar ist aber auch: Der moderne Verbrenner bleibt Teil der Lösung für mehr Klimaschutz.

Das glaubt die Bundesregierung offenbar nicht, sonst hätte es für die Verbrenner eine Kaufprämie gegeben.
Die Mehrwertsteuersenkung kommt auch den Verbrennern zugute. Die Stickoxid- und Feinstaubbelastung ist im Übrigen stark gesunken, die CO2-Emissionen sind es ebenfalls. Die Zahl der deutschen Städte, in denen 2019 der EU-Grenzwert für Stickoxide überschritten wurde, hat sich im Vergleich zum Vorjahr mehr als halbiert. Moderne Verbrennungsmotoren leisten einen erheblichen Beitrag zur klimafreundlichen Mobilität.

Das glaubt aber kaum noch jemand.
Es geht in diesem Fall nicht um Glauben, sondern um Tatsachen. Die Zahl der Neuzulassungen steigt, der Markt vertraut dem modernen Verbrenner. Keine Frage, es wurden auch Fehler gemacht. Doch es wäre völlig falsch, den Wert von Industrieproduktion und gut bezahlten Industriearbeitsplätzen zu verkennen. Diese Industrie bildet die Grundlage zu weiten Teilen unseres Wohlstands, im Übrigen mit sehr viel Wertschöpfung in Deutschland und vielen Unternehmen, die verantwortungsvolle Arbeitgeber in vielen Regionen unseres Landes sind.

Sie waren Chefin des Energieverbandes BDEW und kennen sich aus mit Branchen, deren Ruf ramponiert ist. Wie poliert man das Image der Autoindustrie auf?
Mit viel Arbeit, guten Argumenten, Überzeugung und hervorragenden Produkten. Ich weiß, dass man Vertrauen schnell verliert und es lange dauert, bis es zurückgewonnen ist. Aber die rund 820 000 Beschäftigten in der Automobilindustrie haben es nicht verdient, dass man sie pauschal und unfair mit Vorwürfen und Misstrauen konfrontiert.

Hildegard Müller ist sei Februar 2020 Präsidentin des Verbandes der Autoindustrie.
Hildegard Müller ist sei Februar 2020 Präsidentin des Verbandes der Autoindustrie.

© dpa

Viele haben Angst um den Arbeitsplatz. Wie schlimm wird es kommen?
Durch die gute Konjunktur in den vergangenen Jahren sind wir in Deutschland derzeit in der Lage, viele Folgen der Corona- Pandemie teilweise aufzufangen. Mit Kurzarbeitergeld und Liquiditätshilfen hat die Bundesregierung die richtigen Sofortmaßnahmen ergriffen. Aber das kann nicht verhindern, dass im Hintergrund eine massive Wirtschaftskrise heraufzieht. Und zwar weltweit. Wenn die Konjunktur nicht anspringt, stehen uns schwierige Zeiten bevor.

In Deutschland können die Unternehmen mithilfe der Mehrwertsteuersenkung und eigener Rabattprogramme die Nachfrage in Schwung bringen.
Das versuchen wir. Als eine der ersten Branchen hat die Automobilindustrie angekündigt, dass wir die Mehrwertsteuersenkung in vollem Umfang an unsere Kunden weitergeben. Zweitens stehen wir zu der Verpflichtung, die ursprüngliche Umweltprämie beim Kauf von E-Autos zu verdoppeln. Und schließlich setzen Hersteller und Händler alle Möglichkeiten ein, den Absatz moderner, sauberer Fahrzeuge zu erhöhen und auch dadurch die CO2-Flottenziele zu erreichen.

Der VDA hat mit dem Kartellamt eine „Corona-Restrukturierungsvereinbarung“ getroffen, um Zulieferern das Überleben zu erleichtern. Wie funktioniert das?
Wir hatten noch nie eine Situation mit kompletten Lieferketten im Shutdown. Und in der Phase, in der es um Wiederöffnung und -aufbau geht, haben wir mit dem Kartellamt gesprochen, damit wir für einzelne Unternehmen, die coronabedingt in einer Existenzkrise sind, zu Lösungen kommen können, bei denen es keine rechtlichen Risiken gibt. Wir sind in einer schweren industriellen Krise, die alle Bereiche der Autoindustrie erfasst.

Trotzdem muss die Transformation weitergehen, um die Klimaziele zu erreichen.
Natürlich. Aber zur aktuellen Lage hinzu kommen die Handelsstreitigkeiten, die uns das Leben schwer machen, und eine Konjunktur, die sich bereits vor Corona abgeschwächt hat. Investitionen in Digitalisierung und neue Antriebe sind dennoch unverzichtbar. Die entscheidende Frage der kommenden Monate lautet daher: Springt die Nachfrage wieder an? Wenn nicht, müssen die Unternehmen entsprechend reagieren.

Das klingt nach Kündigungen und Werksschließungen.
Die Lage ist zweifellos schwierig. Ich sorge mich um die Arbeitsplätze. Dahinter stecken Menschen und Schicksale. Es wird entscheidend sein, dass das Konjunkturprogramm der Bundesregierung Wirkung zeigt. Auf EU-Ebene wird das Aufbauprogramm vermutlich erst 2021 praktisch umgesetzt. Das ist sehr spät. Für uns ist es existenziell, dass auch Europa schnell wieder in Schwung kommt.

Ist Europa von den drei großen Märkten am stärksten betroffen?
Derzeit sieht es so aus. Der Absatz in Europa wird im Gesamtjahr wohl um rund ein Viertel zurückgehen. China scheint am glimpflichsten davonzukommen, die Verkäufe bleiben womöglich in diesem Jahr nur um zehn Prozent unter dem Vorjahresniveau. Das erklärt sich auch mit massiven Unterstützungsmaßnahmen inklusive Kaufprämien der Regierung in Peking. Und der US-Markt ist bislang nicht so eingebrochen wie der europäische.

Sie sind „für eine ambitionierte Verdrängung des fossilen Kraftstoffs“ und gleichzeitig für die Zukunft des Verbrenners. Wie passt das zusammen?
Mithilfe von Wasserstoff und sauberen E-Fuels können wir CO2-freien Kraftstoff dem fossilen Kraftstoff beimischen und die modernen Verbrenner noch klimafreundlicher machen. Ich begrüße es daher, dass der Verkehrssektor in der Wasserstoffstrategie berücksichtigt wird. Auch wenn Wasserstoff und Brennstoffzelle mittelfristig eher für Schwerlasttransporte in Betracht kommen als für Pkw, ist die Perspektive interessant.

Die Politik in Deutschland und Europa gibt Milliarden aus für Batterieforschung und -zellenfertigung, weil die von asiatischen Unternehmen dominiert werden. Mitte des Jahrzehnts gibt es womöglich nicht genügend Zellen für E-Autos. Warum scheut die deutsche Autoindustrie noch immer den Einstieg in dieses Geschäft?
Es gibt ja Initiativen. Man kann sich unternehmerisch aber dauerhaft nur dann engagieren, wenn ein tragfähiges Geschäftsmodell existiert. Auf einem Markt mit hohen Eintrittshürden und Einstiegskosten ist das sehr schwer. Grundsätzlich bestehen für Elektromobilität verschiedenen Restriktionen. Neben der Ladeinfrastruktur gehört auch die Verfügbarkeit von Rohstoffen und Batteriezellen dazu. Es kann zu Versorgungsengpässen kommen. Gerade in Zeiten zunehmender Handelskonflikte sollten wir versuchen, Schlüsseltechnologien und geschlossene Wertschöpfungsketten auch in Europa zu sichern. Es gilt aber auch: je mehr Protektionismus, desto schlechter für Wirtschaft und Wohlstand, internationale Zusammenarbeit und Klimaschutz.

Sie sind seit Februar VDA-Präsidentin, kurz darauf kam das Virus. Was haben Sie vor, wenn das Schlimmste überstanden ist?
Der Dialog über die Zukunft der Mobilität liegt mir am Herzen. Ich möchte hierzu Menschen zusammenbringen, Stadt und Land verbinden, Klimaschützer und Industrievertreter ins Gespräch bringen. Der VDA will mitwirken bei der gemeinschaftlichen Entwicklung einer nachhaltigen Mobilität, die der Vielfalt der Bedürfnisse der Menschen gerecht wird.

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