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Im Umkreis von 30 Kilometern um die VW-Fabrik in Xinjiang soll es mehr als 25 Gefängnisse und Lager geben, in der ganzen Region sind fast 400 dokumentiert. Foto: REUTERS/Thomas Peter

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Autoindustrie und Menschenrechte: Volkswagens China-Geschäft unter Beobachtung

VW beteuert, an der Unterdrückung der Uiguren in China nicht beteiligt zu sein. Doch in Berlin und Brüssel will man es jetzt genauer wissen.

Kürzlich stellte sich VW-Chef Herbert Diess den Fragen seiner Follower im größten chinesischen Social-Media-Kanal Weibo. Diess hat dort 365.000 Anhänger. Aufgeräumt erläuterte er die Strategie von Volkswagen auf dem wichtigstem und größten Markt des Autoherstellers. 40 Prozent des globalen Konzernabsatzes entfällt auf die Volksrepublik, in keinem anderen Land der Erde verkauft Volkswagen mehr Autos. 33 Werke unterhält das Unternehmen in China.

Über den Standort Urumqi in der westlichen Provinz Xinjiang sprach Diess nicht. Er wurde auch nicht danach gefragt. Das ist keineswegs überraschend, denn weder die chinesischen Medien noch Volkswagen äußern sich gerne zu der dortigen Fabrik. 

2013 startete Volkswagen die Produktion gemeinsam mit dem chinesischen Joint-Venture-Partner SAIC. Die Standortwahl war Teil eines Deals mit der Regierung: Weil der Konzern im strukturschwachen Westen des Landes eine Fabrik eröffnete, durften mehrere, weitaus profitablere Werke im Osten ans Netz gehen. 

Menschenrechtler und westlichen Regierungen zufolge unterdrückt Peking mit Hilfe von sogenannten Umerziehungslagern und Zwangsarbeit die muslimische Minderheit der Uiguren. Mehr als eine Million soll gegen ihren Willen in Xinjiang festgehalten werden. China bestreitet dies. Doch die Situation in der Provinz, in der auch BASF, Coca-Cola und andere westliche Konzerne Werke haben, hat sich nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen in den vergangenen Monaten deutlich verschlechtert.

Nach einer international viel beachteten Studie des australischen Thinktanks Australian Strategic Policy Institute (ASPI) sollen allein zwischen 2017 und 2019 mehr als 80.000 Menschen von Zwangsarbeit betroffen gewesen sein. Die sogenannten China Cables brachten Ende 2019 düstere Details über das Straflager-System ans Licht. Im Umkreis von 30 Kilometern um die VW-Fabrik soll es mehr als 25 Gefängnisse und Lager geben, in der ganzen Region sind fast 400 dokumentiert. 

US-Regierung spricht von Völkermord in Xinjiang

Politisch hatte Volkswagen bislang wenig zu befürchten, weder in China, wo der Autobauer Marktführer ist, noch hierzulande. Die Merkel-Regierung hatte stets auf das Credo „Wandel durch Handel“ gesetzt und die Geschäfte des Wolfsburger Unternehmens im autoritär regierten China nach Kräften flankiert. Man verließ sich auf die Angaben des Konzerns. Läuft es in China, sind auch Arbeitsplätze in Deutschland gesichert.

Doch der nachsichtige Ton könnte sich nun ändern. Die neue Bundesregierung will China stärker in die Pflicht nehmen. „Wir thematisieren klar Chinas Menschenrechtsverletzungen, besonders in Xinjiang“, heißt es im Koalitionsvertrag. Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) hat ein Importverbot aus der Provinz Xinjiang ins Gespräch gebracht, Menschenrechtsverstöße dürften nicht mehr totgeschwiegen werden. Baerbock sieht sich im Einklang mit der US-Regierung, die noch schärfere Töne anschlägt. Mit Blick auf die Behandlung der Uiguren-Minderheit in Xinjiang und die dortigen Umerziehungslager spricht man in Washington von „Völkermord“. 

Als der US-Hersteller Tesla kürzlich einen Showroom in Xinjiang eröffnete, hagelte es Kritik. „Staatenlose Firmen helfen der kommunistischen Partei Chinas, Völkermord und Versklavung in der Region zu vertuschen“, schrieb der republikanische US-Senator Marco Rubio auf Twitter. Eine Sprecherin von US-Präsident Joe Biden warnte, Firmen, die über Geschäfte in China zur Zwangsarbeit oder Menschenrechtsverletzungen beitrügen, würden zur Rechenschaft gezogen. 

Auf Nachfrage will sich Luise Amtsberg, die neue Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, nicht zum Thema Volkswagen äußern. Über seine Wirtschaftsabteilung stehe das Auswärtige Amt in Kontakt mit einer Vielzahl deutscher Unternehmen, darunter auch Unternehmen, die einer Geschäftstätigkeit in China nachgehen, heißt es lediglich aus dem Ministerium.

Politischer Gegenwind kommt gerade jetzt ungelegen

„Große Konzerne haben eine öffentliche Verpflichtung“, sagt Ismail Ertug, SPD-Abgeordneter im Europäischen Parlament und Mitglied der Delegation für die Beziehungen zur Volksrepublik China. Zwar wolle man nicht in Geschäftsmodelle eingreifen. In der Vergangenheit seien Menschrechtsfragen mit den Unternehmen aber „zu soft“ angesprochen worden. „Klare Worte werden auf Dauer zählen.“ 

Politischer Gegenwind kommt für Volkswagen gerade jetzt ungelegen. Das China-Geschäft läuft schon seit einiger Zeit nicht mehr rund. Im vergangenen Jahr sanken die Verkäufe um 14 Prozent auf 3,3 Millionen Fahrzeuge, Corona und der Halbleitermangel haben Volkswagen schwer zugesetzt. Gerade erst musste ein Werk wegen neuer Covid-19-Infektionen vorübergehend geschlossen werden. China-Chef Stephan Wöllenstein steht vor der Ablösung, im Sommer soll VW-Markenchef Ralf Brandstätter übernehmen, der das China-Geschäft dann auch im Konzernvorstand verantwortet. 

Wie sich die Situation im und um das VW-Werk in Urumqi gestaltet, lässt sich kaum überprüfen. Besuche von Journalisten oder Politikern sind von den Behörden unerwünscht. Berichte, wonach die chinesischen Regierungsstellen unabhängige Kontrollen der Arbeitsstandards in der Autofabrik behindern oder sanktionieren, bleiben unkommentiert. Volkswagen teilt lediglich mit, die Überprüfungen stünden im „Einklang mit unseren Konzernstandards und den jeweiligen lokalen Gesetzen“.

Wer Chinas soziale Medien und traditionelle Zeitungen durchsucht, findet praktisch keine kritischen Berichte oder Postings über die Präsenz von Volkswagen in Xinjiang. Stattdessen ist das Netz voll von PR-Beiträgen und Advertorials über das soziale Engagement des Wolfsburger Autobauers in der Uiguren-Provinz – von Förderungen des Jugendfußballs in Xinjiang bis hin zu lokalen Umweltprojekten. Die meisten Nachrichten sind jedoch mehr als fünf Jahre alt, stammen also aus der Zeit, bevor das Lagersystem flächendeckend implementiert wurde.

VW: Es gibt im Werk und bei Lieferanten keine Zwangsarbeit

Volkswagen ist um Aufklärung bemüht. Ein Faux-Pas wie 2019, als Herbert Diess in einem BBC-Interview von einem Uiguren-Problem nichts wissen wollte, soll sich nicht wiederholen. 

In der Fabrik in Urumqi besäßen alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einen direkten Arbeitsvertrag mit SAIC Volkswagen, erklärt eine VW-Sprecherin. „Kein Mitarbeiter arbeitet hier unter Zwang.“ Der Konzern stelle seine Beschäftigten nach Qualifikation ein – „unabhängig von Alter, religiöser Überzeugung oder ethnischer Zugehörigkeit“. Der Anteil von Uiguren und anderer Minderheiten liege bei rund 28 Prozent. Um mögliches Fehlverhalten oder Verstöße zu verhindern oder aufzudecken, seien ein Whistleblower- und ein externes Ombudsmannsystem installiert worden. „Es sind keine Beschwerden über Arbeitsbedingungen aus dem Werk Urumqi eingegangen“, teilt die Sprecherin mit.

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In Urumqi produzieren VW und SAIC seit 2020 das Kompakt-SUV Tharu für den lokalen Markt. 2023 sollen zwei weitere Modelle hinzukommen. Das Werk hat eine Kapazität von 50.000 Fahrzeugen jährlich, ist allerdings nicht mal zur Hälfte ausgelastet, von weniger als 19.000 Einheiten war zuletzt die Rede. Nach harten Lockdowns und Schließungen wegen Chipmangels „sank die Zahl der gefertigten Fahrzeuge im vergangenen Jahr signifikant“, teilt VW mit. „Die Mitarbeiterzahl wurde von ursprünglich rund 650 um etwa ein Drittel reduziert.

Das Unternehmen betont, man nehme seine eigene Verantwortung sehr ernst. „Die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte und ganz konkret gute Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen sind in das Compliance-Management-System des Volkswagen-Konzerns integriert.“

Was passiert "jenseits des Werkszauns"?

VW behauptet, auch bei seinen direkten Zulieferern in Xinjiang gebe es keine Zwangsarbeit. Was „jenseits des Werkszauns“ geschehe, lasse sich allerdings schwer kontrollieren. 2021 seien 84 regelmäßige Nachhaltigkeitsaudits in China durchgeführt worden. „Es wurden keine Verstöße gegen Menschenrechte festgestellt.“

Ab 2023 zwingt das deutsche Lieferkettengesetz Unternehmen dazu, sicherzustellen, dass ihre nationalen und internationalen Lieferanten keine Menschenrechte verletzen. Aus einem Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags aus dem vergangenen Jahr ergibt sich, dass mit Inkrafttreten des Lieferkettengesetzes „eine Pflicht deutscher Unternehmen zum Abbruch der Geschäftsbeziehungen zu ihren chinesischen Zulieferern fast unausweichlich“ sei, wenn diese Zwangsarbeiter einsetzten. „Wenn der Konzern von Vorwürfen erfährt, geht er diesen sofort nach“, versichert VW. Schwerwiegende Verstöße wie Zwangsarbeit würden zur Kündigung des Vertrags führen.

„Wir erwarten, dass dies auch umgesetzt wird“, sagt der EU-Abgeordnete Ismail Ertug. „Wir nehmen Volkswagen beim Wort.“ Ertug schließt nicht aus, dass die China-Delegation des Europa-Parlaments demnächst über einen Besuch des VW-Werks in Urumqi diskutieren wird. Mitarbeit: Fabian Kretschmer

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