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Bio-Bäcker in Potsdam bei der Arbeit.

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Auslandsaufenthalte, Extra-Gehalt, Instagram-Präsenz: Mit diesen Ideen kämpfen Bäcker gegen den Nachwuchsmangel

Bäckereien brauchen trotz Digitalisierung weiter Handarbeit. Doch die richtigen Mitarbeiter dafür finden sie nur schwer.

Von Jonas Bickelmann

Ein langes, spitzes Dreieck von der Basis her aufrollen: So entsteht ein Croissant. In der Fuldastraße in Neukölln kann man das durchs Schaufenster beobachten, alles von Hand gemacht. Bäckereien spezialisieren sich auf solche Verfahren, um zu bestehen. Doch die Suche nach geeigneten Mitarbeitern scheint schwierig zu sein: Gut 270.000 Beschäftigte arbeiteten im Jahr 2018 im Bäckerhandwerk, weniger als 16.000 davon waren Auszubildende. Acht Jahre zuvor waren es noch 23.000 Beschäftigte mehr und doppelt so viele Azubis.

Gleichzeitig blieben im vergangenen Jahr 906 Ausbildungsplätze unbesetzt, mehr als jeder vierte. Neben den frühen Arbeitszeiten schreckt die geringe Vergütung potenzielle Bewerber ab. Von September 2019 an bekommt ein Azubi nach Tarif im ersten Lehrjahr 615 Euro – das sind 50 Euro mehr als aktuell. Offenbar nicht genug: Die mittelständische Bäckerei Exner aus Beelitz geht zum Beispiel weiter und will 1000 Euro zahlen. Ob jedoch alle Firmen über das Gehalt konkurrieren können, scheint fraglich.

„Es ist schwer, Nachwuchs zu finden“, bestätigt auch Feride Tanir von Le Brot, die in Neukölln noch traditionelle Croissants backt. Sie wechselte selbst aus der Hotellerie ins Bäckerhandwerk, wegen der Betriebskultur, wie sie sagt. „Es ist klein und ich kenne den Besitzer.“ Bei der Arbeit in großen Hotels gingen ihre Vorschläge unter. Jetzt will Le Brot auch mit ihren Ideen größer werden; weitere Filialen sind geplant. Wie gelingen die Croissants nach französischem Rezept? „Es liegt am Mehl“, sagt Tanir. Die Säcke mit der Sorte T65 stehen direkt hinter der Theke. Es enthält mehr Gluten, das Klebereiweiß des Getreides. Der Teig wird damit besonders elastisch. Am Anfang mussten sie noch in Frankreich suchen, um Mitarbeiter zu finden, die sich mit der französischen Backtradition auskennen, sagt Tanir. Jetzt bildet der Betrieb selbst aus.

Besondere Leistungen für Azubis

T65-Mehl aus Frankreich hat Bäckerei- Chef Karl-Dietmar Plentz aus Schwante, nördlich von Berlin, zwar nicht. Dafür aber lokal angebauten „Champagnerroggen“. Das Brot wird in Schwante gebacken und in sechs Filialen verkauft. Plentz ist es im vergangenen Jahr gelungen, alle elf Ausbildungsplätze zu besetzen – auch dank besonderer Angebote. Azubis können bei Plentz für ein Praktikum ins Ausland gehen, auf Kosten des Betriebs. Oder sie dürfen die Bäckerei aus digitalen Pixelblöcken in einem Online-Computerspiel nachbauen.

Digitales Brot? Bäckereien verwenden Digitaltechnik in der Logistik oder im Marketing.Foto: Getty Images, Montage: Tsp
Digitales Brot? Bäckereien verwenden Digitaltechnik in der Logistik oder im Marketing.Foto: Getty Images, Montage: Tsp

© Getty Images

Die Sorgen der Betriebe um qualifizierte Mitarbeiter ist aber nur die eine Seite. Gleichzeitig fürchten Beschäftigte, dass Maschinen sie langfristig ersetzen könnten – auch im Bäckerhandwerk. Einer Umfrage der Universität Stuttgart zufolge teilt jeder Zweite diese Bedenken. Erzählungen von technischen Innovationen enden meist so, dass es immer weniger menschliche Arbeit braucht. Die Nutzung von Dampfkraft, dann Strom, schließlich Computer. Maschinen verstehen mittlerweile nicht nur Befehle, sondern können selbst Daten auswerten. Ein denkbares Szenario für die Bäckerei: Die Kasse gibt an den Ofen weiter, wenn neue Brötchen gebacken werden müssen, alles autonom.

Digitalisierung im Handwerk

Bei Plentz arbeiten digitale System nicht allein, sondern dienen als Werkzeug. Wer die Produkte für die sechs Filialen packt, musste früher noch auf einer Papierliste abstreichen. Jetzt läuft das über ein Tablet, das mit dem Warensystem verbunden ist. Plentz kann durch Datenanalyse seine Produktion zudem besser planen. Vernetzte Kassen erfassen die Verkaufszahlen. Der Bäckermeister liest darüber beispielsweise ab, wie viele Vollkornbrote er durchschnittlich an einem Montag verkauft. Die Intelligenz der Algorithmen scheint allerdings Grenzen zu haben: Ein anderer Betrieb hätte sich nur noch auf die Vorhersagen der Computer verlassen. „Die Kompetenz hat gefehlt“, fügt Mitarbeiter Ralph Keidel hinzu. Denn nicht jeder Montag sei gleich. Die Konsequenz im bekannten Betrieb: Stellenabbau.

Potenziale: Wartung, Mitarbeitersuche

Plentz’ Mitarbeiter sieht dagegen eher Potenzial in der Wartung – etwa, wenn Öfen mit Sensoren und Datenanalyse feststellen, wann eine Reparatur notwendig ist und das an den Dienst melden. Und auch bei der Mitarbeitersuche könne das Internet helfen. Mit Facebook-Anzeigen hat Plentz gute Erfahrungen gemacht. Elf Bewerbungen erhielt das Unternehmen über diesen Weg an nur einem Tag. Sechs davon waren interessant – eine gute Quote, findet der Bäckermeister.

Der Vorteil: In den sozialen Medien können Unternehmen ihre Stellen sehr gezielt ausschreiben. Zum Beispiel so, dass nur jugendliche Einwohner von Schwante sie sehen. Auch auf Instagram ist die Bäckerei aktiv. Regelmäßig laden die Mitarbeiter Fotos für mittlerweile mehr als 1200 Abonnenten hoch; von der Geburtstagstorte für Korean Air bis zur Ankündigung der Holzofen-Saison. Was auf den Fotos zu sehen ist, muss den Kunden aber auch analog etwas bedeuten: „Wenn Oma zum Latte-Macchiato-Trinken kommt und mit Namen begrüßt wird, dann sind wir in der digitalisierten Welt ein Zuhause“, sagt Plentz.

Stellenabbau durch Maschinen? Für Plentz ist das auch aus einem ganz anderen Grund noch in weiter Ferne. Allein die Anschaffung neuer Software und Computer für das Büro wäre für die kleine Familienbäckerei nämlich so teuer wie eine ganze Ladeneinrichtung – etwa eine Viertelmillion Euro dürfte das kosten.

Konkurrenz aus dem Automaten

Dem Frische-Bonus der Bäckereien macht aber zunehmend die Industrie mit Aufbackware aus dem Automaten Konkurrenz. Wird in solchen Supermarkt-Stationen „frisch gebacken“ oder „gebräunt“? Darüber streiten sich Handel und Handwerk. Oft kommt die sogenannte „Prebake“-Ware aus dem Ausland. Das Statistische Bundesamt weist für Februar 2019 Backwarenimporte im Wert von mehr als 373 Millionen Euro aus – offenbar zulasten der traditionellen Bäckereien. Denn heute existieren nur noch 11 000 Handwerksbetriebe in Deutschland, vor sechzig Jahren waren es allein in den alten Bundesländern rund fünfmal so viele. Immerhin: Mit Bäckern wie Le Brot entstehen auch heute noch neue Betriebe, die Erfolg haben. Den Laden in Neukölln gibt es erst seit 2017. Und Traditionsbäcker wie Plentz, schon seit 140 Jahren am Markt, können sich auch dank digitaler Lösungen halten.

Die virtuelle Bäckerei im Online-Computerspiel ist allerdings noch nicht fertig. Jeder Block muss einzeln per Klick hinzugefügt werden. Digitale Handwerkskunst braucht eben Zeit.

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