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Asylbewerber Omar Ceesay (r) arbeitet in der Schreinerei Holitsch in Tettnang-Hiltensweiler (Baden-Württemberg) an einer Tür.

© dpa

Ausbildung: „Uns geht der Nachwuchs aus“

Die Suche nach dem klassischen Lehrling wird immer mühsamer. Betriebe schauen sich anderweitig um: Nach Geflüchteten, Lernschwachen und Studienabbrechern.

Dass immer weniger Jugendliche eine Lehre machen wollen, entschied sich womöglich schon zu ihren Kindergartenzeiten: Mit der Frage ihrer Eltern, ob sie lieber Fußball spielen oder malen oder turnen wollen. Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) ist sich sicher: Zwar hieß es schon immer, die Jugend ticke anders, aber heutzutage stimme das wirklich. Die Azubis, die Unternehmen so dringend suchen, hätten in ihrem Leben schon früh mitentscheiden und aus einer Fülle von Optionen wählen können, was sie wollen – und was nicht.

Viele Schulabgänger wollen mittlerweile keine Ausbildung machen, sondern studieren. Sie versprechen sich davon mehr Geld, mehr Entwicklungsmöglichkeiten, mehr Entfaltung. Das hat jedoch eine Kehrseite: Fast jeder dritte Betrieb in Deutschland kann nach einer aktuellen DIHK-Befragung unter knapp 11000 Unternehmen seine Lehrstellen nicht besetzen, weil geeignete Bewerber fehlten. Vor zehn Jahren war die Quote halb so hoch. „Fast jeder zehnte Ausbildungsbetrieb hat noch nicht einmal eine einzige Bewerbung erhalten“, sagte DIHK-Präsident Eric Schweitzer am Dienstag. „Uns geht der Nachwuchs aus.“ Und das, wo der Fachkräftemangel schon jetzt das „Konjunkturrisiko Nummer eins“ sei – vor dem Brexit und den Spannungen mit der Türkei.

Wie potenzielle Azubis umgarnt werden

Die Betriebe würden potenzielle Bewerber deswegen umgarnen – mit Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten (13 Prozent), Auslandsaufenthalten (neun Prozent) oder Goodies wie Smartphones, Bahn-Karten und Fitnessstudio-Mitgliedschaften (13 Prozent). So gab die Deutsche Bahn am Dienstag zeitgleich bekannt, dass jeder künftige Fahrdienstleiter, Lokführer und Kaufmann für Verkehrsservice ein Tablet bekommt.

Die Bahn habe bereits die Vergütung für Auszubildende um durchschnittlich sechs Prozent erhöht und Zuschüsse bei hohen Mieten eingeführt. „Die Tablets sind nun der nächste Schritt“, sagte Personalvorstand Ulrich Weber. Auch andere Betriebe werben mit einer übertariflichen Vergütung – oder mehr Urlaubstagen – weil der Nachwuchs-Generation genügend Zeit für das Privatleben wichtig ist.

Die Firmen nehmen außerdem nicht mehr nur die guten Schulabgänger in den Blick. Es sei „umso wichtiger, dass wir vorhandene Potenziale nutzen, insbesondere von Studienabbrechern, Lernschwächeren und Flüchtlingen“, sagte DIHK-Chef Schweitzer.

Im vergangenen Jahr haben mehr als eine Million junge Menschen ein Studium begonnen. Fast jeder dritte Bacheloranfänger bricht sein Studium aber wieder ab. Aus diesem Grund werben 42 Prozent der Betriebe aktiv um Abbrecher. 2016 begannen so 60000 Ex-Studenten eine Ausbildung. Nahezu 80 Prozent der Betriebe bieten außerdem lernschwächeren Jugendlichen eine Ausbildung an, mit der Konsequenz, sie intensiver zu betreuen. Ob nun mit eigenen Nachhilfeangeboten, ausbildungsbegleitenden Hilfen der Bundesagentur für Arbeit oder der assistierten Ausbildung.

Anstrengungsbereitschaft würde sinken

Die Bereitschaft, einen Geflüchteten auszubilden, wächst ebenfalls: von drei Prozent (2015) auf sieben Prozent (2016). Hochgerechnet würden 15000 junge Flüchtlinge in einem IHK-Betrieb eine Ausbildung machen. Die Unternehmen, so Schweitzer, würden also nicht nur eine Menge tun. Sie müssten auch Defizite ausgleichen, die andere zu verantworten hätten. Zum Beispiel die Schulen: Damit Absolventen erst gar nicht den Umweg über die Uni gehen, müsse sich die Berufsorientierung verbessern – vor allem an den Gymnasien. Lehrer sollten „nicht nur die Chancen der akademischen Bildung aufzeigen, sondern auch die der beruflichen Bildung“.

Immerhin findet nicht einmal jeder zehnte Betrieb die Ausbildungsreife der Bewerber ausreichend. Ein Großteil bemängelt laut dem Report die unklaren Berufsvorstellungen der Jugendlichen, die Mehrheit die sprachlichen Fähigkeiten und fast jeder Zweite die Mathekenntnisse. Außerdem sinke die Anstrengungsbereitschaft der Berufsanfänger. Bei den Punkten Leistungsbereitschaft, Motivation, Disziplin und Belastbarkeit seien „neue Tiefstände der Unzufriedenheit“ erreicht worden. Elke Hannack, stellvertretende DGB-Vorsitzende, widersprach allerdings dem Bild der unschuldigen Unternehmen. Offene Stellen gebe es vor allem bei Hotels, in der Gastronomie und im Lebensmittelhandwerk – dort, wo es auch hohe Abbruchquoten gibt. „Diese Branchen müssen dringend in die Ausbildungsqualität investieren“, sagte sie.

Was der DIHK einräumt, ist die Unsicherheit, ob die heutigen Ausbildungsberufe zu dem passen, was in Zukunft noch gebraucht und was durch die Digitalisierung überflüssig wird. Für die Mehrheit der Betriebe sind IT-Kenntnisse ein wichtiges Einstellungskriterium und die Bedeutung solch technologischer Fähigkeiten wird weiter zunehmen. Ab diesem Jahr können Lehrlinge deswegen Zusatzqualifikationen für „Digitale Kompetenzen“ erwerben. Im kommenden Jahr soll ein ganz neuer Ausbildungsberuf entstehen: Der „Kaufmann im E-Commerce“.

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