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Ende offen. Das Schienennetz soll modernisiert werden. Experten fordern einen Masterplan von der Bundesregierung.

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Ausbau würde 71 Milliarden Euro kosten: Für Schienen-Investitionen fehlt dem Bund das Geld

Verkehrsminister Andreas Scheuer plant den Ausbau des Schienennetzes. Das würde 71 Milliarden Euro kosten - doch so viel ist im Haushalt gar nicht eingeplant.

Berlin - Schöne TV-Bilder sind garantiert. Nächsten Dienstag haben Andreas Scheuer und Richard Lutz die Medien zur Sonderfahrt im neuen ICE 4 rund um Berlin eingeladen. Auf der „rollenden Pressekonferenz“ wollen der Verkehrsminister und der Chef der Deutschen Bahn (DB) die neuen Klimaziele für die umweltschonende Zugflotte präsentieren. Im Anschluss stellt sich das Duo einem „Bürger-Talk“ an Bord.

Solche Termine liebt Scheuer. Der ambitionierte CSU-Mann, im Dieselskandal heftig kritisiert, will nun mit der Bahn punkten und den „Wow-Effekt“ schaffen. Der Schienenverkehr soll ausgebaut und zuverlässiger werden. In den letzten Monaten kündigte der Verkehrsminister zahlreiche Projekte an: neue Strecken, Ausbau überlasteter Bahnknoten und Engpässe, Digitalisierung der betagten Technik und den D-Takt 2030, also einprägsame Abfahrzeiten, mehr Pünktlichkeit und bessere Vernetzung.

So weit, so gut. Das Problem: Die meisten Pläne stehen bisher nur auf Papier, das Geld für die Umsetzung fehlt. Das zeigten schon die ersten Treffen vom „Zukunftsbündnis Schiene“, zu dem Scheuer zahlreiche Verbände und Aufgabenträger ins Ministerium eingeladen hat. Die Arbeitsgruppe 2 berät über den dringend nötigen Kapazitätsausbau. „Da gab es schnell ziemliche Ernüchterung“, berichtet ein Teilnehmer.

Denn nur wenige Stunden, nachdem der Minister vor TV-Kameras von der Zukunft der Bahn geschwärmt und zahlreiche Neu- und Ausbauten angekündigt hatte, hörten die Experten hinter verschlossenen Türen von Scheuers zuständiger Referatsleiterin ganz andere Töne. Die Gesamtkosten aller Maßnahmen liegen demnach bei 71 Milliarden Euro. Für die Umsetzung der meisten Baupläne bis 2030 müssten deshalb im Bundeshaushalt rund fünf Milliarden Euro pro Jahr bereitgestellt werden.

Das aber sei unrealistisch, erklärte die Vorsitzende der Arbeitsgruppe den verdutzten Experten. Bisher seien nur knapp 1,7 Milliarden Euro im Etat eingestellt. Und selbst bei einer leichten Erhöhung werde so die Finanzierung aller Maßnahmen bis zum Jahr 2060 dauern, also noch mehr als 40 Jahre. Daher sei es nötig, erst einmal die wichtigsten Projekte vorzuziehen. Die Arbeitsgruppe soll dazu bis Weihnachten Vorschläge machen.

Bei den Verbandsexperten kam diese Ankündigung gar nicht gut an. „Wenn die Regierung den Wow-Effekt bei der Bahn will und Minister Scheuer viele Projekte verspricht, muss auch das Geld dafür aufgebracht werden“, sagt ein Teilnehmer. Andernfalls würden viele wichtige Vorhaben weiterhin auf den St. Nimmerleinstag verschoben und blieben bloße Wolkenkuckucksheime, weil die Mittel dafür fehlten.

Für eine wirkliche Verkehrswende hin zur umweltschonenden Bahn halten Experten eine Umschichtung im Bundesetat für überfällig: mehr Geld für die Schiene, weniger für die Straße. Andere Länder machen das längst vor, die Schweiz und Österreich investieren pro Kopf ein Vielfaches, Deutschland liegt in Europa nur im Mittelfeld. Der große Nachholbedarf ist unstrittig. Gleise, Tunnel, Brücken und Stellwerke sind vielfach überaltert, nur 60 Prozent aller Strecken bisher elektrifiziert.

Auch Bahnchef Lutz will deshalb mehr Geld beim Bund lockermachen. Der größte Staatskonzern, der das staatliche Schienennetz verwaltet, hat jede Menge Probleme und seit der Bahnreform 1994 bereits fast 20 Milliarden Euro Schulden aufgehäuft. Das mit McKinsey entworfene Sanierungskonzept „Zukunft Bahn“ von Ex-Chef Rüdiger Grube war vor allem im defizitären Güterverkehr ein Fehlschlag. Nun soll ein neuer Plan helfen, den der DB-Vorstand „unsere Agenda für eine bessere Bahn“ benannt hat.

Der DB-Aufsichtsrat, in dem die Vertreter des Bundes und die Bahngewerkschaften das Sagen haben, will das Konzept am Donnerstag und Freitag dieser Woche in Sondersitzungen beraten. Kernbotschaft an die Regierung: Der Konzern braucht bis 2022 zusätzlich knapp fünf Milliarden Euro, um den Zugverkehr zuverlässiger zu machen.

Doch jeder Experte weiß, dass die jahrelangen Fehlentwicklungen im deutschen Schienenverkehr und in der Verkehrspolitik nicht von heute auf morgen zu beheben sind. Allein die Digitalisierung der Zugsteuerung, die im 33 000 Kilometer langen Netz mehr Kapazitäten und bessere Abläufe schaffen soll, wird laut McKinsey-Gutachten bis 2033 dauern und 35 Milliarden Euro kosten.

Für die aufwändige Modernisierung der Bahn halten Fachleute einen langfristig angelegten und finanziell unterlegten Masterplan der Bundesregierung für unabdingbar. Denn auch die Bauindustrie braucht Planungssicherheit, sonst halten die Unternehmen keine Kapazitäten vor und die zeitnahe Umsetzung wird auch daran scheitern.

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