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Das Klinikum in Havelberg.

© Jonas Bickelmann

Aus für Klinik mitten in Corona-Pandemie: „Wie in Havelberg werden viele kleine Krankenhäuser schließen“

Trotz heftiger Kritik wird das Krankenhaus Havelberg in Sachsen-Anhalt dicht machen. Manager Stefan Eschmann nennt im Interview die Gründe.

Mitten in der Corona-Krise, in der immer mehr Krankenhäuser an ihre Kapazitätsgrenzen gelangen, schließen die privaten KMG-Kliniken ihr Haus in Havelberg in Sachsen-Anhalt. Mit dieser Entscheidung traf der Konzern auf viel Kritik und Unverständnis. Im Interview rechtfertigt Stefan Eschmann, Vorstandsvorsitzender der KMG-Kliniken, diesen Schritt vor allem mit ökonomischen Erwägungen.

Herr Eschmann, warum machen Sie das Klinikum Havelberg ausgerechnet in diesen Zeiten dicht?
Zunächst, wir haben die Entscheidung zur Schließung des Krankenhauses in Havelberg Anfang Januar 2020 getroffen und am 8. Januar 2020 den Landrat des Landkreises Stendal und den Bürgermeister der Hansestadt Havelberg informiert. Also zu einem Zeitpunkt, als das Ausmaß der Corona-Pandemie noch nicht absehbar war. Zu diesem Zeitpunkt habe ich übrigens das erste Mal angeboten, die Hintergründe der Schließung in einem Bürgerdialog zu diskutieren. Ein Angebot, das trotz mehrmaliger Wiederholung nie angenommen wurde.

Zur Wahrheit gehört aber auch: Das Klinikum Havelberg war mit 37 Planbetten im Krankenhausplan des Landes Sachsen-Anhalt. Das ist für ein Krankenhaus, entschuldigen Sie, quasi nichts. Selbst vor zehn Jahren, als es noch 80 Betten hatte, war es sehr klein. Und auch diese Zahlen sind sehr aussagekräftig: Im gesamten Jahr 2012 etwa wurden 16 Patienten in dem Krankenhaus beatmet. 2019 waren es insgesamt fünf. Eine sogenannte intensivmedizinische Komplexbehandlung konnte das Krankenhaus zu keiner Zeit abrechnen, weil es die dafür notwendigen strukturellen Voraussetzungen nie erfüllt hat.

Der Ärger der ehemals in dem Krankenhaus Beschäftigten, der Bewohner und Lokalpolitiker von Havelberg entzündet sich nicht an der Intensivstation, sondern daran, dass sie ihren Arbeitgeber und ihr Krankenhaus in der Nachbarschaft verlieren.
Ich kann die Menschen in Havelberg verstehen. Und mir ist bewusst, dass der Verlust eines Krankenhauses eine starke emotionale Komponente hat. Andererseits, schauen Sie sich einmal die Anzahl der Operationen in dem Haus an, die wochentags nach Dienstschluss, an Wochenenden und Feiertagen durchgeführt wurden, denn das sagt viel darüber, wie wichtig ein Klinikum für die Notfallversorgung ist. In 2015 waren es nach Dienstschluss unter der Woche ganze fünf Operationen, an Feiertagen eine und am Wochenende sieben – im gesamten Jahr. 2019 wurde an Wochenenden, Feiertagen oder nach Dienstschluss keine einzige OP durchgeführt.

Und eine letzte Kenngröße: 2017 wurden im Krankenhaus insgesamt 10,4 Ärzt*innen in Vollzeit beschäftigt. 2019 waren es noch 5,8 Ärzt*innen. Das ist nicht besonders viel. Auch ein Krankenhaus, das 50 Ärzt*innen in Vollzeit beschäftigt, ist noch eine eher kleine Einrichtung. Ich denke, jeder Fachmann wird bestätigen: Das Krankenhaus in Havelberg hat keine relevante Rolle in der medizinischen Notfallversorgung gespielt.

Stefan Eschmann ist Vorstandsvorsitzender der privaten KMG-Kliniken mit Sitz in Bad Wilsnack. Zu der Gruppe gehören neun Akutkliniken, dazu Rehakliniken, Pflegeheime und Arztpraxen.
Stefan Eschmann ist Vorstandsvorsitzender der privaten KMG-Kliniken mit Sitz in Bad Wilsnack. Zu der Gruppe gehören neun Akutkliniken, dazu Rehakliniken, Pflegeheime und Arztpraxen.

© Markus Esser

Es gibt Kritiker, die werfen KMG vor, den Standort „ausgehungert“ zu haben, um ein Argument für dessen Schließung zu haben.
Das ist Unsinn. Die Probleme des Hauses bestanden von Anfang an. Der Landkreis hat das Haus 2002 an KMG verkauft, weil es wirtschaftlich am Ende war.

Aber die KMG-Kliniken haben es trotzdem gekauft...
Ja, wir haben damals die Möglichkeit gesehen, das Haus zu entwickeln. Ohne uns wäre das Krankenhaus in Havelberg schon vor 18 Jahren geschlossen worden. Als ich 2013 zu KMG kam, haben wir uns nochmal mehr als sechs Jahre Zeit genommen, um dem Haus über die Schaffung von Spezialangeboten eine Perspektive zu geben. Dies gelang nicht, das Haus blieb ein Zuschussgeschäft.

Von 2010 bis 2019 hat das Krankenhaus 13,2 Millionen Euro Verlust gemacht. Zum Vergleich: Für die Errichtung eines Pflegeheims mit vergleichbar vielen Plätzen wie wir diese nun planen hätten wir rund sechs Millionen Euro investieren müssen. Mit dem Verlust hätte man also zwei neue Pflegeheime aufmachen können.

Spielte bei der Entscheidung, das Krankenhaus dicht zu machen, auch eine Rolle, dass der Bund die Schließung bestimmter Kliniken finanziell fördert?
Nein, das hat keine Rolle gespielt. Klar ist aber, dass es gesetzliche Regeln gibt, unter welchen Voraussetzungen die Schließung von nicht mehr notwendigen Krankenhäusern durch den sogenannten Strukturfondsgefördert wird. Wir erfüllen diese Kriterien, weil die Schließung von Krankenhäusern wie dem in Havelberg bundespolitisch gewollt ist.

Ich gehe daher davon aus, dass entsprechende Mittel bekommen werden, die Größenordnung steht aber noch nicht fest. Kleine Krankenhäuser wie in Havelberg gibt es noch viele in Deutschland. Ich bin überzeugt davon, dass es in den nächsten Jahren zur Schließung einer Vielzahl dieser Einrichtungen kommen wird.

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Aber die Menschen auch in abgelegeneren Gebieten benötigen eine medizinische Versorgung...
Diese Auffassung teile ich, deshalb haben wir auch einen Bus zwischen Havelberg und unserem KMG Klinikum Kyritz eingerichtet, der die Orte zweimal täglich verbindet. Und ich bin auch der Auffassung, dass nach der Klinikschließung in Havelberg kein weißer Fleck in der lokalen Gesundheitsversorgung entstehen sollte.

Benötigt wird aber keine stationäre Einrichtung, sondern eine funktionierende intersektorale Versorgung. Das heißt eine teilstationäre Einrichtung, die die Menschen ambulant versorgen kann und die Patienten, die eine stationäre Behandlung benötigen, an ein Akutkrankenhaus überweist. Hierfür gibt es bislang aber keinen gesetzlichen Rahmen und daher auch keine Finanzierung. Ich bin aber zuversichtlich, dass es in dieser Frage in den nächsten Jahren eine Entwicklung geben wird.

Wie wollen Sie den weißen Fleck in der medizinischen Versorgung nun füllen?
Wir haben immer gesagt, dass wir unser in der Stadt bereits existierendes Medizinisches Versorgungszentrum (MVZ), das in dem gleichen Gebäude wie die ehemalige Klinik untergebracht ist, erhalten und falls möglich weiter ausbauen wollen. Aktuell betreiben wir dort eine chirurgische Praxis.

Leider ist es sehr schwer, Ärzte in der Region zu gewinnen. Wir haben jahrelang, sogar mit Unterstützung von Headhuntern, nach Allgemeinmedizinern, einem Radiologen oder etwa Pneumologen für das Krankenhaus bzw. das MVZ gesucht – erfolglos. Es sollte sich herumgesprochen haben, dass wir Ärzte für Havelberg suchen.

Woran liegt es, dass es Ihnen so schwerfällt, Ärzte nach Havelberg zu locken?
Hierfür gibt es sicherlich vielfältige Gründe. Einer der Gründe, weshalb es in allen Branchen, nicht nur der medizinischen, schwerfällt Fachkräfte zu gewinnen, ist aber sicherlich die relativ schlechte öffentliche Anbindung der Region insgesamt und von Havelberg im Speziellen.

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