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Karstadt will sich für die Zukunft neu ausrichten.

© dpa

Aufsichtsrats-Mitglied Arno Peukes: "Bei Karstadt wurde Missmanagement betrieben"

Arno Peukes, Mitglied im Aufsichtsrat von Karstadt, spricht über den neuen Eigentümer René Benko, Filialschließungen und die Fehler der Vergangenheit bei der Warenhauskette.

Von Maris Hubschmid

Herr Peukes, am Donnerstag findet bei Karstadt endlich die mehrfach verschobene Aufsichtsratssitzung statt. Was erwarten Sie?

Ein schlüssiges Zukunftskonzept. Der neue Eigentümer und seine Vertreter müssen sich ja aber auch erst einmal vorstellen. Wir wollen etwas über seine Motivation erfahren: Warum hat er Karstadt gekauft und wo will er damit hin? Wie will er das Management künftig aufstellen? Von ehemals drei Geschäftsführern haben wir inzwischen ja nur noch einen.

Nach Interims-Geschäftsführer Kai-Uwe Weitz ist jüngst auch der Leiter des operativen Geschäfts, Rüdiger Hartmann, aus dem Unternehmen ausgeschieden.
Dass Herr Benko schnell handelt, bewerte ich grundsätzlich positiv. Es zeigt, dass er gewillt ist, Veränderungen anzugehen, und nicht auf Zeit spielt.

Was für einen Chef braucht Karstadt?
Einen, der Deutschland kennt. Ich meine, er sollte auch deutschsprachig sein – sonst ist es schwierig, ein Gespür für die Mitarbeiter zu bekommen. Eva-Lotta Sjöstedt war da auf einem guten Weg. Sie hatte einen Draht zu den Beschäftigten und ein gutes Konzept vorgelegt.

Dabei hat man ihr anfangs genau das vorgeworfen: Dass sie den deutschen Markt nicht kennt und auch die deutsche Sprache nicht spricht.
Richtig. Aber als ich sie nach vier Monaten bei ihrer ersten und letzten Aufsichtsratssitzung erlebt habe, sprach sie bereits besser deutsch als ihr Vorgänger Andrew Jennings nach drei Jahren. Und sie hatte sich offenbar gründlich ins Thema eingearbeitet, die Besonderheiten des Warenhauses erkannt.

Welche sind das?
Punkt eins: Wer geht da einkaufen? Vor allem Ältere. Die Frage ist also, wie das Warenhaus vom demografischen Wandel profitieren kann. Herr Jennings hat versucht, internationale Top-Modemarken für ein jüngeres Publikum bei Karstadt zu etablieren, und seinen Einkäufer in die TV-Show „Fashion Hero“ geschickt. Aber Karstadt muss sich nicht an H&M messen – dieses Bunte-Vogel-Ding war zu viel. Neue Zielgruppen zu gewinnen ist eine gute Idee, doch zuerst muss das Geschäft mit der Stammkundschaft laufen. Da kommen wir zu Punkt zwei: Was verlangt die Region? Warenhäuser funktionieren in den jeweiligen Städten unterschiedlich. In Bayern kann man besser Schlitten verkaufen als in Flensburg, um es mal einfach auszudrücken Und selbst innerhalb der Städte gibt es unterschiedliche Anforderungen, Berlin-Neukölln tickt anders als der Kurfürstendamm.

Die Häuser funktionieren anders. Haben sie auch unterschiedliche Zukunftschancen?
In den jetzigen Spekulationen um Filialschließungen steckt ein Grundfehler. Es wird immer gesagt, bestimmte Häuser sind nicht profitabel, also ist ihr Fortbestand in Gefahr. Aber wenn Regionalität eine so große Rolle spielt, dann muss man feststellen, dass in den letzten Jahren bei Karstadt Missmanagement betrieben wurde. Die Politik ging an den Bedürfnissen vorbei. So kann eine Filiale nicht funktionieren. Mit neuer Ausrichtung dagegen vielleicht doch. Wehrlos werden weder Verdi noch der Betriebsrat einen Kahlschlag hinnehmen.

Mehr Schlitten in Bayern könnten Karstadt retten?
Und mehr Badehosen in Flensburg. Nein, im Ernst: Es geht um weit mehr. Karstadt hat zum Beispiel überall seine Multimedia-Abteilungen dichtgemacht. In manchen Häusern waren die aber ein wichtiger Publikumsmagnet, weil es solche Artikel sonst weit und breit nirgends gab. So sind Kunden verloren gegangen. Es hat dem Konzern nicht gutgetan, dass fast alles von der Zentrale in Essen aus gesteuert wurde. Die jeweiligen Häuserchefs brauchen mehr Gestaltungsspielraum.

Aufsichtsratschef Stephan Fanderl hat angekündigt: Alle 83 Filialen müssen auf den Prüfstand.
Sofern das heißt, man ist offen für neue Konzepte, ist das positiv. Aber es darf nicht um eine reine Kostensenkungsstrategie und Schließungen gehen. Ein Haus zu schließen kostet zudem viel Geld. Zehn bis 15 Millionen Euro allein für Sozial- und fortlaufende Immobilienverträge. Macht bei 20 bis 30 Häusern mindestens 300 Millionen Euro. Dieses Geld steckt man besser in die Erhaltung der Standorte, statt tausende Arbeitsplätze zu vernichten.

Wo wir von großen Summen reden: Hat Berggruen sich nun an Karstadt bereichert oder nicht?
Das ist eine einfache mathematische Frage. Jemand kauft ein Unternehmen für einen Euro und zahlt weitere fünf Millionen Euro für die Namensrechte. Danach zieht er Jahr für Jahr einen Betrag aus Karstadt heraus, den wir zwar nicht genau kennen, von dem wir aber wissen, dass er zumindest im kleinen einstelligen Millionenbereich liegt. Das nenne ich ein lukratives Geschäft.

Inwieweit ist vom neuen Eigentümer René Benko anderes zu erwarten?
In Sachen Karstadt wird man müde, Erwartungen zu formulieren. Wir hatten bei Nicolas Berggruen damals viele Hoffnungen. Ich will es so formulieren: René Benko wirkt etwas geerdeter, und er scheint einige Leute um sich zu haben, die das Thema Warenhaus kennen. Beurteilen können wir Benko aber erst, wenn er sein Konzept vorgelegt hat.

Am Berliner Ku’damm will er offenbar angrenzende Gebäude erwerben, um Karstadt zum Mittelpunkt eines Einkaufszentrums zu machen.
Sein Interesse an solchen Projekten ist naheliegend, schließlich kommt er aus dem Immobilienbereich. Das ist aber sicher kein Modell für alle Häuser. Karstadt muss für sich allein gesunden.

Wie ist die Stimmung bei den Mitarbeitern?
Mit dem Weggang von Frau Sjöstedt sind viele Hoffnungen geplatzt. Die Beschäftigten sind ja schon seit zehn Jahren die Leidtragenden. Das Warten wird immer belastender. Umso wichtiger ist es, dass jetzt schnell ein schlüssiges und tragfähiges Konzept vorgelegt wird, das die Arbeitsplätze erhält und dass ein neuer Chef kommt.

Ist ein ein Nachfolger aus den eigenen Reihen denkbar?
Theoretisch ja. Praktisch muss es jemand sein, der das Vertrauen und die Unterstützung des neuen Eigentümers genießt.

Wie schwer wird es, so jemanden zu finden? Der Stuhl scheint heiß zu sein.
Es wird mit Hochdruck daran gearbeitet.

Frau Sjöstedt hatte auch das Onlinegschäft vorantreiben wollen.
Das Einkaufsverhalten verändert sich, natürlich ist Onlinehandel wichtig. Beides, stationärer Handel und Onlinehandel, muss zusammen gedacht werden. Auch Ältere bestellen ja über das Internet und legen Wert darauf, dass Kleidung modisch ist. Der Einzelhandel entwickelt sich vielfältig und ein gutes Warenhaus muss auf allen Spielflächen gut spielen können. Galeria Kaufhof macht vor, wie es geht: Die sind Karstadt auch online ein gutes Stück voraus.

In den vergangenen Wochen wurde verstärkt über eine Fusion spekuliert.
Und Kaufhof hat einmal mehr erklärt, dass man daran kein Interesse hat. In Deutschland ist Platz für zwei erfolgreiche Warenhaus-Ketten.

Benko gehören neben den traditionellen Kaufhäusern seit längerem auch schon die Premium- und Sporthäuser. Steht die große Wiedervereinigung bevor?
Da wäre ich sehr für. Nicht nur, weil es dann eine bessere Interessenvertretung für die Beschäftigten geben kann, sondern auch, weil ich es aus wirtschaftlicher Sicht für sinnvoll halte, wenn alle an einem Strang ziehen.

Bei welchen Gelegenheiten gehen Sie zu Karstadt?
Für mich ist das tatsächlich fast immer die erste Anlaufstelle. Als Jugendlicher wäre ich nie auf die Idee gekommen, da einzukaufen. Heute hole ich im Kaufhaus, bei Karstadt oder Kaufhof, je nachdem, wo ich gerade in der Nähe bin, Hemden, Haushaltsartikel, fast alles. Als Erwachsener lernt man die Vorzüge zu schätzen: Wenn die Verkäufer beim Schuhkauf sagen „einen Stockwerk tiefer finden Sie den passenden Gürtel dazu.“ Oder nehmen Sie die Kurzwaren – die gibt es sonst kaum noch irgendwo. Das Gespräch führt Maris Hubschmid.

Der Gewerkschafter

Arno Peukes, 51, leitet bei Verdi den Fachbereich Einzelhandel. Im Aufsichtsrat des Warenhauskonzerns sitzt er seit 2009 – „gefühlt seit 30 Jahren. Ich verliere bei Karstadt das Zeitgefühl.“

Der Sanierungsfall

2009 meldete Karstadt Insolvenz an, Investor Nicolas Berggruen wurde als Retter gefeiert. Doch die Zahlen wurden immer schlechter: Im Geschäftsjahr 202/2013 häufte die Kette ein Minus von 131 Millionen Euro an. Im Juli legte Geschäftsführerin Eva-Lotta Sjöstedt nach nur viereinhalb Monaten das Amt nieder. Sie beklagte mangelnde Investitionen. Seit vier Wochen ist der Österreicher René Benko neuer Eigentümer des Essener Konzerns.

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