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Der SPD-Politiker Martin Dulig (45) ist Wirtschaftsminister in Sachsen. Am 1. September wird im Freistaat gewählt.

© dpa

Aufbau Ost: „Die West-Lobby ist immer wieder stärker“

Sachsens Wirtschaftsminister Martin Dulig über die Forschungsfabrik für Batteriezellen, geringere Löhne und längere Arbeitszeiten im Osten.

Herr Dulig, die Wogen schlagen hoch wegen der Entscheidung der Bundesforschungsministerin, die Forschungsfabrik Batteriezelle nach Münster zu vergeben. Warum hat Dresden nicht gewonnen?

Die Bewerbung Sachsens war tadellos. Wir waren aber nicht die einzigen, die die Batteriezellforschung haben wollen – auch andere Bundesländer hatten gute Argumente. Das Ganze hat ein Geschmäckle, wenn von der Entscheidung der Wahlkreis der Ministerin profitiert. Ich fordere die Offenlegung des Verfahrens und Transparenz über die Gründe.

Was sprach für Dresden?
Wir müssen uns in Sachen Exzellenz in Sachsen nicht verstecken. Wir haben mit der TU Dresden eine Exzellenzuniversität vorzuweisen, haben eine breit aufgestellte Landschaft an Forschungsinstituten, mit dem Silicon Saxony rund um Dresden und den Batteriefabriken in Kamenz eine hervorragende Infrastruktur. Daran kann es also nicht gelegen haben.

Fehlt es dem Osten nicht insgesamt an Wissenschaft, an universitären und außeruniversitären Forschungsstätten?
Der Bund muss sich endlich an seine eigenen Beschlüsse halten. Schon 1992 hatten Bundesrat und Bundestag in der Förderalismuskommission beschlossen, dass Bundeseinrichtungen und Behörden ähnlich wie Ansiedlungen von Forschungseinrichtungen mit Beteiligung des Bundes, grundsätzlich im Osten Deutschlands erfolgen sollen. Die West-Lobby scheint aber immer wieder stärker zu sein. Wir haben in ganz Ostdeutschland das Problem, dass wir eine sehr kleinteilige Wirtschaft haben. 95 Prozent der Unternehmen zählen nicht einmal zehn Mitarbeiter. Diese Firmen sind strukturell kaum in der Lage, eigene Forschung und Entwicklung zu leisten – daher benötigen wir starke Forschungsinstitute und Hochschulen, um den Anschluss nicht zu verlieren.

Ist die Billiglohnstrategie gerade in Sachsen in den ersten Jahrzehnten nach der Wende gescheitert?
Die Billiglohnstrategie, welche die SPD mit ihrem Regierungseintritt vor knapp fünf Jahren in Sachsen beendet hat, ist doch ein doppelter Skandal. 25 Jahre wurden im Freistaat Löhne gezahlt, die einfach nicht akzeptabel waren. Und die damalige CDU-FDP-Regierung hat damit auch noch geworben. In Teilen der Wirtschaft ist bis heute nicht angekommen, dass die Arbeitskräfte knapp werden und der Wettbewerb der Regionen zunehmend auch und vor allem über faire Löhne und gute Arbeit ausgetragen wird.

Wenn die ostdeutschen Metaller drei Stunden länger arbeiten als die Kollegen im Westen, ist das aus Sicht der Unternehmen aber eine Standortvorteil.
Das ist eine große Ungerechtigkeit, welche die Menschen hier nicht mehr einsehen. Man muss wissen, viele haben hier nach 1990 auf höhere Löhne und Mitspracherechte verzichtet, um ihren Arbeitsplatz zu sichern. Viele sind deshalb bis heute aus Loyalität kritiklos gegenüber ihren Arbeitgebern. Ich bin froh, dass sich auch in Sachsen immer mehr Betriebsräte bilden und mehr Menschen in die Gewerkschaften eintreten.

Also sind Sie für die 35-Stunden-Woche in der Metallindustrie Ost?
Die Ost-West-Trennung ist nicht länger hinnehmbar. Spannend ist, dass es Parteien gibt, die fordern, dass sich in diesem Punkt der Westen dem Osten angleichen soll. Und es ist ein Skandal, wenn Arbeitgeberverbände West mit Werkbänken im Osten die Arbeitszeitverkürzung torpedierten. Ich halte das für einen Angriff auf den sozialen Ausgleich in Deutschland.

Profitiert davon die AfD?
Das Populisten versuchen aus den negativen Entwicklungen der vergangenen Jahrzehnte einen Vorteil zu ziehen. Dabei lügen die den Leuten etwas vor: Die Rechtspopulisten werden in Sachsen von wütenden Arbeitslosen genauso gewählt wie von Arbeitern mit Niedriglöhnen und reichen Mittelständlern und Beamten, welche die marktradikale Wirtschaftspolitik von Friedrich Merz toll finden. Deshalb hat die AfD auch trotz mehrfacher Ankündigung keinen Sozialparteitag durchgeführt – weil dann klar würde, dass sie bei sozialen Themen einem Teil ihrer Anhänger etwa vormachen.

Wie macht sich eigentlich der Ostbeauftragte der Bundesregierung bemerkbar?
Gibt es einen? Entschuldigung, ich habe seine Stimme noch nie gehört bei den Themen Gerechtigkeitsrente, Stärkung der Tarifbindung im Osten, oder den Kompensationszahlungen für einstige Reichsbahner oder anderer Betroffener, die für zu DDR-Zeiten gezahlte private Beiträge heute nicht die versprochen Zusatzrenten erhalten. Petra Köpping und ich als Ost-Beauftragter der SPD versuchen das ständig zu thematisieren. Das Konzept des „neuen Sozialstaats“ etwa würde enorm helfen, im Osten Ungerechtigkeiten abzubauen. Es ist ist die Aufgabe der zu wählenden Parteiführung, diese Themen nach vorne zu ziehen und wieder glaubwürdig zu vertreten.

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