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Felgen, Reifen, Bremsen. ATU verkauft in bundesweit mehr als 600 Filalen Werkstattservice und Autozubehör.

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ATU-Chef im Interview: "Das schwindende Vertrauen in die Autoindustrie ist gut für uns"

Jörn Werner, Chef der Werkstattkette ATU mit mehr als 600 Filialen, über die Diesel-Verschrottung, transparente Reparaturen und Kratzer im Lack der Automarken.

Jörn Werner (56) ist seit Mai 2015 Geschäftsführer der Werkstattkette ATU mit bundesweit gut 600 Filialen, etwa 10.000 Mitarbeitern und einem Umsatz von rund einer Milliarde Euro. In Berlin betreibt ATU 20 Filialen mit 400 Mitarbeitern. Nach Stationen unter anderem bei Metabo, Buderus und Bosch war Werner von 2012 bis 2015 Geschäftsführer der Handelskette Conrad Electronic. Der Diplomkaufmann wuchs in Dänemark und Norddeutschland auf.

Herr Werner, Millionen alte Diesel sollen verschrottet werden. Ist das eine schlechte Nachricht für ATU?

Ich sehe das eher als eine Chance. Das Vertrauen in die Autoindustrie schwindet, das ist gut für freie Werkstätten. Die Prämien, die die Autobauer jetzt anbieten, sind reine Marketingmaßnahmen. Wenn ich auf einem vollen Lager sitze, muss ich meine Produkte mit Rabatt verkaufen – damit die Kunden nicht zur Konkurrenz laufen. Die Hersteller senken die Preise auch, weil Diesel-Fahrzeuge weniger wert sind. Das zeigen gesunkene Restwerte von Gebrauchten und Leasingwagen.

Und wo liegt die Chance? ATU wird weniger zu tun haben, weil die alten Autos vom Markt verschwinden.

Wir sind nicht mehr die Werkstatt für alte Autos. Der klassische ATU-Kunde fährt ein drei bis zehn Jahre altes Auto. Die meisten kommen nach Auslaufen der zweijährigen Herstellergarantie zu uns. Darunter finden sich immer mehr Betreiber gemischter Fahrzeugflotten, die eine markenneutrale Meisterwerkstatt brauchen. Sie sehen, dass wir genauso gut sind wie die Vertragswerkstatt eines Herstellers, aber in der Regel 25 bis 30 Prozent preiswerter.


Wie hoch ist der Anteil der gewerblichen Kunden?

Wir liegen jetzt bei etwa acht Prozent, der Rest sind Privatkunden. Der Anteil soll aber deutlich wachsen.

Wird A.T.U Software-Updates für Diesel-Fahrzeuge anbieten?

Das hängt davon ab, ob die Autohersteller das wollen. Ich schätze, sie werden es alleine nicht schaffen. Wir bieten unsere Hilfe an und können Kapazitäten zur Verfügung stellen.

Haben Sie überhaupt Zugriff auf die Motorsteuerungssoftware?

Wir haben die gleiche Hardware zum Auslesen der Daten, und wir haben Zugang zur Software. Die Autokonzerne versuchen zwar immer häufiger, dem freien Werkstattmarkt den Zugang zu ihren Systemen zu erschweren, aber das ist nicht legal.

Gäbe es ein Problem mit der Garantie, wenn man die Umrüstung bei ATU machen ließe?

Wir erledigen jeglichen Service und jede Inspektion nach Herstellervorgaben. Damit ist unser Stempel im Serviceheft genauso viel wert wie der eines Autoherstellers.

Eine Autowerkstatt lebt von der Liebe zum Auto. Merken Sie, dass Ihre Kunden nach Dieselgate nüchterner an die Sache herangehen?

Wir bauen zum Glück keine Autos und müssen keine verkaufen. Wir werden eher als neutrale Instanz gesehen. Wir hatten schon Autofahrer, die uns gebeten haben, ihren VW nach Manipulationen durchzusehen. Bei den jungen Kunden stellen wir schon länger fest, dass ihnen das eigene Auto nicht mehr so viel bedeutet. Meine Generation hat sich sozial über ein Auto definiert. VW Golf oder Opel Ascona – das war damals wichtig.

Heute nicht mehr? In bestimmten Milieus und auf dem Land zählt die Automarke doch immer noch.

Das ist zwar so. Das merken wir auch in unseren Filialen in ländlicheren Regionen. Trotzdem bröckelt das alte Urvertrauen in die Marke und ihre technischen Eigenarten. Der Glanz verblasst. Es gibt immer weniger Menschen, die - wie unsere Großeltern – ein Leben lang die gleiche Automarke fahren, oft sogar das gleiche Modell. Warum auch? Der Dieselskandal hat gezeigt, dass das gute Image eines Herstellers schnell Kratzer bekommen kann.

Autowerkstätten haben das Problem, dass die Kunden meist schlechte Laune haben, weil ihr Auto kaputt ist. Was tun Sie dagegen?

Wenn der Kunde mit dem kaputten Auto zu uns kommt, ist es eigentlich schon zu spät. Wir wollen ihn deshalb künftig viel früher ansprechen. Die Werkstatt wird das Auto im Ernstfall schnell und preiswert reparieren. Aber wir verstehen uns nicht mehr als Reparaturbetrieb, sondern als Mobilitätsanbieter.

Das wollen ja jetzt alle werden in der Autobranche.

Richtig, die Frage ist aber, wer letztlich das Zeug dazu hat. Ich glaube nicht mehr allein an Werkstatt-Werbung, die im Briefkasten oder in der Zeitung liegt und für neue Reifen oder Bremsen wirbt. Ein Bremsen-Kunde kommt erst, wenn die rote Lampe leuchtet. Ich stelle mir etwas anderes vor.

Was denn?

Wir haben sechs Kundengruppen definiert, die wir künftig individuell ansprechen wollen, vom Geschäftsreisenden über die Familie bis zum Best Ager, der sein Cabrio spazieren fährt. Zum Beispiel werden wir Rundum-Sorglos-Pakete schnüren: Wir verkaufen nicht nur Reifen oder Bremsen, sondern eine Flatrate, die der Kunde nutzt, wenn die Reifen oder Bremsen ersetzt oder Reparaturen erledigt werden müssen. Wir müssen unseren verschiedenen Kunden das Problem Mobilität komplett und individuell zugeschnitten abnehmen.

Wie nehmen Sie ihnen den Verdacht, dass die Werkstatt mehr repariert als nötig ist?

Erstens bekommen unsere Mechaniker die klare Anweisung, nicht mehr zu reparieren als nötig ist. Zweitens bieten wir feste Paketpreise und Tiefstpreisgarantien an. Vermutlich im kommenden Jahr werden wir auch eine App haben, über die wir direkt und digital in den Dialog mit den Kunden treten können. Wenn zum Beispiel etwas repariert werden soll, kann der Mechaniker aus der Werkstatt heraus beim Kunden nachfragen, ob es zu einem bestimmten Preis gemacht werden soll und im Zweifel ein Foto senden.Autos stehen die meiste Zeit herum, sie sind haltbarer als früher und wenn sie fahren, bleiben sie seltener liegen. Da bleibt der Werkstatt weniger zu tun, oder?

Autos halten länger, deshalb werden sie länger gefahren. Das deutsche Durchschnittsauto ist mehr als neun Jahre alt. Das ist gut für uns. Nicht gut für uns ist, dass die Serviceintervalle immer länger werden. Wir sehen aber, dass die Kunden treuer werden und zu uns zurückkommen. Auch, weil wir unser Serviceangebot erweitern: Smart Repair, Glas und anderes. A.T.U ist in der Vergangenheit immer auf Reifen reduziert worden. Das stimmt nicht mehr.

Womit machen Sie den größten Umsatz?

Reifenverkauf und Reifenservice machen noch rund ein Viertel des Umsatzes von knapp einer Milliarde Euro aus. Stark sind auch Bremsen, Inspektionen, TÜV und Services. 80 Prozent entfallen auf das Werkstattgeschäft, der Rest auf die Shops. Das Shopgeschäft ist in den vergangenen Jahren vernachlässigt worden, wir werden es mit Unterstützung unseres neuen Eigentümers Mobivia ausbauen und modernisieren.

Gehen die Kunden nicht heute schon unter in der Vielfalt der Pflegemittel, Motoröle und Zubehörteile?

Bei ATU sah es ja bis vor einem Jahr noch anders aus. Unsere Shopsortimente waren ausgedünnt und nicht sehr attraktiv. Das ändert sich jetzt. Wir verkaufen und reparieren ja inzwischen auch E-Bikes, hier bieten wir zum Beispiel entsprechendes Zubehör an. Ich kann mir vorstellen, dass ATU in Zukunft auch wieder Pkw-Ersatzteile verkaufen wird.

Ist dieser Markt nicht längst ins Internet abgewandert?

Wir bieten alles auch online an, aber im Netz sind die Preise ruiniert worden. Wir setzen deshalb mehr auf Kunden, die in eine unserer mehr als 600 Filialen kommen, Beratung brauchen, vielleicht auch Hilfe beim Einbau von Ersatzteilen. Nur fünf Prozent des Teile-Marktes entfällt auf die reinen Do-it-yourself-Schrauber, alle anderen wollen auch den Service. Die Kombination aus Produkt und Service, das ist unsere Zukunft.

Vor einem knappen Jahr stand ATU vor der Insolvenz. Wie sehr belastet Sie das Pleite-Image noch?

Gar nicht. Wir sind entschuldet, haben unsere einst zu hohen Mieten erheblich reduziert und arbeiten seitdem wieder profitabel.

Seit 2002 hatte ATU in 15 Jahren fünf Eigentümer. Sind Sie sicher, dass in drei Jahren nicht ein sechster bei Ihnen einzieht?

Wir gehören seit Dezember 2016 zur Mobivia Groupe, einer Art internationaler Föderation von Kfz-Werkstattketten unter dem Dach einer französischen Holding in Familienbesitz. Unser neuer Eigentümer will uns wahrscheinlich nie wieder verkaufen, weil wir perfekt zusammenpassen. Mobivia ist, anders als die Finanzinvestoren zuvor, ein strategischer Investor, der langfristig denkt und der die Branche kennt und genau das gleiche macht wie wir. Es haben Mobivia nur noch der deutsche und der Schweizer Markt sowie Teile von Österreich gefehlt. Besser hätte es A.T.U nicht treffen können.

Ihr neuer Eigentümer ist auch an Carsharing-Firmen beteiligt. Wird es künftig ein ATU-Carsharing geben?

Dazu gibt es derzeit keine Pläne. Unser Ziel lautet: Wir wollen unseren Kunden Mobilität einfach und bequem zugänglich machen, vergleichbar mit einem Convenience-Produkt oder einem Einkauf bei Amazon. Mobilität hat künftig viele Gesichter. Ich glaube, dass zwischen dem Fahrrad und dem Auto ein sehr breiter Markt für neue, meist elektrische Fahrzeuge entstehen wird, der für ATU sehr interessant ist: Zweisitzer, Dreisitzer, Scooter.

Stichwort Elektromobilität. Werden die einfach konstruierten E-Autos ein Problem für A.T.U?

Nein. Reifen, Karosserie, Glas, Bremsen, Batterie bleiben auch bei Elektroautos ein Thema. Aber richtig ist: Wir müssen mehr Autos reparieren, weil am einzelnen E-Auto weniger zu machen ist. Und wir müssen uns den erwähnten neuen Fahrzeugtypen widmen, die in Ballungsräumen wie Berlin wichtiger werden.

Alle erwarten, dass neue Spieler in den Automarkt drängen. Bieten Sie sich Tesla & Co. als Partner an?

Tesla versucht, einen eigenen Service aufzubauen. Aber es kommen sehr viele neue Anbieter von Elektromobilität, zum Beispiel aus Asien, die einen Servicepartner in Europa brauchen. Hier sind wir mit Mobivia die Nummer eins. Wir führen sehr intensive Gespräche mit einigen Unternehmen über Serviceverträge.

ATU investiert wieder. Eröffnen Sie neue Filialen?

Wir wollen natürlich wieder wachsen, neue Filialen wird es in Deutschland aber eher nicht geben. Wir sind hier gut aufgestellt. Aber ich kann mir Kooperationen oder Franchiselösungen mit Partnern vorstellen. Man muss ja nicht alles selber machen.

Suchen Sie Mitarbeiter?

Ja, für die Werkstatt. Wir beschäftigen allein 2500 Kfz-Meister und wir suchen dringend gute Leute, vor allem Mechaniker. Wir bilden zwar aktuell rund 1000 junge Leute aus, aber das reicht nicht. Das größte Risiko für unsere Wachstumspläne ist das fehlende Personal.

Sie zahlen vielleicht schlechter als die Vertragswerkstätten.

Wir zahlen marktüblich. Eines unserer Hauptprobleme ist: Wir arbeiten auch samstags. Das freut unsere Kunden, aber es ist eine Belastung für unsere Mitarbeiter. Das lässt sich mit Geld nur bedingt regeln. Man muss einfach für die Mitarbeiter ein guter Arbeitgeber sein.

Das Gespräch führte Henrik Mortsiefer.

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