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Das Kernkraftwerk Brokdorf in Schleswig-Holstein.

© imago/ Thomas Robbin

Atomausstieg in Deutschland: Kompetenz für Atomausstieg schwierig zu halten

Wenn 2022 das letzte deutsche AKW vom Netz geht, steht die Abwicklung der Kernenergie an. Kraftwerke müssen zurückgebaut, hochradioaktive Abfälle eingelagert werden – eine gewaltige Aufgabe.

Horst Geckeis hat einen tiefgreifenden Wandel miterlebt. Als er 1989 ans Forschungszentrum Karlsruhe kam, einen Vorläufer des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT), war dort noch eine Pilotanlage zur Wiederaufbereitung von Kernbrennstoff in Betrieb. „Seit der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl hat die gesellschaftliche und politische Akzeptanz der Kerntechnik stark abgenommen. Das spüren wir“, sagte Geckeis, heute Leiter des Instituts für Nukleare Entsorgung am KIT. 1990 wurde die Arbeit in der Pilotanlage eingestellt, heute befindet sie sich im Rückbau. 

Geckeis zeichnet das Bild eines Fachgebiets mit negativen Image. Eines, das für junge Wissenschaftler wenig attraktiv sei und Verantwortliche nicht überzeuge, Forschungsgelder in „dringend benötigte Infrastruktur zu investieren“. Auch die Breite an Studienangeboten nehme stark ab. Aber: „Um auch in Zukunft auf kompetente Experten bei der Gestaltung eines sicheren Kernenergieausstiegs zurückgreifen zu können, muss ein Umdenken stattfinden“, sagte Geckeis.

Koalition will Konzept für Kompetenzerhalt

Das Thema Kompetenzverlust macht Politikern und Akteuren der Endlagersuche schon länger Sorgen. Die Herausforderungen sind gewaltig. 2022 geht das letzte Akw vom Netz. Doch erst im Jahr 2031 soll ein Endlager für hochradioaktive Abfälle gefunden sein. Dessen Bau und die Einlagerung des Atommülls werden Jahrzehnte in Anspruch nehmen. Bis dahin stehen 1900 Castor-Behälter mit strahlenden Altlasten in 16 Zwischenlagern.

Außerdem ist da Schacht Konrad, das Endlager für schwach- und mittelradioaktive Stoffe. Erst 2027 soll es fertiggestellt sein. Auch die Einlagerung dieser Abfälle wird Jahrzehnte dauern und wohl beginnen, bevor die Abfälle aus dem maroden Atommülllager Asse zurückgeholt werden können. 126.000 Fässer mit Metallschrott, Laborabfällen und Bauschutt lagern in dem mittlerweile instabilen Bergwerk.

Die schwarz-rote Koalition hat die Herausforderungen erkannt. SPD und Union haben sich in den Koalitionsvertrag geschrieben, den Kompetenzverlust aufzuhalten. „Wir werden ein Konzept zum perspektivischen Erhalt von Fachwissen und -personal für Betrieb, Rückbau und zu Sicherheitsfragen bei Nuklearanlagen sowie für Zwischen- und Endlagerung erarbeiten“, heißt es dort.  

Das in Bau befindliche Atomendlager Schacht Konrad in Salzgitter soll schwach- und mittelradioaktiven Atommüll aufnehmen.
Das in Bau befindliche Atomendlager Schacht Konrad in Salzgitter soll schwach- und mittelradioaktiven Atommüll aufnehmen.

© dpa/ Silas Stein

Nach Angaben des Bundesumweltministeriums (BMU) laufen die Arbeiten an dem Konzept bereits. Anfragen an Landesbehörden, Betreiber und Forschungseinrichtungen sind versandt, Rückmeldungen werden diesen Monat erwartet. Auch das Bundeswirtschaftsministerium und das Bundesforschungsministerium  sind involviert. Das BMU machte gegenüber Tagesspiegel Background keinen Hehl daraus, dass es viel Zeit kosten wird, den Bedarf für die Kompetenzerhaltung im Bereich nukleare Entsorgung und Bergbau zu ermitteln. Ohnehin müssen Fragen der Ausbildung, Forschungsförderung und ihrer gesellschaftlichen Akzeptanz erörtert werden. Auch international wird das BMU mitreden wollen, wenn es um die Sicherheit grenznaher Akw geht.

„Wir stehen vor einer Generationenaufgabe“

Gerade für die Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) ist ein Fortschritt drängend. 1900 Mitarbeiter hat das Unternehmen derzeit. Zwar wird der Personalbedarf um Schacht Konrad mit Beginn der Einlagerung des Atommülls sinken. In der Asse aber wird er steigen, wenn die Rückholung der Altlasten näher rückt. Auch für die Suche nach einem Endlager für die hochradioaktiven Abfälle werden bald neue Geowissenschaftler, Hydrochemiker und Bergbauingenieure benötigt. 

Gleichzeitig rechnet man in der BGE damit, dass sich durch den Ausstieg aus der Kerntechnik und dem Bergbau der Nachwuchs in diesen Spezialdisziplinen ausdünnen wird. In den bundeseigenen Gesellschaften ist es kein Geheimnis, dass man auf dem Arbeitsmarkt in Konkurrenz zueinander tritt. Bereits heute bekommen sie den Fachkräftemangel voll zu spüren. „Bei der Standortauswahl stehen wir vor einer Generationenaufgabe, die einen kontinuierlichen Wissenstransfer im Sinne eines lernenden Verfahrens verlangt“, sagte Steffen Kanitz, einer der Geschäftsführer der BGE. 

Wie schwierig das werden kann, zeigt ein Blick auf die Hochschullandschaft. 2015 gab es im Bereich Reaktortechnik und Sicherheitsforschung noch 15 Professuren. Heute sind es nur noch zehn – und ihre Zahl wird im kommenden Jahrzehnt abnehmen. Deshalb fordert die FDP Mittel für die Erhaltung der bestehenden Lehrstühle über 2022 hinaus. In einem integrierten Bildungskonzept müssten auch nukleare Forschungsanlagen weiter finanziert werden. Für den FDP-Bundestagsabgeordneten Martin Neumann gehört außerdem „die Förderung internationaler Forschungskooperationen ganz oben auf die Liste“. 

Die BGE will Nachwuchskräfte nun selbst gezielt fördern und schnell an das Unternehmen binden, etwa durch Berufspraktika oder Unterstützung bei Examensarbeiten. Durch Kooperationen mit Hochschulen soll das Angebot an dualen Studiengängen dort ausgebaut werden, wo Fachrichtungen wie Bergbau, Maschinenbau oder Anlagenbau  bestehen. Bislang besteht eine solche Kooperation nur mit dem KIT im Bereich des Strahlenschutzes. 

Wirtschaftsministerium will Hermes-Deckungen

Auch politisch ist der Kompetenzerhalt kein Selbstläufer. Wie strittig atompolitische Themen behandelt werden, zeigt eine Idee von Thomas Bareiß, parlamentarischer Staatssekretär im Wirtschaftsministerium. Er hatte kürzlich die Wiederaufnahme von Hermes-Bürgschaften für Atomexporte ins Spiel gebracht. „Sie dienen dem Erhalt von Kompetenzen und der Sicherheit von Kernkraftanlagen im europäischen Ausland“, sagte der CDU-Politiker dem Tagesspiegel. Auch die klassischen Instrumente der Exportpolitik sollten seiner Ansicht nach im Konzept für die Kompetenzerhaltung berücksichtigt werden. „Dazu gehört auch die Hermes-Deckung von Exporten kerntechnischer Sicherheitstechnologie“, sagte Bareiß. 

Dass Hermes-Bürgschaften ausgerechnet in einem Konzept verankert werden könnten, das die Kompetenz für den Ausstieg erhalten soll, ärgert vor allem die Grünen. Deshalb solle das zuständige Umweltministerium jetzt zügig ein Konzept vorlegen, fordert Sylvia Kotting-Uhl, die atompolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag, „weil das Vorgehen von Forschungs- und Wirtschaftsministerium in der Vergangenheit nicht immer atomausstiegskonform war“. Wünschenswert sei ein Monitoring, das die Verwendung der Mittel auf ihre Ausstiegskonformität  hin prüfe.  

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