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Klaus-Dieter Marten betreut das Archiv der Berliner Sparkasse, sortiert und dokumentiert, was aus 200 Jahren Geschichte übrig geblieben ist und was von heute übrig bleiben soll.

© Mike Wolff

Archiv der Berliner Sparkasse: Von Sparbuchfälschern und Drive-in-Filialen

Vor 200 Jahren ist die Berliner Sparkasse gegründet worden. Im Archiv wacht Klaus-Dieter Marten über ihre Geschichte. Ein Besuch

Von Carla Neuhaus

Wer Geschichten über Sparbuchfälscher und Zigarettenhändler, über Kriege und Kredite hören will, der muss in den Keller des Dienstleistungszentrums der Berliner Sparkasse im Wedding fahren. Im zweiten Untergeschoss, geht es einen verwinkelten Gang entlang, dann schließt Klaus-Dieter Marten eine Eisentür auf. Neonlampen springen an und erleuchten einen Raum, in dem reihenweise Metallschränke stehen. In einer Vitrine sind Sparschweine ausgestellt von der Blechbüchse bis zur Donald-Duck-Figur, in einer anderen liegen vergilbte Sparbücher. Allein die Leuchtzeichen, die an der Wand lehnen, erzählen eine Geschichte für sich: das bunte Logo der Berliner Bankgesellschaft, der schwarze Schriftzug der Landesbank-Berlin, ein Sparkassen-S. „Die Leuchtschriften haben wir gerettet“, sagt Marten.

Seit elf Jahren betreut er das Archiv der Berliner Sparkasse, sortiert und dokumentiert, was aus 200 Jahren Geschichte übrig geblieben ist und was von heute übrig bleiben soll. Aktenordner voll Schriftverkehr, alte Filmrollen, Werbeplakate, ganze Fotoalben hortet er in den Schränken. Immer wieder entdeckt Marten dabei etwas, das auch für ihn noch neu ist, wie dieses Foto aus einer Filiale in Ost-Berlin, 1983 geknipst, als dort die ersten PCs eingeführt werden.

Die erste Filiale wird im Obergeschoss vom alten Rathaus eröffnet

Wenn Marten erzählt, hat man das Gefühl, er sei dabei gewesen. So auch am 15. Juni 1818, als die Sparkasse im Obergeschoss des alten Berliner Rathauses ihre erste Filiale eröffnet. Gerade einmal 551 Kunden hat das Institut am Ende des ersten Jahres. Zwar ist die Sparkasse „für die ärmere Klasse“ gegründet worden: Sie soll Tagelöhnern und Dienstboten die Möglichkeit geben, ihr Erspartes bei der Bank zu verwahren. Doch noch können sich die wenigsten das Sparen leisten. Jeder Taler wird sofort ausgegeben.

Das ändert sich ab 1871, als Berlin zur Hauptstadt des Deutschen Kaiserreichs wird und Unternehmen wie Borsig, Siemens und AEG zehntausende Jobs schaffen. Im Archiv zieht Martens ein dünnes, schwarzes Buch von 1874 hervor. Es ist das älteste Objekt in seiner Sammlung. Quittungsbuch nennt sich damals noch, was heute als Sparbuch bekannt ist. Handschriftlich sind einzelne Buchungen eingetragen, auf dem Umschlag weist das Institut auf die Öffnungszeiten bis 14 Uhr hin. Wer damals Geld einzahlen oder abheben will, braucht Geduld: Der letzte Betrag im Sparbuch wird mit den Zahlen in den Unterlagen der Sparkasse abgeglichen. Erst dann trägt der Buchhalter den neuen Wert ein, den ein Kollege nochmal kontrolliert. „Denn schon damals gab es Sparbuchfälscher“, sagt Marten.

Der Zigarettenhändler als Ersatz für die Filiale

Um zu zeigen, wie es in den Anfangsjahren in der Filiale zugeht, holt er die Kopie eines Stichs von 1894 hervor. Der zeigt die volle Kassenhalle im Mühlendammgebäude: Die Männer tragen Zylinder oder Melone, die Frauen lange Kleider und Hut. Ein Mann zählt sein Kleingeld, während die Frau neben ihm in der Schlange ein Buch liest. Marten zeigt auf die Lampen an den Wänden, „das war eins der ersten Gebäude in Berlin mit elektrischem Licht“. Weil der Andrang so groß ist, führt die Sparkasse damals ein neues Konzept ein. Einzelhändler können sich darum bewerben, Spargelder anzunehmen. Wie man heute seine Pakete im Kiosk abholt, zahlt man damals beim Zigarettenhändler sein Kleingeld ein. Auch das Sparbuch muss man dafür abgeben – ein paar Tage später bekommt man es mit dem neuen Eintrag zurück.

All das kann Marten nur erzählen, weil einer seiner Vorgänger es zum 100-jährigen Jubiläum 1918 aufgeschrieben hat. Die kleine, vergilbte Kladde ist eines der wenigen Originale aus der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg, die erhalten sind. Denn 1945 wird der Hauptsitz der Sparkasse am Alexanderplatz bei einem Großangriff stark beschädigt. Im Keller, in dem das Archiv damals untergebracht ist, steht wochenlang das Wasser. „Viele Dokumente sind in dieser Zeit verloren gegangen“, sagt Marten. Deshalb weiß er auch wenig über die Zeit des Nationalsozialismus, in der die Sparkasse gleichgeschaltet wird und jüdische Mitarbeiter entlassen werden. Diese Lücke in der Geschichte will die Sparkasse in den kommenden Monaten mit der Unterstützung anderer Archivare und Historiker aufarbeiten. Im September sollen sich die Fachleute dafür im Haus treffen.

Mehr erzählen kann Marten über die Zeit der Teilung, in der nicht nur die Stadt sondern auch die Sparkasse in Ost und West gespalten wird. Im Osten wird die Sparkasse zum Vollzugsorgan der Staatsgewalt, die Spareinlagen werden für den „sozialistischen Aufbau“ verwendet. Im Westen konzentriert man sich auf den Konsum: „Das wünsch ich mir, drum spare ich“ lautet ein Slogan. Im Osten werden „Betriebssparstellen“ in Unternehmen eingerichtet. In West-Berlin baut man Autoschalter, an denen man vom Auto aus Geld abheben kann, so wie man heute im Drive-in Burger ordert.

Anstehen fürs Begrüßungsgeld

Auf den Schwarz-Weiß-Fotos aus der Zeit des Mauerfalls sind lange Schlangen vor den Filialen zu sehen. Tausende Menschen aus Ost-Berlin wollen ihr Begrüßungsgeld abholen: 100 D-Mark für jeden. Die Mitarbeiter machen teils die Nacht durch, die Kunden bringen Kuchen vorbei. Ähnlich voll wird es, als am 1. Juli 1990 im Osten die D-Mark eingeführt wird. Weil das verfügbare Bargeld schnell ausgegeben ist, holt ein Direktor Nachschub, fährt zwei Millionen D-Mark in seinem Lada durch Berlin.

Mit der Wiedervereinigung wächst auch die Ost- und die West-Sparkasse wieder zusammen, Mitarbeiter aus West-Berlin werden austauschweise in Ost-Filialen geschickt. 1994 dann schließen sich die Landesbank mit der Sparkasse, die Berliner Bank und die Berlin-Hannoversche Hypothekenbank zur Bankgesellschaft Berlin zusammen. Wie viel sich allein seitdem gewandelt hat, zeigen die Leuchtschriften, die im Archiv an der Wand lehnen. Da das bunte Logo der Berliner Bankgesellschaft, das nach dem Skandal um riskante Immobiliengeschäfte und der Rettung durch das Land 2006 vom Dach des Alexanderhauses verschwindet. Die Berliner Bank geht an die Deutsche Bank, die Landesbank mit der Sparkasse an die Sparkassen Finanzgruppe. Über Jahre hängt am Alexanderplatz der Schriftzug „Landesbank Berlin“, bis auch der vor vier Jahren abmontiert wird. In Martens Akten kann man nachlesen, wie die die letzten Kleinaktionäre, die noch Aktien der Landesbank besitzen, damals herausgedrängt werden. Wie die Sparkassen-Finanzgruppe die Landesbank auflöst. So dass heute nur noch das übrig ist, womit es vor 200 Jahren angefangen hat: die Sparkasse. Ihre Geschichte bleibt, Klaus-Dieter Marten hat sie abgeheftet, nummeriert und einsortiert in 40 Aktenschränken.

Service: Das Archiv der Berliner Sparkasse ist nicht öffentlich. Einen Einblick in die Geschichte des Sparens gibt aber eine Sonderausstellung im Deutschen Historischen Museum, die bis zum 4. November verlängert wird. In der kann man verfolgen, wie sich das Sparen über die Jahrzehnte verändert hat und wie es immer wieder politisiert wurde. So lernt man etwa, dass Friedrich Krupp seinen Mitarbeitern das Sparen einst bezuschusst hat, um die Sozialdemokratie zu schwächen. Kindern wird in der Ausstellung spielerisch beigebracht, was Inflation ist. Über die Zeichentrickfilme, mit denen einst fürs Sparen geworben wurde, können aber auch Erwachsene schmunzeln.

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