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Ein bisschen Anerkennung vom Chef für die eigene Arbeit wirkt Wunder für die Motivation.

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Arbeitswelt: Wie Unternehmen Stress reduzieren

Viele Arbeitnehmer fühlen sich zunehmend gestresst. In manchen Unternehmen meditieren Manager deswegen. In anderen radeln sie am Schreibtisch.

Zwar müssen die meisten Menschen nicht mehr so malochen wie früher auf dem Feld oder in dunklen, verstaubten Fabrikhallen. Dafür sind immer mehr mental erschöpft. Was man unter anderem daran erkennt, dass sich die Zahl der Fehltage aufgrund psychischer Erkrankungen in den vergangenen 20 Jahren mehr als verdreifacht hat. Aus keinem anderen Grund bleiben die Deutschen ihrem Arbeitsplatz mittlerweile länger fern.

Gründe für Stress sind zu viele, zu komplexe Aufgaben, ein starker Termin- und Leistungsdruck, Multi-Tasking, Unterbrechungen, ständige Erreichbarkeit sowie eine ungesunde Führungs- und Arbeitskultur. Kurzfristige Stressreaktionen können zwar durchaus aktivierend wirken. Bleibt der Pegel aber hoch, ohne dass sich der Mensch zwischendurch erholen kann, schaltet der Körper auf Daueralarm – mit schädlichen Konsequenzen. Weil es vielen Arbeitnehmern heutzutage so geht, zählt die Weltgesundheitsorganisation (WHO) Stress zu den größten Gefahren des 21. Jahrhunderts.

Eine aktuelle Befragung des Deutschen Gewerkschaftsbundes zeigt außerdem, dass die Digitalisierung die Mehrheit der Mitarbeiter eher zusätzlich belastet und das Leben nicht einfacher macht. Je intensiver Arbeitnehmer demnach mit digitalen Mitteln arbeiten, desto mehr müssen sie in der gleichen Zeit schaffen. Sie klagen über mehr Hetze und darüber, dass Arbeitsabläufe durch E-Mails häufiger gestört werden. Häufig ploppen Anfragen aus dem Büro auch noch am Abend auf, wenn sich die Mitarbeiter eigentlich vom Tag erholen sollen.

„Durch die Digitalisierung können sich Risiken für psychische Erkrankungen weiter verstärken“, sagt auch Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD). Zwar hatte sie die Prüfung einer „Anti-Stress-Verordnung“ bereits in den Koalitionsvertrag aufgenommen und eine Debatte zu dem Thema angestoßen – doch bislang ohne greifbares Ergebnis. Nun hat sie mit Gewerkschaften und Arbeitgebern einen Runden Tisch mit dem Titel „Dialog: Psychische Gesundheit in der Arbeitswelt“gegründet, der bis Ende 2018 tagen soll. Ziel: die Stressreduktion in deutschen Firmen.

Einige Betriebe haben jedoch schon ohne politischen Einfluss erkannt, dass sie allein aus Eigennutz davon profitieren, wenn ihre Mitarbeiter erholt und zufrieden sind. Ausgelaugte Angestellte sind weniger motiviert und leistungsstark. Sie werden häufiger krank oder wechseln das Unternehmen. Das Prinzip, mehr Produktivität durch mehr und noch mehr Arbeit zu erreichen, geht in Zeiten des Fachkräftemangels nicht länger auf. Statt sich ungesunden Stress anzutun, können talentierte Bewerber wählen, wie sie arbeiten möchten. Ob sie in einen Betrieb gehen, in dem sie sich krankschuften oder in einen, in dem sie sich wohlfühlen. Wo sie Freiräume haben und genügend Zeit für ein Privatleben. Bieten Unternehmen also Anti-Stress-Maßnahmen an, dann nicht nur, weil sie es aus Empathie und Nettigkeit wollen – sondern auch, weil sie es müssen.

Nicht immer erreichbar sein

Die Anzeige auf einem iPhone weist auf zahlreiche ungelesene Mails, verpasste Anrufe, anstehende Kalenderereignisse und SMS hin.
Die Anzeige auf einem iPhone weist auf zahlreiche ungelesene Mails, verpasste Anrufe, anstehende Kalenderereignisse und SMS hin.

© dpa

Die deutschen Autokonzerne nerven ihre Mitarbeiter schon länger nicht mehr mit E-Mails in der Freizeit. Bei BMW ist das Recht auf Nicht-Erreichbarkeit zu bestimmten Zeiten seit 2014 festgeschrieben. Volkswagen leitet 30 Minuten nach Arbeitsschluss keine Mails mehr an die mobilen Endgeräte der Mitarbeiter weiter. Und Daimler-Angestellte können jene, die während ihres Urlaubs eingehen, sogar automatisch löschen lassen.

Bei anderen Konzernen wie der Deutschen Telekom gibt es eine „Blackberry-Policy“, eine Selbstverpflichtung der Leitenden Angestellten, auf Anrufe und Nachrichten in der freien Zeit ihrer Mitarbeiter zu verzichten. BASF hat das Programm „E-Mail-Diät“, entwickelt, bei der Mitarbeiter ihr Mailverhalten zunächst einmal kritisch hinterfragen sollen: Ist diese Mail notwendig? Muss sie wirklich jetzt geschrieben werden?

Das Thüringer Autocentrum Elliger mit 28 Beschäftigten hatte hingegen das Problem, dass zu viele interne Telefonate das Team störten. Deswegen läuft die interne Kommunikation nun über einen Teamchat. Jeder kann jedem eine Frage schicken, die als Sprechblase unten im Bildschirm erscheint und erst verschwindet, wenn sie beantwortet wurde. Somit könnten die Beschäftigten den Zeitpunkt ihrer Arbeitsunterbrechung besser steuern und fühlten sich nicht so getrieben.

Experten raten außerdem dazu, Konferenzen zu smartphonefreien Phasen zu erklären. Wird das Denken, Diskutieren und Tun ständig unterbrochen, schaffe man am Ende nämlich nichts so richtig. Also lieber das Smartphone in der Schublade lassen und konzentriert am Meeting teilnehmen. Dann würde es vielleicht auch nicht so lange dauern.

Bewegung und Erholung

Ein Siemens-Mitarbeiter beim Yoga im betriebsinternen Fitnessstudio in Berlin.
Ein Siemens-Mitarbeiter beim Yoga im betriebsinternen Fitnessstudio in Berlin.

© picture alliance / dpa

Auch wenn man nach einem langen Tag nur noch aufs Sofa fallen und nichts mehr tun möchte: Sport hilft enorm gegen Stress. Dadurch werden Hormone wie Endorphine und Serotonin produziert, die Stresshormone neutralisieren und den Menschen glücklich machen. Google und Otto haben deswegen eigene Fitnessstudios. Trivago plant eine Laufstrecke auf dem Dach der neuen Firmenzentrale in Düsseldorf, Tschibo hat ein Schwimmbad. Außerdem gehört Yoga bei den großen Firmen mittlerweile zum festen Sportangebot.

Die Telekom ist für eine Idee beim diesjährigen Deutschen Unternehmenspreis Gesundheit des BKK Dachverbandes ausgezeichnet worden. Seit 2016 stellt das Unternehmen Mitarbeitern sogenannte „Deskbikes“ zur Verfügung. Während sie am Schreibtisch sitzen und tippen, können sie damit auf der Stelle radeln. Ideal sei es, täglich 15 bis 30 Minuten in die Pedale zu treten. Auch wenn die Jury erst schmunzeln musste, überzeugte sie das Konzept. Was sie noch prämierte, war das Angebot des Bayer Supply Centers in Grenzach zu „Gesundem Schlaf“. Bei einem Aktionstag bekamen Mitarbeiter Tipps, wie sie nachts am besten ruhen können. Künftig soll es für Schichtarbeiter Ruhe- und Schlafräume geben.

Ordnung im Kopf schaffen

Eine Frau meditiert in Berlin im Lotussitz.
Eine Frau meditiert in Berlin im Lotussitz.

© picture alliance / dpa

Seitdem der ehemalige Google-Entwickler Chade-Meng Tan ein Buch über Achtsamkeit geschrieben hat, schwören immer mehr Manager darauf, zu meditieren. Dabei geht es nicht darum, die Augen zu schließen und sich eine kleine Pause zu gönnen. Es geht darum, bewusst nicht zu denken, nicht zu grübeln, sondern nur zu sein. Was alles andere als einfach ist. Studien haben bewiesen, dass regelmäßiges Meditieren nicht nur für einen klaren Kopf sorgt, Aufmerksamkeit und Konzentration schult, sondern sogar zu sichtbaren Änderungen in dafür zuständigen Hirnregionen führen kann.

Dass sie gerne schweigend im Schneidersitz sitzen, wenn der Stress zu viel wird, sagen zum Beispiel Peter Terium, Chef der RWE-Tochter Innogy, und Norbert Reithofer, Vorsitzender des BMW-Aufsichtsrates. Auch Osram und Bosch lassen ihre Manager meditieren und bieten Angestellten Achtsamkeitskurse an, für die es meistens lange Wartelisten gibt. Im Berliner Büro der Beratungsfirma McKinsey finden regelmäßig „Mindfulness“-Kurse statt, eine besondere Form der Meditation. Und bei SAP setzt sich Peter Bostelmann sogar nur mit dem Thema Achtsamkeit auseinander. Er ist „Director Global Mindfulness Practice“ bei dem Softwareunternehmen und hat mit seinem Team herausgefunden, dass Mitarbeiter, die das Seminar besucht haben, seltener krank sind als Kollegen ohne Meditationserfahrung.

Eine andere Führungskultur

Kolleginnen beim Brainstorming.
Kolleginnen beim Brainstorming.

© dpa-tmn

Was für die Zufriedenheit der Mitarbeiter wichtig ist, sind auch soziale Faktoren wie Anerkennung, Konflikte, die Stimmung im Team und die Beziehung zum Chef. Deswegen schicken große Unternehmen ihre Führungskräfte immer öfter zu Trainings oder lassen sie coachen. Ein nachgefragtes Seminarthema: Stressmanagement. Bei BMW ist die Teilnahme daran Pflicht; bei Bosch oder der Deutschen Bank wird der Weiterbildungskurs eher als ein Angebot verstanden. Die Telekom bietet Führungskräften zudem E-Learning-Programme an.

Am Ende verbessert sich in einem Betrieb nämlich nicht viel, wenn die Führungskräfte keine guten Vorbilder sind. Wenn es zwar theoretisch heißt, die Mitarbeiter sollten sich nicht überarbeiten, aber der Chef argwöhnisch guckt, wenn der Mitarbeiter pünktlich geht, bleibt alles, wie es ist. Unausgesprochen heißt es nach wie vor: Lange bleiben, mehr leisten. Spricht man mit jenen, die Führungskräfte schulen, sind sie sich einig: Das Stressproblem in deutschen Firmen lässt sich nicht nur mit weniger E-Mails und mehr Sport lösen. Es braucht eine andere Kultur, in der Pausen, Bewegung und Schlaf von den Chefs als etwas Gutes angesehen werden.

So denken auch die Arbeitnehmer. In einer aktuellen Studie der Techniker Krankenkasse sagten neun von zehn Befragten, dass es letztlich an den Führungskräften liegen würde, ob auf ein gesundes Arbeiten geachtet werde – oder nicht. Sie seien wichtiger als das Budget, das dem Unternehmen dafür zur Verfügung stünde.

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