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Eine Frau zu Hause.

© picture alliance / Daniel Naupol

Update

Arbeitsmarkt: Klickarbeiter jobben von Cent zu Cent

Der Winter macht sich am Arbeitsmarkt zwar bemerkbar, doch die Zahlen bleiben robust. Worüber nicht gesprochen wird, sind die digitalen Tagelöhner.

Sie recherchieren Adressen, beantworten Umfragen, liken Facebook-Seiten. Sie programmieren Apps, entwerfen Logos und formulieren Werbetexte. Manch einer erledigt seine Aufgabe vom Strand in Mexiko aus und verdient zehntausend Euro im Monat. Die Mehrheit jobbt jedoch von Cent zu Cent.

In Deutschland arbeiten inzwischen rund eine Million sogenannte Klickarbeiter. In den USA und Schwellenländern ist es noch weiter verbreitet. Sie registrieren sich auf Internet-Plattformen wie Amazon Mechanical Turk oder Jovoto und konkurrieren mit Menschen auf der ganzen Welt um Mini-Aufträge. Ein Beispiel: Ein Unternehmen möchte die Öffnungszeiten von 50 000 Geschäften in Berlin wissen. Die Liste der Läden wird auf der Plattform veröffentlicht. Statt drei Leuten arbeiten sich nun Tausende daran ab, mit dem Ergebnis, dass die Daten schon in wenigen Tagen vorliegen. Coca-Cola, Microsoft, Adidas, Audi, VW, Deutsche Bank, Deutsche Telekom, Airbus – sämtliche Großunternehmen nutzen diese Möglichkeit inzwischen. Aus Sicht der Gewerkschaften betreiben sie moderne Sklaverei.

Erst vor einer Woche hat die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) einen 80 Seiten dicken Expertenbericht vorgestellt, mit Warnungen und Empfehlungen. Darin heißt es: „Crowdwork-Plattformen und über Apps vermittelte Tätigkeiten, die die Plattformwirtschaft bilden, könnten die Arbeitspraktiken des 19. Jahrhunderts wieder aufleben lassen und künftige Generationen von ,digitalen Tagelöhnern‘ hervorbringen.“ Die Autoren machen sich für internationale Mindeststandards stark. Ohne zu handeln, „werden wir auf eine Welt zusteuern, in der die bestehende Ungleichheit und Unsicherheit noch ausgeweitet werden“.

Die große Mehrheit verdient sehr wenig

Umfragen aus den vergangenen Jahren zeigen: Der typische Klickarbeiter ist um die 30 und hat mindestens Abitur gemacht. 39 Prozent machen hauptberuflich etwas anderes und sehen das Herumklicken zu egal welcher Uhrzeit als Zuverdienst an. 31 Prozent gehen zur Universität und finanzieren sich ihr Studentenleben so statt am Wochenende zu kellnern. Für etwa 20 Prozent sind die Jobs im Internet ihre Haupteinnahmequelle.

Unproblematisch ist das nicht. Klickarbeiter wissen oft nicht, wer außer ihnen an einem Projekt arbeitet, für wen sie arbeiten, zu welchem Zweck. Wenn ich einen Chatbot trainiere, mache ich dann Callcenter-Mitarbeiter überflüssig? Füttere ich Algorithmen, die bald meinen Job ausüben? Hat jemand einen Auftrag erledigt, wird er dafür oft mit Sternchen oder Punkten bewertet. Die Noten haben einen großen Einfluss darauf, ob derjenige weitere Jobs bekommt, und schaffen damit Druck und Abhängigkeiten. Einige Wissenschaftler fordern deswegen, dass die Clickworker auch andersherum Auftraggeber bewerten können.

Die große Mehrheit verdient zudem wenig. Das fängt damit an, dass manch einer an etlichen Ausschreibungen teilnehmen muss, bis er überhaupt einmal genommen wird. Für recht anspruchslose Arbeiten – wie zum Beispiel Kleidungsstücke in die korrekte Kategorie eines Online-Modeshops einsortieren – gibt es nur ein paar Cents. Und: Menschen aus Indien oder Vietnam bieten ihre Arbeit günstiger an als der IT-Fachmann aus Deutschland. Der durchschnittliche Monatsverdienst liegt laut der Hans-Böckler-Stiftung somit bei 144 Euro im Monat. 30 Prozent verdienen weniger als hundert Euro, nur zehn Prozent mehr als 1500 Euro.

Einen richtigen Plan hat die Politik nicht

Hinzu kommt die fehlende soziale Absicherung. Sollte die Annahme stimmen, dass es in Zukunft mehr Klickarbeiter geben wird, werden mehr Menschen in Deutschland ohne Arbeitsvertrag, Mindestlohn, Kündigungsschutz, Urlaubsanspruch, Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und einer Interessensvertretung tätig sein. Die Bundespolitik diskutiert deswegen schon länger, wie Selbstständige und speziell jene im digitalen Raum besser geschützt werden könnten, damit sie jetzt oder später nicht arm werden. Auch wenn es eine kleine Gruppe von hochqualifizierten Experten gibt, die gut verdienen und zufrieden sind, gibt es weitaus mehr, die so wenig einnehmen, dass es sich für sie nicht rechnet, in die Rentenversicherung einzuzahlen. Gunter Haake von der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi sagt deswegen: „Ohne bestimmte Mindesteinkommen geht es nicht. Sonst hilft es auch nichts, versichert zu sein.“

Die „Denkfabrik“ des Arbeitsministeriums (BMAS) beschäftigt sich seit Herbst 2018 mit der Frage, wie sich die Arbeitswelt durch die Digitalisierung verändert – und in dem Zuge auch mit dem Clickworking. Bislang seien die Folgen dessen „noch nicht ausreichend erforscht, um eine abschließende Einschätzung zu ihren Auswirkungen auf die Entlohnungs- und Arbeitsbedingungen sowie die sozialen Sicherungssysteme vornehmen zu können“, hieß es vom Ministerium. Die Bundesregierung werde sich weiter „intensiv“ mit den Arbeitsverhältnissen beschäftigen und prüfen, ob und inwieweit die bestehenden rechtlichen Regelungen „auch für neue digital basierte Geschäftsmodelle ausreichen“. Auch der Deutsche Gewerkschaftsbund möchte in diesem Jahr klären, wie die Begriffe von Arbeitnehmer und Betrieb neu definiert werden müssen. Sie würden inzwischen etwas so viel anderes bedeuten als sie es jahrzehntelang taten.

Der Arbeitsmarkt bleibt insgesamt robust

Wegen des kalten Wetters ist die Zahl der Arbeitslosen zum Jahresauftakt saisonbedingt auf 2,4 Millionen gestiegen. Das ist dennoch der niedrigste Wert für den Januar seit der Wiedervereinigung. Die Arbeitslosenquote stieg um 0,4 Punkte auf 5,3 Prozent. Im Vergleich zum Vormonat nahm die Zahl der Jobsucher im Januar um 196 000 zu, zum Vorjahr ging sie hingegen um 165 000 zurück, wie die Bundesagentur für Arbeit (BA) am Donnerstag in Nürnberg mitteilte. Behördenchef Detlef Scheele sagte: „Die Nachfrage der Betriebe nach neuen Mitarbeitern bleibt auf einem sehr hohen Niveau.“ Das Wachstum der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung setze sich fort.

Der deutliche Anstieg ist für diese Jahreszeit durchaus üblich. Die um jahreszeitliche Einflüsse angepasste Zahl der Jobsucher sank auf 2,3 Millionen. Demnach waren zuletzt rund 2000 Männer und Frauen weniger ohne Arbeit als im Dezember - die Zahl ging ausschließlich auf einen Rückgang im Osten zurück. Im Westen blieb sie unverändert. Die Unterbeschäftigung, die auch Menschen erfasst, die gerade beispielsweise an einer Weiterbildung teilnehmen, lag bei 3,3 Millionen. Sie sank saisonbereinigt im Vergleich zum Vormonat um 22 000. Bei der Bundesagentur waren im Januar zugleich etwa 758 000 offene Stellen gemeldet - 21 000 mehr als vor einem Jahr.

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