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Das Coronavirus hat in China viele Arbeiter um ihren Lohn und ihre Jobs gebracht.

© dpa

Arbeitslosigkeit in China steigt an: Jetzt werden die sozialen Folgen der Coronakrise deutlich

Millionen Menschen haben in der Krise ihre Jobs verloren, weitere Millionen werden folgen. Viele rutschen in die Armut ab. Das führt bereits zu Protesten.

Die Coronavirus-Pandemie sorgt nach Angaben der Nationalen Statistikbehörde für den größten Anstieg von Arbeitslosigkeit in China seit mehr als zwanzig Jahren. Die Zahl der Arbeitslosen stieg im Februar auf 6,2 Prozent. Im Januar und Dezember vergangenen Jahres lag die Quote noch jeweils bei knapp über fünf Prozent.

Mao Shengyong, ein Sprecher der Statistikbehörde geht zwar davon aus, dass die Zahl der Arbeitslosen in der zweiten Hälfte des Jahres wieder fallen könnte, doch das Ministerium für Humanressourcen und  Soziale Sicherung meldete, dass allein in den ersten beiden Monaten dieses Jahres fünf Millionen Jobs aufgrund der Auflagen zur Eindämmung des Coronavirus weggefallen sind.

Auch die Aussichten für den Arbeitsmarkt und damit für die gesamte wirtschaftliche Erholung der Volksrepublik sind nicht besser. Dan Wang vom Beratungsunternehmen Economist Intelligence Unit geht sogar davon aus, dass allein in diesem Jahr noch 22 Millionen Menschen ihre Jobs verlieren werden. Nur knapp die Hälfte davon wäre berechtigt Arbeitslosenunterstützung zu bekommen.

Zwar hat Peking seit der Finanz- und Kreditkrise in den Jahren 2008/2009 den Topf der Arbeitslosenversicherung, in den sowohl Arbeitgeber wie auch Arbeitnehmer einzahlen, auf über 581 Milliarden Yuan (etwa 82 Milliarden Dollar) verdreifacht. Doch nur wer schon mehr als zehn Jahre als Arbeitnehmer in das Sozialversicherungssystem eingezahlt hat, kann maximal zwei Jahre lang Arbeitslosengeld beziehen.

Arbeitslosengeld reicht nicht aus

Der Durchschnitt der monatlichen Bezüge von Arbeitern und Angestellten, die gerade ihre Arbeit verlieren, liegt in Peking bei 1815 Yuan (257 Dollar). Das ist noch nicht einmal die Hälfte des Monatsdurchschnitts eines Wanderarbeiters und reicht für Mieten in den Großstädten Chinas kaum aus.

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Über 200 Millionen Wanderarbeiter haben gar keinen Anspruch auf Unterstützung vom Staat, da ihre Arbeitgeber häufig keine Abgaben an die Sozial- oder Krankenversicherung für sie zahlen. Diese Gruppe konnte unter den strengen Quarantänemaßnahmen und auch nach der schrittweisen Öffnung der Fabriken, nicht gleich wieder an ihre Arbeitsplätze zurückkehren und hatten Wochen lang keine Einkünfte.

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Eine Studie der Stanford Universität schätzt, dass den Wanderarbeitern durch die Quarantänemaßnahmen im Zuge des Coronavirus Ausbruchs insgesamt Einkünfte in Höhe von 100 Milliarden Dollar verloren gegangen sind. Obwohl die chinesische Führung die Betriebe dazu aufforderte, Löhne trotz Schließung wegen des Coronavirus weiter zu zahlen, haben viele Arbeiter ihr Geld nicht bekommen.

Proteste wegen Arbeitslosigkeit

So soll es, laut Daten der in Hongkong ansässigen Nicht-Regierungs-Organisation China Labour Bulletin, im März allein zu 50 Aufständen gekommen sein. Protestiert haben Angestellte aus dem Dienstleistungssektor, dem Transportwesen oder der Baubranche. Einige Protestanten sollen am Aufbau des Vorzeigekrankenhauses in Wuhan beteiligt gewesen sein, das in nur zehn Tagen hochgezogen wurde, um Corona-Patienten zu behandeln.

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Dass die Arbeitslosenzahl zunimmt, liegt auch an Corona-bedingten Insolvenzen. Der renommierte chinesische Wirtschaftsjournalist Wu Xiaobo geht davon aus, dass in den ersten zwei Monaten des Jahres in China etwa 247.000 Unternehmen Konkurs angemeldet haben. Wu nannte in seinem Bericht vor allem Guangdong im Süden Chinas als eine der am schwersten von den Schließungen betroffen Provinzen.

Dunkelziffer liegt wohl noch höher

Dort, in den Städten Guangzhou, Shenzhen, Dong Guan arbeiten besonders viele Wanderarbeiter in den Fabriken. Im Januar und Februar sind dort 30.000 Unternehmen an den Folgen des neuartigen Coronavirus bankrott gegangen. Landesweit waren besonders Start-ups betroffen, die erst weniger als drei Jahre im Geschäft sind. Sie machen etwa 55 Prozent der Unternehmen aus, die jetzt schließen mussten.

Eine Umfrage der Tsinghua Universität in Peking ergab, dass vor allem kleinere, private Unternehmen angaben, unter der herrschenden wirtschaftlichen Situation so zu leiden, dass sie nicht mehr als einen Monat überleben können.

Was noch schlimmer ist: Seit zwanzig Jahren geben die chinesischen Behörden Arbeitslosenquoten von vier bis fünf Prozent an. Die Dunkelziffer dürfte laut Experten schon vor Corona weitaus höher gelegen haben. Gegenwärtig werden die aktuellen Daten mit zwei Monaten Verspätung bekannt gegeben. Man geht außerdem davon aus, dass gerade die Wanderarbeiter nicht mitgezählt werden, sondern nur registrierte Arbeiter, die ihren Wohnsitz in den Städten haben. 

Eher ungewöhnlich war daher die Aussage des chinesischen Premiers Li Keqiang, der jüngst gesagt hat, dass es „dieses Jahr keine große Sache wäre, wenn das Bruttoinlandsprodukt etwas höher oder niedriger ausfällt, solange Chinas Arbeitsmarkt stabil bleibt.“ Vor der Krise galt es als Ziel ein Wachstum von sechs Prozent zu erreichen. Dieses Ziel schien schon vor der neuartigen Lungenkrankheit kaum erreichbar. Nun warnen Ökonomen der US-Investmentbank Morgan Stanley sogar davor, dass das Wirtschaftswachstum im ersten Quartal negativ ausfallen dürfte. Die sozialen Unruhen könnten dann landesweit zunehmen.

Ning Wang

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