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In der vergangenen Woche haben sich bundesweit rund 45 000 Erzieherinnen und Erzieher an Warnstreiks beteiligt.

© dpa

Arbeitsbedingungen in den Kitas: Mehr Geld, weniger Stress

Immer mehr Aufgaben, zu wenig Personal: An diesem Montag kommen die Tarifverhandlungen für Erzieherinnen und Erzieher in die entscheidenden Phase.

Spätestens am Mittwoch wissen die Erzieherinnen und Erzieher, wie sich ihre Arbeitsbedingungen in diesem Jahr verändern. Und zwar verbessern. Von diesem Montag an verhandeln Verdi und der Beamtenbund mit der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA); bis Mittwochmittag ist das Hotel gebucht. Die Auseinandersetzung dreht sich um Geld und Zeit für 330 000 Beschäftigte im Sozial- und Erziehungsdienst der Kommunen. Verdi möchte eine höhere Eingruppierung durchsetzen und begründet das mit den gestiegenen Anforderungen. Ferner sollen Erzieherinnen zusätzlich Freizeit bekommen, so genannte Entlastungstage, wenn sie besonders unter Stress stehen. „Wir werden ohne Entlastung keinen Abschluss machen", kündigt Christine Behle, Verhandlungsführerin von Verdi, an. Das wird schwierig.

Zusätzlich freie Tage bei hoher Belastung

„Die Vorstellungen der Gewerkschaften sind indiskutabel“, heißt es bei der VKA. Mehr freie Tage würden dazu führen, dass die Arbeit von den anderen Kolleginnen und Kollegen erledigt werden muss. Die sind aber bereits überlastet. Verdi hatte bei den Berliner Krankenhauskonzernen Vivantes und Charité einen Ausgleich für besondere Belastungen durchgesetzt und dafür viel Beifall bekommen. Jetzt folgt der nächste Versuch. „Die Arbeitgeber haben es selbst in der Hand: Wenn alles gut läuft und es ausreichend Personal gibt, dann braucht man auch keine zusätzlichen Entlastungstage“, sagte Behle dem Tagesspiegel.

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Grundsätzlich legitimiert die Gewerkschaft ihre Forderung mit den zunehmend schwierigeren Arbeitsbedingungen. „Der Gesetzgeber wünscht sich Integration und Inklusion – die Umsetzung soll in der Kita stattfinden“, sagt Behle. Doch die Personalausstattung sei nicht im gleichen Ausmaß gewachsen wie die Ausweitung der frühkindlichen Betreuung. Um pädagogisch arbeiten zu können, fehlten 170 000 Fachkräfte.

Viele steigen wieder aus

Der Personalmangel wiederum führe dazu, dass 25 Prozent der Berufsanfänger in den ersten fünf Jahren wieder aussteigen. Die Pandemie habe den Verdruss noch deutlich erhöht. „Viele Erzieherinnen sind stinksauer, weil die speziellen Arbeitsbedingungen in der Pandemie nicht gesehen wurden“, sagt Behle. Und es höre nicht auf. „Corona ist immer noch ein Problem, zwischen 20 und 30 Prozent der Beschäftigten in den Kitas sind krank“, sagt die Gewerkschafterin. „Viele stecken sich sogar mehrfach an.“

Christine Behle führt auf der Seite von Verdi die Verhandlungen mit der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeber VKA..
Christine Behle führt auf der Seite von Verdi die Verhandlungen mit der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeber VKA..

© dpa

Verdi bezieht sich auf Angaben der Krankenkassen, wonach die Beschäftigtengruppe, die am häufigsten an Burnout erkrankt, im Erziehungs- und Sozialdienst unterwegs ist. Nicht nur in der frühkindlichen Betreuung, auch in der Sozialarbeit seien die Anforderungen pandemiebedingt noch gestiegen: Je nach Kommune und Brennpunkt komme ein Sozialarbeiter oder eine Sozialarbeiterin auf 25 bis 120 Fälle. Häusliche Gewalt habe zugenommen, und es gebe auch in diesem Bereich schlicht zu wenig Personal, sagt die stellvertretende Verdi-Vorsitzende.

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Behles Tarifpartnerin auf der anderen Seite des Tisches ist in den kommenden drei Tagen Karin Welge, Oberbürgermeisterin von Gelsenkirchen. Welge ist seit Anfang des Jahres Präsidentin der VKA und führt in der Funktion nun erstmals für die Arbeitgeber die Verhandlungen. Allein die Forderungen nach höheren Eingruppierungen würden rund 500 Millionen Euro Mehrkosten für die Kommunen bedeuten, hat die VKA ausgerechnet und lehnt das als „überproportional und nicht finanzierbar“ ab.

38 Milliarden für die Kinderbetreuung

Das Tarifgefüge des kommunalen öffentlichen Dienstes sei ein fein aufeinander abgestimmtes System. „Pauschale Lohnsteigerungen einzelner Berufsgruppen würden dieses Gefüge empfindlich stören“, argumentiert die VKA. Wenn überhaupt eine Aufwertung einzelner Beschäftigtengruppen in Betracht komme, dann nur differenziert: Bei bestimmten Beschäftigtengruppen in der Kita und in der Sozialarbeit ist Welge bereit, mehr zu zahlen. Obwohl es nach Lesart der Arbeitgeber dazu eigentlich keinen Anlass gibt. Für die Kindertagesbetreuung seien die Ausgaben hierzulande seit 2010 um 140 Prozent gestiegen – auf 38 Milliarden Euro im vergangenen Jahr, die von Bund, Länder und Gemeinden bereitgestellt wurden. Der Anteil der Kommunen an den Ausgaben bei der Kinderbetreuung lag bei rund 47 Prozent. Der Länderanteil betrug 51,7 Prozent, 1,3 Prozent trägt der Bund. Zu den Ländern gehört auch Berlin – die Bezahlung der Kita-Beschäftigten wird in den Stadtstaaten vom Tarifvertrag der Bundesländer geregelt. Insgesamt arbeiten fast 800 000 Personen im Sozial- und Erziehungsdienst.

Einstiegsgehalt bei 3100 Euro

In der kommunalen Trägerschaft seien Einkommen der Erzieherinnen und Erzieher „ deutlich höher als die der Beschäftigten anderer Bereiche des kommunalen öffentlichen Dienstes“, hat die VKA ausgerechnet. Die Einstiegsgehälter nach der Ausbildung „liegen regelmäßig bei 3142 Euro monatlich. Sie steigen nach entsprechender Beschäftigungszeit und bei schwieriger Tätigkeit auf 4446 Euro monatlich“, teilt die VKA weiter mit. „Im Vergleich mit anderen Trägern im Sozial- und Erziehungsdienst haben die Erzieherinnen und Erzieher in den kommunalen Kitas ein um bis zu zehn Prozent höheres Gehalt.“ Schon bei der Interpretation der aktuellen Einkommenssituation liegen beide Seiten aber weit auseinander.

Kompromiss oder Streik

„Die Angaben der VKA zu den Gehältern der Erzieherinnen und Erzieher stammen aus dem Märchenbuch“, sagt Verdi-Vize Behle. Nach ihrer Rechnung liegt das Einstiegsgehalt bei den meisten Erzieherinnen bei 2931 Euro. Das Gehalt steigt auf 3900 Euro nach 20 Berufsjahren. Dann ist Schluss. Die von der VDA angeführten 4400 Euro gebe es für schwierige Tätigkeiten und nach 25 Berufsjahren. Ohne mehr Geld, davon ist Behle überzeugt, sei die Fachkräftelücke nicht zu schließen. Wenn bis zum Mittwoch die Aufwertung der Berufe gelinge, dann profitieren auch die Beschäftigten von nicht-kommunalen Arbeitgebern. „Unser Tarifvertrag für die Kommunen ist die Leitwährung, Kirchen und Wohlfahrtsverbände übernehmen den in der Regel 1:1“, sagt Behle. Wenn es bis Mittwoch keine Verständigung gibt, ruft Verdi die Gewerkschaftsmitglieder in den Kitas zum Streik.

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