zum Hauptinhalt
Wann wird die Produktion wieder hochgefahren? Szene aus dem Bosch-Werk Immenstadt. Foto: Gregor Fischer/dpa

© dpa

Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer über die Krisenpolitik: „Wir dürfen nicht alles auf den Staat abladen“

Im nächsten Jahr sollte die Wirtschaft wieder kräftig wachsen, sagt Arbeitgeberpräsident Kramer. Doch der Abbau der Schulden dauere „eine Dekade“.

Herr Kramer, wie geht es Ihnen und Ihrer Firma?

Danke, ganz gut. Wir haben noch keinen einzigen Corona-Fall im Unternehmen. Ich schiebe das darauf, dass wir hier in Norddeutschland auch aufgrund der Besiedlungsdichte eine etwas geringere Betroffenheit haben.

Und das Geschäft läuft wie gehabt?
Der Auftragsbestand ist normal, doch die Auftragsbearbeitung verzögert sich, weil Projekte durch unsere Kunden verschoben werden. Deshalb bauen wir jetzt Überstunden und alten Urlaub ab und ziehen im Einzelfall auch Urlaub vor. So langsam planen wir aber auch den Einstieg in Kurzarbeit.

Als Arbeitgeber, der nach Tarif zahlt, stocken Sie dann das Kurzarbeitergeld (KuG) von 60 auf rund 80 Prozent auf?
In der Metall- und Elektroindustrie gehen die Sozialpartner in ihrem jüngsten Tarifabschluss ja einen sehr klugen Lösungsweg mit einer Härtefallregelung. Das Schlüsselelement dabei ist, dass sich die Betriebsparteien auf die Umsetzung verständigen, etwa auch, für wen und wie viel für die Aufstockung des KuG ausgegeben wird. Das ist besser als pauschale Lösungen, die vorne und achtern nicht funktionieren.

Wie viele Monate können Arbeitnehmer, die wenig verdienen, mit 60 Prozent des Nettolohns leben?
Ich hoffe sehr, dass wir nicht allzu lange Kurzarbeit haben. Wenn das eine überschaubare Zeit ist, kommt man besser durch, als wenn es viele Monate dauert. Ein Unternehmen kann aber nicht aufstocken, wenn es überhaupt keine Einnahmen mehr hat. Der Erhalt des Arbeitsplatzes ist das wichtigste Ziel der Kurzarbeit.

In der Systemgastronomie haben sich die Tarifparteien auf 90 Prozent verständigt.
Hier gibt es große Konzerne, die können sich das womöglich leisten. Aber in einem kleinen Restaurant mit wenigen Mitarbeitern geht das schlichtweg nicht. Die fragen sich vielmehr, wie sie überhaupt über die nächsten Wochen kommen.

Ingo Kramer, seit Ende 2013 Präsident der Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände (BDA), gehört ein Metallunternehmen in Bremerhaven.
Ingo Kramer, seit Ende 2013 Präsident der Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände (BDA), gehört ein Metallunternehmen in Bremerhaven.

© Foto: Mike Wolff

Wenn Firmen kein Geld haben, könnte die Bundesagentur für Arbeit zumindest für untere Einkommen das KuG aufstocken.
Dann ist der Topf aber schneller leer. Glücklicherweise haben wir ja 26 Milliarden Rücklagen auf dem Konto der BA. Gut, dass wir jetzt diese Reserve haben und das Geld nicht mit zu großen Beitragssenkungen verpulvert wurde. Mein Rat für die kommenden Wochen: Erfahrung sammeln und dann entscheiden, was man noch machen kann oder muss, um Firmen und Mitarbeitern zu helfen.

Sind Sie zufrieden mit den bisherigen Hilfsmaßnahmen?
Was Bund und Länder an Hilfen zur Verfügung stellen, ist grundsätzlich gut und notwendig gewesen. Ob die Umsetzung dann auch schnell genug funktioniert, ist offen. Auch hier müssen wir Erfahrungen sammeln. Manches kann aber, so wie es jetzt organisiert ist, nicht funktionieren. Wenn man nämlich mit Hilfe der Hausbank Kredite beantragt, die zu 90 Prozent von der KfW besichert sind, dann gibt es eine Laufzeit von fünf Jahren. In diesem Krisenjahr kann man aber nichts tilgen, und dann bleiben noch vier Jahre für die Zurückzahlung. Wie soll das beispielsweise bei einem Drei-Millionen- Kredit in einem mittelständischen Unternehmen mit 100 Mitarbeitern gehen?

Ist eine längere Laufzeit wichtiger als eine Erhöhung der KfW-Deckung auf 100 Prozent zumindest für kleinere Unternehmen?
Das ist eine mögliche Variante, mit der man arbeiten kann. Im Moment scheint mir die längere Laufzeit mit halbierter Tilgungsrate wichtiger zu sein. Wir dürfen jetzt nicht alles auf den Staat abladen, der schultert schon verdammt viel. Und ich gehöre ganz sicher nicht zu den Unternehmern, die immer nach dem Staat rufen. Aber selbst ein niedrig verzinstes Darlehen hilft nur, wenn der Kapitaldienst das in der Krise geschwächte Unternehmen nicht überfordert. Auch der Schweizer Weg mit einer unkomplizierten Vorabauszahlung von 500 000 Franken ist ein Modell.

Wie schlimm wird es, wenn im Mai noch alles geschlossen bleibt?
Der Sachverständigenrat hat ja vor ein paar Tagen Szenarien aufgezeigt. Und die sehen nicht so schlecht aus. Im nächsten Jahr sollte es wieder kräftig aufwärtsgehen, sofern der Lockdown jetzt nicht zu lange dauert. Der Bedarf an Dienstleistungen und Gütern war vor Beginn der Krise hoch, und daran können wir anknüpfen. Im Mai sollten wir nach und nach wieder loslegen können, wenn der Infektionsverlauf dieses wie erwartet zulässt.

Was wird sich durch die Krisen langfristig verändern, vielleicht die Arbeitsbedingungen in Kliniken und Altenheimen? Wollen die Arbeitgeber sich nicht auch mal für eine höhere Tarifbindung einsetzen?
Natürlich wünsche ich mir als überzeugter Vertreter der Sozialpartnerschaft das auch, keine Frage. Aber es steht den Firmen und Institutionen frei, sich einem Tarifträgerverband anzuschließen. Und machen wir uns nichts vor: Manche Gewerkschaft hat in den vergangenen Jahren so agiert, dass Unternehmen abgeschreckt wurden.

Die Gewerkschaften sind schuld daran, dass rund sieben Millionen Beschäftigte im Niedriglohnsektor schlecht verdienen?
Gewerkschaftliches Verhalten kann den Tarifvertrag diskreditieren, so nehmen das manche Unternehmen wahr. Aber zu den Einkommen: Natürlich können sie auch höhere Löhne zahlen, wenn die Kunden auch bereit sind, das zu bezahlen. Wie zum Beispiel 2015 bei der Einführung des gesetzlichen Mindestlohns. Damals hatte ich die Befürchtung, wir würden viele Arbeitsplätze verlieren. Das war ein Irrtum, weil die Kunden bereit waren, mehr zu zahlen.

Im Juni steht die Entscheidung an über die Erhöhung des Mindestlohns Anfang 2021. Müssen wir nicht in größeren Schritten Richtung zwölf Euro kommen, wie das andere Länder in Europa vormachen?
Wir haben eine Mindestlohnkommission, die sich aus Vertretern der Arbeitgeber und der Gewerkschaften zusammensetzt und die darüber entscheidet. Wenn wir uns mit anderen europäischen Ländern vergleichen wollen, dann müssen wir auch das Niveau der Sozialleistungen berücksichtigen. Ich habe noch keinen getroffen, der aufgrund materieller Bedingungen und sozialer Absicherung von Deutschland in unsere Nachbarländer gehen will. Es ist nicht alles so schlecht, wie man glaubt, an einer einzigen Mindestlohnzahl festmachen zu können.

Der Sozialpartner sieht das anders. Wie funktioniert die Zusammenarbeit mit dem DGB in diesen Corona-Zeiten?
Falsch. Denn dann gäbe es die Mindestlohnkommission nicht. Von Einzelnen abgesehen wünschen sich beide Sozialpartner keine aus wahltaktischen Gründen beeinflusste Lohnfindung. Schon vor drei Wochen habe ich mich mit dem DGB-Vorsitzenden Reiner Hoffmann darauf verständigt, in der Krise die eigenen Interessen zurückzustellen. Alle paar Tage gibt es Telefonate mit Fachministern, die Abstimmung der Politik mit den Sozialpartnern ist gut. Das können wir in Deutschland, und das hilft uns auch diesmal bei der Krisenbewältigung. Es war ja in der Vergangenheit nicht das Gelbe vom Ei, was die große Koalition so alles abgeliefert hat. Jetzt in der Krise funktioniert es aber erstaunlich gut zwischen Sozialpartnern und Politik.

Brauchen wir auch noch ein Konjunkturprogramm?
Wenn wir aus der Kurzarbeit nicht mehr herauskämen, obwohl die Coronakrise überwunden ist, dann bräuchten wir im Herbst auch ein Konjunkturprogramm. Aber wie schon gesagt: Der Bedarf an Gütern und Dienstleistungen war vor Corona sehr hoch. Nun gibt es noch einen Nachholeffekt, also können wir auf diese Marktkräfte vertrauen.

Wann wissen wir, ob die Kräfte so wirken, wie Sie meinen?
Bis zum Sommer sollten wir die Kurzarbeit im Wesentlichen hinter uns lassen. Im Herbst wissen wir dann, ob die Wirtschaft wieder anspringt. Die Chance ist sehr groß, dass wir schnell an die Phase anschließen können, die wir vor dem Virus hatten. Dann gibt es 2021 aus Sicht des Sachverständigenrats ein ordentliches Wachstum. Doch es kann Branchen oder Sektoren geben, die zurückbleiben, wie zum Beispiel die Reisewirtschaft. Für solche sollte man gegebenenfalls stimulierende Maßnahmen bereithalten.

Wer bezahlt das alles? Eine Erbschaftssteuer, die den Namen verdient, wäre hilfreich, und eine Vermögensabgabe auch, denn jetzt sind starke Schultern gefragt.
Wir brauchen viel Zeit, das wird nicht in zwei Jahren erledigt sein, sondern dauert eine Dekade. An der Erbschaftssteuer haben sich schon viele erfolglos versucht, denn es ist eine Substanzsteuer für Unternehmen, die dann zusätzlich geschwächt werden. Und der Spitzensteuersatz ist auch international schon sehr hoch. In Deutschland zahlen die obersten zehn Prozent schon mehr als 50 Prozent der Einkommenssteuer.

Überall wird Geld gebraucht, auch im Gesundheitssystem, wo das Personal fehlt. Wurde zu viel privatisiert und im Ergebnis mehr auf Rendite als auf attraktive Arbeitsbedingungen geachtet?
Unser Gesundheitssystem ist hervorragend. Wenn ich mir überlege, wo ich noch am ehesten im Krankenhaus liegen möchte, dann fällt mir vielleicht noch die Schweiz ein neben unseren Krankenhäusern; ganz bestimmt nicht die USA oder England. Im Pflegebereich haben wir ein größeres Problem. In anderen Gesellschaften findet die Pflege viel stärker in den Familien statt. Das ist bei uns anders, weshalb wir hier auch mehr tun müssen, insbesondere in Anbetracht der demografischen Entwicklung. Auch finanziell.

Finanzhilfen brauchen auch die betroffenen EU-Nachbarn im Süden. Was halten Sie von Eurobonds?
Das ist gerade populär, auch bei einigen Ökonomen. Aber nicht alles, was laut vorgetragen wird, ist das Richtige. Die EZB hat ein gewaltiges Unterstützungspaket mit ihrem Anleihekaufprogramm aufgelegt und wir haben mit dem ESM ein Instrument, dessen Möglichkeiten mit ca. 410 Milliarden Euro noch nicht ausgeschöpft sind. Wenn das nicht reicht, kann man darüber reden, ob man weitere Instrumente braucht. Das steht aber derzeit nicht an. Jeden Tag eine neue Forderung stellen, das produziert Schlagzeilen, bringt uns aber nicht weiter. Wichtiger ist schnelle Hilfe mit den bestehenden Möglichkeiten. Aber ein generelles Bewusstsein ist erforderlich, dass wir alle in Europa den jeweils Schwächeren beistehen müssen, um zu einer insgesamt stärkeren Einheit zu kommen.

Zur Startseite