zum Hauptinhalt
Eng. Viele Tiere auf wenig Raum, da verbreiten sich Krankheiten schneller.

© Patrick Pleul/dpa-Zentralbild

Antibiotika in der Tierhaltung: Belastete Würstchen

Greenpeace hat in Fleischproben unterschiedliche antibiotika-resistente Keime gefunden. Der Tierärzteverband kritisiert den Test

Die Umweltorganisation Greenpeace hat in einer Stichprobe nachgewiesen, dass 23 Prozent von Schweinefleischproben aus dem deutschen Lebensmittelhandel mit antibiotikaresistenten Keimen belastet sind. Insgesamt seien 50 Fleischproben auf verschiedene resistente Keime untersucht worden, erklärte der Greenpeace-Landwirtschaftsexperte Dirk Zimmermann am Montag.

Fast jedes vierte Fleischprodukt war belastet

Die Greenpeace-Tester hatten die Produkte im Lebensmitteleinzelhandel im Großraum Hamburg aus den Kühlfächern unter anderen bei Lidl, Edeka, Rewe und Kaufland, und aus Werksläden von drei Unternehmen erworben. Bei den 44 Schweinefleischprodukten, unter anderem grobe Würste und Schnitzel, sei fast jede vierte belastet gewesen mit Bakterien, die resistent sind gegen gängige Mittel zur Behandlung von Infektionskrankheiten bei Menschen. Das getestete Geflügel, sechs Produkte, hätten dagegen einen negativen Befund ergeben, erklärt Zimmermann. Das Ergebnis sei für ihn keine Überraschung gewesen. Im Mai hatte Greenpeace darüber berichtet, dass antibiotikaresistente Keime über das Abwasser von Schlachthöfen in die Umwelt gelangen. Vom deutschen Tierärzteverband wird der aktuelle Bericht scharf kritisiert.

Ehrensache: [Für alle, die Berlin schöner und solidarischer machen, gibt es den Tagesspiegel-Newsletter „Ehrensache“. Er erscheint immer am zweiten Mittwoch im Monat. Hier kostenlos anmelden: ehrensache.tagesspiegel.de.]


„Die Kontamination mit den Keimen stellt zwar keine akute Gefahr für die Gesundheit der Menschen dar“, sagt Zimmermann. Er sieht darin aber ein schleichendes Problem, das weltweit zu Antibiotikaresistenzen beitrage, und dazu führe, dass Infektionskrankheiten immer weniger mit Antibiotika bekämpft werden könnten. Mit dem Test wolle die Organisation einmal mehr auf das Problem hinweisen, das weiter bestehe, auch wenn der Gebrauch von Antibiotika in der deutschen Tierhaltung seit der Novellierung des Arzneimittelgesetzes von 2014 um rund die Hälfte gesunken sei.

Der Antibiotikaverbrauch in der EU hat sich halbiert

In der EU ist die Lage ähnlich: „Der Antibiotikaverbrauch in Europa hat sich zwischen 2016 und 2018 in manchen Arzneimittelklassen halbiert, ergab eine Untersuchung der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (Efsa), die Ende Juni veröffentlich wurde. „Die Tiere werden den Haltungsbedingungen angepasst“, sagt Zimmermann. Er kritisiert nicht nur, dass in vielen Ställen zu viele Tiere auf engem Raum leben, was die Ausbreitung von Krankheiten begünstige. Zudem würden kranke Tiere häufig nicht isoliert und speziell behandelt. Es komme zu einer Gruppenbehandlung, die wiederum dazu führe, dass viel mehr Antibiotika eingesetzt würden als nötig. Zudem seien Tierärzte gleichzeitig die Händler von Antibiotika, was nicht begünstige, dass sie die Medikamente sparsam einsetzten.

Der Verband dementiert: Tierärzte haben kein Eigeninteresse

Das sieht Andreas Palzer, Tierarzt und Präsidiumsmitglied des Tierärzteverbandes, anders: Der Greenpeace-Bericht sei „etwas populistisch und weist einige Mängel auf“, erklärt er. Zum einen gehe daraus nicht hervor, woher die Keime stammen. Es sei nicht belegt, dass die Behandlung mit Antibiotika dafür die Ursache sei. Denn auch etwa über den Schlachtprozess könne es zu einer Kontaminierung kommen. „Betriebe und Tierärzte setzen alles daran, so wenige Antibiotika wie möglich einzusetzen, so wie es gesetzlich vorgeschrieben ist“, erklärt Palzer. Dass Tierärzte ein Eigeninteresse daran hätten, Antibiotika zu verabreichen, dementiert er: In anderen EU-Ländern, in denen Antibiotika auf andere Weise vertrieben würden, kämen viel mehr davon zum Einsatz. Scharf kritisiert er auch den Vorwurf, dass Tierärzte häufig nicht einzelne erkrankte Tiere behandeln, sondern die ganze Gruppe an Tieren darum herum. Das sei nicht im Interesse der Halter, da sie damit beim vorgeschriebenen Antibiotika-Monitoring schnell bei einem hohen Faktor ankämen, der dazu führe, dass sie sich vom Veterinäramt überprüfen lassen müssten. Zudem sei ein breiter Medikamenteneinsatz sehr teuer. Wie viele Kosten pro Tier anfallen, lasse sich aber nicht beziffern.

Bald könnte es vorbei sein mit den Notfall-Antibiotika

Greenpeace-Agrarexperte Zimmermann warnt indes: „In dem Produkttest sei in vier Fällen auch das „Reserve-Antibiotikum“ Colistin nachgewiesen worden. Das heiße, dass in der Fleischindustrie auch Antibiotika zum Einsatz kämen, die als „Notfall-Antibiotika“ gelten und bei Menschen erst eingesetzt würden, wenn bereits Resistenzen gegen andere Antibiotika bestünden. Das berge das Risiko, dass auch diese Medikamente mit der Zeit weniger wirken könnten.
Für ihre Tests hatte Greenpeace Fleisch der untersten Tierwohl-Haltungsform 1 und 2 verwendet, das heißt „Stallhaltung“ und „Stallhaltung plus“. Letzteres steht dafür, dass Tiere mindestens zehn Prozent mehr Platz im Stall haben als vorgeschrieben. Der Lebensmitteldiscounter Aldi, hatte im Juni angekündigt, sein Frischfleischsortiment bis 2030 auf die Haltung 3 und 4 umzustellen. Andere Discounter folgten dem Schritt.

Zur Startseite