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Andy Jassy, CEO von Amazon Web Services, 2016 bei einer Konferenz in Kalifornien.

© Mike Blake/REUTERS

Andy Jassy im Portrait: So tickt der neue Amazon-Chef

Amazon-Chef und -Gründer Jeff Bezos zieht sich von der Firmenspitze zurück. Er will die Führung an den Chef von Amazon Web Services Andy Jassy, abtreten.

Für Bezos ist der Rücktritt als Geschäftsführer nur ein Rückzug aus dem Tagesgeschäft des Internet-Riesen – fortan soll er als geschäftsführender Vorsitzender des Verwaltungsrats (Executive Chair) weiter über die Entwicklung des Unternehmens wachen. In einem Brief an die Mitarbeiter kündigte der 57-Jährige an, seine Energie und Aufmerksamkeit in der neuen Rolle ganz auf neue Produkte, Services und Innovationen zu konzentrieren.

Auch um Projekte neben Amazon wolle er sich in Zukunft stärker kümmern. Dazu gehören unter anderem das Raumfahrtunternehmen Blue Origin und die „Washington Post“ sowie eine Reihe wohltätiger Initiativen. Seinen designierten Nachfolger Andy Jassy bezeichnete Bezos in dem Brief als „außergewöhnliche Führungskraft“ in die er „vollstes Vertrauen“ habe.

Direkt von der Harvard Business School zu Amazon geholt

Tatsächlich kann man den 53 Jahre alten Jassy als eine Art Kronprinz bezeichnen, denn er gehört im Unternehmen nicht nur zu den engsten Vertrauten des Gründers, sondern ist auch fast genau so lange bei Amazon wie Bezos selbst. Nur drei Jahre nach der Gründung im Jahr 1994 – pünktlich zum Börsengang des Unternehmens – wurde Jassy direkt von der Harvard Business School zu Amazon geholt.

Wie es dazu kam, berichtet er im CNBC-Podcast „Fortt Knoxx“: „Meine letzte Abschlussprüfung habe ich am ersten Freitag im Mai 1997 gemacht“, erzählt Jassy, „und am darauffolgenden Montag fing ich bei Amazon an.“ Das Unternehmen habe sich damals sehr bemüht, den New Yorker an die Westküste nach Seattle zu holen, erinnert er sich – ohne dem frischgebackenen Absolventen zu sagen, was überhaupt seine Rolle sein werde.

Vom Marketing Manger zum Bezos-Schüler

Jassy beginnt als Marketing Manager für das junge Börsenunternehmen, arbeitet sich Ende der neunziger Jahre in den engen Führungskreis um Jeff Bezos hinein. Dieser bietet ihm schließlich einen Job im Führungsgremium an – als technischer Berater des CEO. „Es war ein sehr unspezifisches Stellenangebot“, erinnert sich Jassy, also habe er das Angebot zunächst ausschlagen wollen.

Dann aber einigen sich die beiden darauf, die Stelle als eine Art Stabschef (Chief of Staff) zu gestalten, die zwischen Geschäftsführung und allen anderen Abteilungen koordiniert. Fortan begleitet Jassy Bezos zu wichtigen Meetings, auf Reisen und zu Veranstaltungen. Ein Tandem mit klarer Hierarchie: Bezos kann eine seiner vielversprechendsten Nachwuchskräfte besser kennenlernen und sich in wichtigen Entscheidungen auf ein zweites Urteil stützen.

Jassy erhält im Gegenzug ein unbezahlbares Mentoring und fast unbegrenzten Zugang zum Amazon-Mastermind. Als Jassy firmenintern weiterzieht und später die neue Amazon-Sparte Amazon Web Services (AWS) gründet, wird aus der freien Stelle ein stärker formalisiertes Mentoring-Programm, das ausgewählte Führungskräfte im Ein- oder Zwei-Jahres-Turnus an Bezos Seite durchlaufen.

AWS: Das Filetstück des Konzerns

Jassy gilt als „Vater der Cloud“. Er gehört zu dem Team, die die Idee einer eigenen Cloud-Infrastruktur mit Online-Speicherplatz und Web-Diensten ausarbeitet und dem Gründer vorstellt. Als das Projekt 2006 mit knapp 60 Mitarbeiter:innen umgesetzt wird, übernimmt Jassy den CEO-Posten der Amazon-Tochter. Im Rückblick hält Jassy die Idee – virtuelle, mietbare IT-Infrastruktur – für eine natürliche Folge des Firmenwachstums.

Obwohl damals immer mehr IT-Mitarbeiter eingestellt wurden, „brauchten wir immer noch die gleiche Zeit, um Software-Projekte fertig zu stellen“, erklärt er, „und dass brachte uns auf das AWS-Konzept und die Cloud.“ Längst hat der AWS-Chef die Amazon-Tochter zum wichtigsten Cloud-Anbieter der Welt gemacht. Egal ob Netflix, Twitch, LinkedIn oder Facebook – fast scheint es, als ob alle führenden Onlinedienste mit hohem Datendurchsatz inzwischen AWS-Kunden seien.

Hohe Gewinnmarge von AWS

Auf der jährlich stattfindenden Hausmesse re:Invent nennt Jassy einen weltweiten Marktanteil von 45 Prozent. Das ist mehr als doppelt so hoch wie der nächste Wettbewerber – Microsoft Azure. Doch was AWS für den Mutterkonzern so wertvoll macht, ist weder der Marktanteil, noch die geschätzt 25.000 Mitarbeiter, die das Tochter-Unternehmen inzwischen weltweit beschäftigt, sondern die hohe Gewinnmarge, die am Quartalsende in den vergangenen Jahren regelmäßig das Unternehmensergebnis rettete.

Während die Amazon-Tochter im Jahr 2019 nur rund 35 Milliarden Dollar des Gesamt-Umsatzes von 280,5 Milliarden Dollar ausmachte, erwirtschaftete sie in der gleichen Zeit 63 Prozent des Konzern-Gewinns: 9,2 Milliarden Dollar Gewinn von den konzernübergreifenden 14,5 Milliarden Dollar Gewinn, die Amazon im Jahr 2019 erwirtschaftete.

Amazons Zukunft: Zwischen Weltmacht und Zerschlagung

Wie reibungslos die Machtübergabe im kommenden Herbst über die Bühne geht, bleibt abzuwarten. Die weltweite Corona-Krise ist für den weltgrößten Online-Händler eher Motor als Hindernis: Erstmals in der Geschichte des Konzerns hat Amazon mehr als 100 Milliarden Dollar Umsatz im Quartal erreicht. Doch in den USA wird die neue Regierungsspitze um Joe Biden beäugt.

Da die Demokraten neben der Präsidentschaft von Joe Biden auch im Senat eine knappe Mehrheit haben, wächst auch auf dem Heimatmarkt die Gefahr einer schärferen Regulierung oder Besteuerung von Digitalunternehmen. Der Umgang mit Händlern auf dem Amazon-Marketplace, dem Umgang mit Kundendaten bei Amazons Videostreaming-Dienst Prime Video sowie die Digitalsteuer sind auch innerhalb der Europäischen Union für Tech-Unternehmen wie Amazon weiter wichtige Regulierungsthemen.

Selbst US-Senatoren diskutieren mittlerweile darüber, ob Amazon wegen seiner marktbeherrschenden Stellung nicht zerschlagen werden sollte. Seine lupenreine Amazon-Vita allein lässt Andy Jassy schon als natürlichen Nachfolger von Jeff Bezos erscheinen. Doch das hier ausgerechnet der Führer der erfolgreichsten Sparte des Unternehmens ausgewählt wird, sollte auch richtungsweisend gedeutet werden: Mit Andy Jassy an der Spitze wird sich Amazon kaum vom Zukunftsmarkt digitaler Infrastrukturlösungen wie Cloud-Services zurückziehen. Im Gegenteil.

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