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Container und Kräne im Hamburger Hafen (Archivbild)

© Imago/Rupert Oberhäuser

Update

Als Folge des Ukraine-Kriegs: „Wirtschaftsweise“ sehen „substanzielles“ Risiko für Rezession in Deutschland

Der Sachverständigenrat erwartet für 2022 nur noch 1,8 Prozent Wirtschaftswachstum. Ein russischer Lieferstopp bei Gas und Öl könnte die Lage verschlimmern.

Putins Krieg in der Ukraine kann Deutschland und andere Staaten – in Europa und global – in eine neue Wirtschaftskrise reißen. „Das Risiko einer Rezession ist substanziell“, sagte der Wirtschaftsweise Volker Wieland am Mittwoch in Berlin bei der Vorstellung der Frühjahrsprognose des Sachverständigenrats. Der russische Präsident hat es demnach in der Hand. „Deutschland ist stark von russischen Energielieferungen abhängig. Ein Stopp dieser Lieferungen birgt das Risiko, dass die deutsche Volkswirtschaft in eine tiefere Rezession abrutscht und die Inflation noch stärker zunimmt“, sagte Monika Schnitzer, Mitglied des Sachverständigenrates. „Das heißt zwar nicht, dass die Wirtschaft zum Stillstand kommt, aber es wäre eine schwere Belastung“, ergänzte Wieland.

Die Inflationserwartung der von der Bundesregierung bestellten Expertenrunde liegt nun bei 6,1 Prozent für das laufende Jahr. Zuletzt lag die Preissteigerungsrate im Jahr 1981 bei mehr als sechs Prozent. Es wäre zudem die fünfthöchste Inflationszahl in der Geschichte der Bundesrepublik. Höher lag sie nur 1951 und Anfang der Siebzigerjahre. Für das kommende Jahr gehen die Sachverständigen von einer Inflation in Höhe von 3,4 Prozent aus.

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In ihrer Prognose haben die Wirtschaftsweisen einen Lieferstopp von russischem Erdgas und Rohöl noch nicht berücksichtigt. Doch allein wegen der bisherigen Verwerfungen durch den Überfall der russischen Armee auf die Ukraine gehen die Wirtschaftsweisen von einem drastischen Wachstumseinbruch im Vergleich zur bisherigen Annahme in diesem Jahr aus. Die vier Ökonomen – dem Expertengremium gehören neben Schnitzer und Wieland noch Veronika Grimm und Achim Truger an – erwarten jetzt nur noch ein Plus des Bruttoinlandsprodukts (BIP) in Höhe von 1,8 Prozent in diesem Jahr. Im vorigen Herbst hatten sie noch ein Wachstum von 4,6 Prozent vorhergesagt. 2023 wird die deutsche Wirtschaft, so die reduzierte Erwartung, um 3,6 Prozent wachsen. Eine höhere Arbeitslosigkeit aufgrund der Entwicklung erwartet der Sachverständigenrat nicht.

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Damit verschiebt sich die Erholung nach dem deutlichen Einbruch der Wirtschaft infolge der Corona-Pandemie nochmals weiter in die Zukunft. Das Vorkrisenniveau bei der Wirtschaftsleistung wird nach Ansicht des Sachverständigenrats nun erst wieder im dritten Quartal 2022 erreicht werden. Im ersten Corona-Jahr 2020 hatten die Prognosen meist einen Zeitpunkt im Jahr 2021 dafür ausgemacht. Doch dann blieb schon das Wachstum im vorigen Jahr unter den optimistischeren Erwartungen und lag nur bei 2,9 Prozent. 2020 war die Wirtschaftsleistung um 4,6 Prozent geschrumpft – was allerdings weniger war, als zu Beginn der Pandemie häufig befürchtet wurde.

"Große Unsicherheit"

Ob es tatsächlich zu einem Wachstum von 1,8 Prozent in diesem Jahr kommt, ist ungewiss. „Die aktuelle geopolitische Situation bringt eine sehr große Unsicherheit über die weitere konjunkturelle Entwicklung mit sich“, lautet die Einschätzung der Wirtschaftsweisen. Auf einen nachlassenden Trend deutet auch das aktuelle Konjunkturbarometer des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) hin. Dieser Index ist nun das vierte Quartal nacheinander gesunken, wenn auch nur sehr leicht von 106,3 auf 106,2 Punkte.

Darin sind die aktuellen Kriegsfolgen allerdings noch kaum abgebildet, weshalb das DIW von „deutlich trüberen Zeiten“ in den kommenden Quartalen ausgeht. Es sei davon auszugehen, dass die deutsche Wirtschaftsleistung im ersten Vierteljahr 2022 schon geschrumpft sei. Bei zwei Quartalen mit einem Minus gehen Ökonomen bereits von einer „technischen Rezession“ aus. Laut Deutscher Bank ist die deutsche Wirtschaftsleistung schon im vierten Quartal 2021 ins Minus gerutscht. Das Institut gab zuletzt allerdings einen etwas optimistischeren Ausblick auf den weiteren Jahresverlauf 2022 als der Sachverständigenrat und prognostizierte ein BIP-Wachstum von immerhin 2,7 Prozent.

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Truger begründete die deutlich zurückgenommene Prognose der Wirtschaftsweisen so: „Durch den Krieg werden die wegen der Corona-Pandemie bereits angespannten Lieferketten zusätzlich beeinträchtigt. Gleichzeitig belasten die nochmals kräftig gestiegenen Preise für Erdgas und Erdöl die Unternehmen und den privaten Konsum.“ Letztere wird sich allerdings, so die Einschätzung des Sachverständigenrats, im Sommer wieder etwas erholen, was letztlich zu einer Belebung des Wachstums nach dem zweiten Quartal beitragen würde.

Laut DIW bremsen neben der Verknappung wichtiger Agrar- und Industrierohstoffe im Zuge des Krieges in der Ukraine auch die neuen Corona-Lockdowns in China den Welthandel und tragen so zum Wachstumseinbruch bei. Neben dem Ukraine-Krieg halten auch die Sachverständigen die Corona-Pandemie weiterhin für ein Wachstumsrisiko.

"Von Russland unabhängig machen"

Die Wirtschaftsweisen empfehlen, die deutsche Wirtschaft unabhängiger von Russland zu machen. „Deutschland sollte umgehend alle Hebel in Bewegung setzen, um sich gegen einen möglichen Stopp russischer Energielieferungen zu wappnen und gleichzeitig die Abhängigkeit von diesen Importen rasch zu beenden“, forderte Wieland. So könne die Energiesicherheit in Deutschland auf Dauer erhöht werden – auch wenn dadurch die Energiepreise für einige Zeit erhöht bleiben würden. Eine höhere Energiesicherheit stärke die Position Deutschlands und der EU gegenüber Russland. Gleichzeitig könne über eine größere Unabhängigkeit die Widerstandsfähigkeit der deutschen Volkswirtschaft gesteigert werden.

Die Prognosen des von der Bundesregierung bestellten Sachverständigenrats haben direkte Auswirkungen: Auf ihrer Basis erstellt das Bundeswirtschaftsministerium im April die amtliche Frühjahrsprognose, die wiederum Grundlage für die Steuerschätzung von Bund und Ländern ist, die Anfang Mai kommen wird. Nach diesen Zahlen werden dann auch die öffentlichen Haushalte geplant.

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