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Den größten Bedarf gibt es an so genannten OP-Masken, ein Einwegartikel, der nur ein paar Cent kostet.

© Ottmar Winter PNN

50 Millionen Masken pro Woche: Bei der Produktion werden "alle Augen zugedrückt"

Ein paar Dutzend Firmen sollen der Bundesregierung jede Woche Masken aus deutscher Produktion liefern. Aber es gibt Zweifel an Qualität.

Viel hilft viel. Nach diesem Motto hat das Bundesgesundheitsministerium (BMG) Schutzmasken ausgeschrieben: 40 Millionen OP-Masken und zehn Millionen FFP2-Masken kauft die Bundesregierung – jede Woche. Spätestens Mitte August sollen die Masken verfügbar sein, so die Vorgabe des Ministeriums. Ein ambitioniertes Ziel in einer Wirtschaft, die nur noch über eine Nischen-Produktion von Spezialmasken verfügt: OP-Masken kommen seit vielen Jahren ausschließlich aus China - zum Stückpreis von zwei Cent. Das war vor der Krise. Inzwischen sind mindestens vier Cent üblich.

Es handelt sich um Medizinprodukte

Drei Arten von Masken finden in Corona-Zeiten Anwendung. Der Spuckschutz der einfachen Mund-Nasen-Masken, die sich jeder selbst nähen kann und der Dritte schützt, den Träger selbst indes nicht. Für diese Behelfsmasken bedarf es selbstverständlich keiner Zertifizierung oder Zulassungsprozeduren. Dagegen handelt es sich bei den so genannten OP-Masken und erst recht bei den Filtering Face Pieces (FFP), die je nach Kategorie von FFP1 bis FFP3 immer dichter werden, um Medizinprodukte, für die europäische Normen gelten.

Zum Schutz vor dem Coronavirus reicht die FFP2-Maske, für die es hierzulande, anders als für OP-Masken, auch Hersteller gibt. Stückpreis im Moment zum Beispiel beim baden-württembergischen Unternehmen Moldex: Gut zwei Euro. Moldex hat an der Ausschreibung des Gesundheitsministeriums teilgenommen, die kurz vor Ostern endete. 49 Unternehmen haben den Zuschlag bekommen für die Lieferung von OP-Masken, Schutzkitteln und FFP2-Masken. Dazu gehört auch Moldex. Das Unternehmen fährt die Wochenproduktion nun auf knapp eine Million FFP2-Masken hoch.

Vliesfertigung wird hochgefahren 

Das wichtigste Teil einer Schutzmaske ist das Meltblown-Vlies. Die zwei großen deutschen Hersteller erweitern gerade mit staatlichen Investitionszuschüssen von 30 Prozent ihre Kapazitäten: Innovatec aus Troisdorf bei Bonn baut für ein paar Millionen Euro neue Anlagen am Stammsitz und kann dann im Jahr Vlies für vier Milliarden OP-Masken oder 1,3 Milliarden FFP-Masken herstellen. Die Kapazität von Sandler in Schwarzenbach an der Saale liegt nur knapp darunter.

„Der Preis für das Vliesstoffmaterial auf dem Weltmarkt, der von chinesischen Herstellern dominiert wird, war bislang viel zu gering für eine wirtschaftliche Produktion in Deutschland/Europa“, heißt es dazu beim Maschinenbauverband VDMA. „Aber nun produzieren viele dieser Betreiber von Spinnvlies- und Meltblown-Anlagen in Deutschland Filtervliesstoffe für Atemschutzmasken.“

Auftragsflut für Maschinenhersteller 

Die beiden Weltmarktführer für Vlies-Maschinen, die schweizerische Oerlikon und Reifenhäuser aus Nordrhein-Westfalen, freuen sich dieser Tage über große Aufträge. Das gilt auch für die Firma PIA in Amberg, die wiederum die Maschine baut, die aus dem Vlies Masken macht: Falten, Schneiden, Schweißen, Zuführen von Nasenbändern, Formen und Verpacken der OP-Maske erledigt die Anlage, die bei PIA ein paar hunderttausend Euro kostet.

Die FFP2-Masken sind ziemlich dicht, schützen also den Träger und Dritte. Der Herstellungspreis dieses Medizinprodukts liegt bei rund zwei Euro.
Die FFP2-Masken sind ziemlich dicht, schützen also den Träger und Dritte. Der Herstellungspreis dieses Medizinprodukts liegt bei rund zwei Euro.

© BREUELBILD

Ein paar Dutzend Maschinen wurden in den vergangenen Wochen in Amberg bestellt. PIA arbeitet inzwischen im Drei-Schicht-Betrieb über sechs Tage. Lieferzeit für eine Maschine: Zehn Wochen. Das reicht also aus, um die Vorgabe des Ministeriums zu erfüllen und Mitte August mit Masken am Markt zu sein. Doch ganz so einfach ist es nicht.

Viele Anfänger auf dem Markt

„Zertifizierung und Zulassung einer medizinischen Maske ist komplex. Ein halbes Jahr muss man dafür mindestens veranschlagen“, meint Bernhard Awolin, Geschäftsführer der Medizintechnikfirma Imeco. „Eine Lieferung bereits im August aus Deutschland, wenn man nicht schon vorher Medizinprodukte hergestellt hat, ist unter seriösen Bedingungen kaum möglich“, sagte Awolin dem Tagesspiegel. Doch der Großteil der Firmen, die vom Gesundheitsministerium beauftragt wurde, hat keine Erfahrung auf dem Markt. „Insgesamt erreichen das BMG verschiedene Angebote von Textilunternehmen und Nähereien, die ihre Produktion auf Masken umstellen möchten“, teilt das Gesundheitsministerium mit. Die Unternehmen wollen in das Geschäft, weil der Markt groß ist und schnelle Profite verspricht. Und  weil die neue Medical Device Regulation (MDR) der EU noch nicht in Kraft ist.

Europäische Regulierung kommt 2021

Diese Europäische Verordnung für Medizinprodukte sollte eigentlich ab 26. Mai gelten. Wegen der Pandemie hat die EU die Frist um ein Jahr verlängert, damit in der aktuellen Notlage ausreichend Medizinprodukte zur Verfügung stehen. „In der jetzigen Situation werden offensichtlich alle Augen zugedrückt“, sagte Awolin dem Tagesspiegel. „Nach der neuen MDR würde eine Zulassung ungefähr ein Jahr dauern“, und die Masken also erst Ostern 2021 zur Verfügung stehen. Doch im Mai nächsten Jahres, so vermutet Awolin, nach eigenen Angaben einer der größten Hersteller von Desinfektionsmitteln für medizinische Tücher, „fliegt das spätestens auf, wenn die Produkte und Produktionsbedingungen nach MDR auditiert werden müssen“. Dann müssten die Unternehmen womöglich die Maskenfertigung einstellen.

Für das Bundesgesundheitsministerium (BMG) ist das Panikmache. „OP-Masken werden in der Regel als Klasse 1 Medizinprodukte in Verkehr gebracht“, teilte das BMG auf Anfrage mit. Die Verschiebung der MDR habe „keine relevante Bedeutung“. Die Maskenhersteller müssten eben im kommenden Jahr, „sofern noch nicht bereits vorab geschehen“ ein „MDR-Konformitätsbewertungsverfahren und eine entsprechende CE-Kennzeichnung der Produkte“ gewährleisten.

Hohe Anforderung an Medizinprodukte 

Der Medizintechnikunternehmer Awolin traut das den Anfängern auf dem Medizintechnikmarkt nicht zu. Die Anforderungen der MDR an „Technische Dokumentation, Klinische Studie, Post-Market-Überwachung usw. sind erheblich größer als heute“. Deswegen würden ja gerade auch die etablierten Medizinprodukthersteller seit langem schon stöhnen, „weil die Anforderungen an medizinische Produkte Klasse 1 so hoch geworden sind“.

Auch auf die Herstellungsbedingungen haben Medizinunternehmer und Ministerium einen unterschiedlichen Blick. „Die für die Maskenproduktion geforderte DIN-Norm 14683 verlangt mikrobiologische Reinheit, die nur durch Produktion in einem Reinraum erreichbar ist“, sagt Awolin. Dagegen schreibt das BMG, „ein Reinraum ist nicht gefordert“. Der Hersteller müsse nur „eine maximale Keimbelastungszahl“ gewährleisten. Awolin wiederum „ist keine Umgebungsbedingung bekannt, wo ohne Reinraum die Anforderung nach <30 KBE/Gramm erreicht werden kann“.

Abnahmepflicht bis Ende 2021 

Wenn Unternehmen Masken verkaufen wollen, müssen sie sich eine entsprechende Erlaubnis oder Zertifizierung bei der „Benannten Stelle“ holen, dazu gehören etwas der TÜV oder die Dekra. Die sind bereits jetzt überlastet mit Wartezeiten um die sechs Wochen, obwohl die europaweite MDR überhaupt noch nicht angewendet werden muss. Wie soll das werden im Mai 2021?

Bis Ende 2021 hat sich das BMG verpflichtet, Masken und Kittel abzunehmen. Ohne diese Zusagen hätte sich die meisten Newcomer nicht auf den Markt gewagt. Denn die Chinesen werden weiterhin das Masken-Geschäft dominieren – und vermutlich bereits in einigen Monaten den Weltmarkt überschwemmen.

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