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Christine Lambrecht (54) ist seit Juni Bundesjustizministerin. Zuvor war sie Parlamentarische Staatssekretärin im Finanzministerium.

© Bernd von Jutrczenka/dpa

450.000 Dieselkäufer gegen Volkswagen: „Die Musterfeststellungsklage ist eine Allzweckwaffe“

Am Montag beginnt in Braunschweig einer der Diesel-Prozesse gegen VW. Justizministerin Lambrecht erklärt im Interview die Vorteile der Musterfeststellungsklage.

An diesem Montag beginnt gegen VW wegen des Dieselskandals ein Verfahren vor dem Oberlandesgericht Braunschweig. Rund 450.000 Menschen haben sich der Musterfeststellungsklage angeschlossen. Verbraucherschützer wollen mit der Musterklage gemeinsam mit dem ADAC feststellen lassen, dass der Autobauer betroffene Dieselkäufer "vorsätzlich und sittenwidrig" geschädigt hat und deshalb Schadenersatz zahlen muss. Heike Jahberg hat mit Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) über das Verfahren und die Musterfeststellungsklage gesprochen.

Frau Lambrecht, machen Sie selbst bei der Musterfeststellungsklage mit? Oder falls nicht, würden Sie einem Freund raten, sich zu beteiligen?
Unabhängig von persönlicher Betroffenheit ist die Musterfeststellungsklage ein gutes Instrument, das Verbraucherinnen und Verbrauchern einfach und kostengünstig zu ihrem Recht verhilft. Insgesamt stärkt die Musterfeststellungsklage entscheidend die Rechte der Verbraucherinnen und Verbraucher.

Noch wird nicht verhandelt, da hagelt es schon Kritik an der Musterfeststellungsklage. Wird das Instrument schlechtgeredet?
Ich nehme es nicht so wahr, dass die Musterfeststellungsklage schlechtgeredet wird. Im Gegenteil, ich höre sehr viele Stimmen, die froh über dieses neue Instrument sind. Grundsätzlich stoßen bei der Frage, wie man kollektiven Rechtsschutz ausgestaltet, ganz unterschiedliche Interessen und Sichtweisen aufeinander. Das haben wir schon bei den Gesetzesberatungen im letzten Jahr erlebt. Wichtig war uns, Verbraucherinnen und Verbraucher bei der Durchsetzung ihrer Ansprüche nicht alleine zu lassen.

Viele Anwälte sagen, am Ende haben die Leute nichts. Sehen Sie das auch so?
Nein. Wer seine Ansprüche zur Musterfeststellungsklage anmeldet, bekommt eine gerichtliche und verbindliche Entscheidung über die zentralen Streitfragen seines Falls. Bestätigt das Urteil eine Haftung, können angemeldete Verbraucherinnen und Verbraucher auf der Grundlage des Musterfeststellungsurteils verlangen, dass ihre Schäden ersetzt werden. Möglich ist auch, dass das Verfahren mit einem Vergleich abschließt, in dem eine finanzielle Entschädigung enthalten ist.

Wie lange wird sich Ihrer Meinung nach das Verfahren hinziehen?
Im Fall VW geht es um komplexe Sachverhalte, über die die Gerichte vermutlich Beweis erheben müssen, was eine gewisse Zeit dauert. Aber dafür sind diese Beweisfragen dann geklärt. Die Verbraucherinnen und Verbraucher ersparen sich also, dass in ihren Verfahren solche zeitaufwendigen Beweisaufnahmen durchgeführt werden müssen.

Der VW-Konzern, hier das Firmenlogo auf der Zentrale in Wolfsburg, sieht sich mit einer Musterfeststellungsklage konfrontiert.
Der VW-Konzern, hier das Firmenlogo auf der Zentrale in Wolfsburg, sieht sich mit einer Musterfeststellungsklage konfrontiert.

© Sina Schuldt/dpa

Ist der VW-Dieselskandal ein geeigneter Fall für die Musterfeststellungsklage?
Die Musterfeststellungsklage ist, was kollektive Schäden von Verbraucherinnen und Verbrauchern angeht, im Grunde eine „Allzweckwaffe“. Sie funktioniert bei kleinen wie auch bei großen Schäden. Im Fall VW sind die tatsächlichen Voraussetzungen bei den Verbraucherinnen und Verbrauchern sehr unterschiedlich, abhängig von Fahrzeug, Alter und Nutzung. Dadurch ist es aufwendiger, die Fälle in einem Verfahren gebündelt zu verhandeln. Deutlich leichter ist das in Fällen, in denen alle betroffenen Verbraucherinnen und Verbraucher einen vergleichbaren Schaden erlitten haben, zum Beispiel wenn alle eine unzulässige Gebühr in derselben Höhe zahlen mussten.

Wie sinnvoll ist es, das Musterverfahren am Oberlandesgericht Braunschweig – also im Kernland von VW – anzusiedeln?
Die Regelung, dass Klagen am allgemeinen Gerichtsstand des Beklagten, also an dessen Wohnort oder Sitz zu erheben sind, entspricht unseren allgemeinen Prozessgrundsätzen. Die eigentliche Frage, die Sie anklingen lassen, ist doch: Kann ein Gericht im Kernland von VW das Verfahren unvoreingenommen führen? Das ist mit einem klaren „Ja“ zu beantworten. Die Richter und Gerichte sind unabhängig und allein an Recht und Gesetz gebunden und die Praxis zeigt, dass der eigene Anspruch unserer Richterinnen und Richter an ihre Unabhängigkeit sehr hoch ist.

Ist VW ein Test? Steht die Musterfeststellungsklage politisch unter Beobachtung?
Der Gesetzgeber hat hier prozessrechtlich Neuland betreten. In solchen Fällen empfiehlt es sich immer, das Gesetz in der Praxis zu beobachten und gegebenenfalls nachzusteuern. Bei der Musterfeststellungsklage haben wir uns bereits verpflichtet, das Gesetz zu evaluieren, wenn belastbare Erfahrungen vorliegen.

Brauchen wir noch mehr kollektiven Rechtsschutz? Wie sollte der aussehen?
Diese Frage verhandeln wir derzeit sehr intensiv auf europäischer Ebene. Die EU- Kommission hat einen Vorschlag zu einer Verbandsklagen-Richtlinie vorgelegt, der stellenweise über die Musterfeststellungsklage hinausgeht.

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