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Das sächsische Unternehmen Oli Cosmetics sorgte schon vor dem Mauerfall mit der so genannten Lohnfertigung für westdeutsche Kosmetikhersteller für dringend benötigte West-Devisen. Firmensitz ist heute Oberlichtenau.

© dpa

25 Jahre nach dem Mauerfall: Osten bleibt "verlängerte Werkbank des Westens"

Noch vor der Wiedervereinigung eroberten Unternehmen aus dem Westen die Wirtschaft in den späteren neuen Bundesländern. Die Folgen des Ausverkaufs sind noch heute sichtbar.

Seit der Wiedervereinigung haben sich Ost und West in vielen Punkten angeglichen. Die Arbeitslosenquote im Osten etwa hat sich halbiert. Dennoch bestehen vor allem bei Innovationen und der Gründerdynamik in den Neuen Bundesländern noch Aufholbedarf, wie jetzt das Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit ermittelt hat. Anlässlich des bevorstehenden 25 Jahrestages des Mauerfalls veröffentlichte das Institut am Montag die Ergebnisse einer Analyse der Arbeitsmarktentwicklung in Ost und West seit der Wiedervereinigung.

In den 1990er Jahren habe die Bundesrepublik vor dem Problem gestanden, zwei sehr unterschiedliche Regionen wirtschaftlich zu integrieren, wie der Ökonom Michael Burda von der Humboldt Universität erläuterte. Die Vielzahl von Arbeitskräften im Osten sei grundsätzlich eine gute Voraussetzung für wirtschaftliches Wachstum gewesen. „Allerdings fehlte es an Investitionen und Kapital“, sagte Burda. Zwar wurde nach der Wiedervereinigung viel in den Osten investiert. Davon hätten aber hauptsächlich West-Unternehmen profitiert, meinte der Direktor des IAB, Joachim Möller. „Für die Ost-Wirtschaft war die verbesserte Infrastruktur eine zwiespältige Sache.“ Denn die Wiedervereinigung erleichterte Unternehmern aus dem Westen den Zugang zum dortigen Markt.

Wenige Konzernzentralen, wenige Gründer

Anstatt im Osten selbst neue Betriebe zu gründen, eroberten Unternehmen aus den alten Bundesländern den neuen Markt mit Produkten aus dem Westen. Viele Ost-Betriebe hielten den neuen Marktbedingungen nicht stand und schlossen entweder ihre Tore, oder wurden an Investoren im Westen verkauft. Statt selbst zu wirtschaftlichen Kräften zu kommen, wurde der Osten so zu einer „verlängerten Werkbank des Westens“, analysierte Möller.

Das hat Folgen bis in die heutige Zeit. Noch immer liegen die meisten Firmenzentralen in den alten Bundesländern, die Zahl der Firmengründungen in Ostdeutschland ist gering. Zudem kommen aus den neuen Bundesländern vergleichsweise wenig neue Ideen. Das lässt sich an der Innovationsrate ablesen. Sie zeigt die Patentmeldungen pro 100 000 Einwohner. Baden-Württemberg liegt an der Innovationsspitze mit 138 Meldungen, Deutschlandweit sind es 59. In Berlin hingegen liegt die Rate bei 27 Patenten pro 100 000 Einwohner, in Sachsen-Anhalt sind es sogar nur zehn.

BA-Vize Alt: Der Westen ließ dem Osten keine Chance

Nach der Wende habe man nicht genug Geduld mit den Ost-Betrieben gehabt, sagte Heinrich Alt, Vorstandsmitglied der Bundesagentur für Arbeit, der sich seit mehreren Jahrzehnten mit den Arbeitsmarkt in Ost und West beschäftigt. Nach dem Mauerfall war die Ost-Wirtschaft plötzlich mit dem liberalen Weltmarkt und einer starken Konkurrenz aus Westdeutschland konfrontiert. „Die dortigen Betriebe brauchten Zeit, um mit ihren Produkten den Preis und die Qualität der West-Waren zu erreichen“, sagte Alt. Der Westen hätte ihnen allerdings keine Chance auf eine solche Umstellung gegeben. Und so schlossen viele Ost-Betriebe, während Investoren aus dem Westen den Markt eroberten.

„Es ist schade, dass der Osten sich nach der Wende so stark an den alten Bundesländern orientiert hat“, meinte Alt. Mit den neuen Unternehmen und den Ideen aus dem Westen, sei vieles verloren gegangen, dass im alten System sehr gut funktioniert habe – etwa die Recycling-Wirtschaft und die Strukturen zur Früherkennung von Talenten.

Dennoch: In mancher Hinsicht hat sich auch der Westen etwas von den neuen Bundesländern abgeschaut– etwa in puncto Gleichstellung. Nach wie vor ist die Quote der erwerbstätigen Frauen dort höher als im Bundesdurchschnitt. Außerdem sind die Lohn-Unterschiede zwischen den Geschlechtern geringer. „In Sachen Gleichstellung haben sich die alten Strukturen über Jahrzehnte hinweg gehalten und wurden zum Vorbild für den Westen“, sagte Möller.

Lisa Kolde

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