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Die Briten wollen die EU verlassen, dabei profitieren in Großbritannien viele Regionen stark vom EU-Binnenmarkt.

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1000 Euro mehr für jeden Bundesbürger: So profitiert Deutschland vom EU-Binnenmarkt

Der freie Wirtschaftsverkehr in Europa hat viele Menschen reicher gemacht. Doch das gilt vor allem für Regionen, die ohnehin schon Geld haben.

Von Carla Neuhaus

Lediglich der Ärmelkanal trennt die Grafschaft Kent vom europäischen Festland. Im Hafen von Dover landen täglich Schiffe, die Waren aus Europa bringen, vollbeladene Lkw passieren hier die Grenze. Trotz dieser Nähe zu Europa haben die Menschen in Kent mehrheitlich für den Brexit gestimmt. Sie wollten raus der EU – mit der Konsequenz, dass sie nun vermutlich auch den EU-Binnenmarkt verlassen müssen. Dabei ist ausgerechnet Kent eine der Regionen in Großbritannien, die stark vom gemeinsamen Wirtschaftsraum profitieren. Das zeigt eine Analyse, die die Bertelsmann Stiftung am Mittwoch vorgestellt hat.

Ihre Experten wollten wissen, wie viel der EU-Binnenmarkt eigentlich wem in Europa bringt, und haben deshalb nachgerechnet. In der britischen Grafschaft Kent steht demnach im Schnitt jeder Bürger um 655 Euro pro Jahr besser da, als das ohne den freien Verkehr von Waren, Dienstleistungen und Personen der Fall wäre. Kent liegt damit allerdings immer noch unter dem EU-Schnitt. Der liegt bei 830 Euro pro Kopf. Deutschland profitiert als Exportland hingegen deutlich stärker vom Binnenmarkt. Hierzulande steht jeder Bundesbürger im Schnitt um 1046 Euro pro Jahr besser da, als das ohne den gemeinsamen Wirtschaftraum der Fall wäre.

Regional gibt es große Unterschiede

Doch nicht nur zwischen den EU-Staaten, auch innerhalb der einzelnen Länder gibt es große Unterschiede. „Der Binnenmarkt produziert überall Gewinner, die Zuwächse fallen regional aber sehr unterschiedlich aus“, sagt Studienautor Dominic Ponattu.

Das zeigt allein schon der Blick auf Deutschland. Hierzulande liegen diejenigen Regierungsbezirke und Städte vorne, die wie Hamburg stark vom Handel profitieren oder die wie Oberbayern und Stuttgart große Industriekonzerne beheimaten. Der Osten kann hingegen nur bedingt vom europäischen Binnenmarkt profitieren. Zum Vergleich: Während in Bayern die Menschen pro Kopf um fast 1200 Euro pro Jahr besser dastehen als ohne den gemeinsamen Markt, liegt das Plus in Brandenburg gerade einmal bei 672 Euro. Auch Berlin kommt lediglich auf ein Plus von 848 Euro pro Kopf.

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Die Ungleichheit zwischen den Regionen wächst

Soll heißen: Regionen, die wirtschaftlich ohnehin schon stark sind, werden durch den Binnenmarkt noch stärker – während strukturschwache Regionen nur begrenzt profitieren. Die Ungleichheit bei der Wirtschaftsentwicklung wird also größer und das sowohl innerhalb eines Landes als auch zwischen den EU-Mitgliedsstaaten. „Die Unterschiede zwischen strukturstarken und strukturschwachen Regionen nehmen durch den EU-Binnenmarkt zu“, bestätigt Ponattu.

Diese Entwicklung hat Konsequenzen – politische wie gesellschaftliche. Zum einen begünstigt es Populismus, wenn Regionen auf Dauer wirtschaftlich abgehängt bleiben. Zum anderen löst es aber auch Migration aus. Das zeigt sich in Osteuropa. Während Länder wie Polen und Tschechien durchaus kräftig vom EU-Binnenmarkt profitieren, haben Bulgarien und Rumänien von dem gemeinsamen Wirtschaftsraum bislang wenig. Ein Bulgare steht finanziell aufgrund des Binnenmarktes pro Jahr nur um 193 Euro besser da. Bei einem Rumänen sind es 242 Euro. Zwar ist in diesen Ländern auch das Einkommensniveau niedriger – weshalb ein Plus von rund 200 Euro für die Menschen mehr bedeutet als etwa in Deutschland. Doch auch gemessen an der Wirtschaftsleistung profieren Bulgarien und Rumänien kaum vom Binnenmarkt. Gerade deshalb, sagt Ponatto, würden viele Menschen diese Länder verlassen und zum Arbeiten gen Westen ziehen.

Bei Dienstleistungen gibt es noch Spielraum

Für den Studienautor ist das ein Zeichen dafür, dass reine Transferzahlungen der EU nicht genug Veränderung bringen. „Wichtiger wäre es, gerade in strukturschwachen Regionen mehr Innovationen zu fördern und in Bildung der Menschen zu investieren“, sagt er. Auch gibt es bei der Ausgestaltung des Binnenmarktes seiner Ansicht nach noch Spielraum – etwa was gemeinsame Standards für Dienstleistungen angeht. „Obwohl sie bereits rund 75 Prozent der Wertschöpfung der EU ausmachen, sind derzeit nur rund 30 Prozent aller EU-Exporte Dienstleistungen“, schreibt er in der Analyse.

Das könnte dann auch Ländern wie Griechenland oder Portugal helfen, wo die Einkommenszuwächse ebenfalls mau ausfallen. Dabei zeigt die Studie, dass durchaus auch kleine Länder in der EU erfolgreich sein können. So profitieren Luxemburg und Irland zum Beispiel beide stärker vom Binnenmarkt als Deutschland: Ein Luxemburger steht aufgrund des gemeinsamen Wirtschaftsraums pro Jahr um 2800 Euro besser da, ein Ire um 1900 Euro. Auch Österreich, Belgien und die Niederlande stehen auf der Gewinnerseite.

Spitzenprofiteur bleibt allerdings ein Land, das weder in der EU noch Teil des europäischen Binnenmarktes ist: die Schweiz. Das Land hat lediglich bilaterale Verträge mit der EU geschlossen und kann so ebenfalls von den Vorzügen des gemeinsamen Marktes profitieren. Ein Schweizer kommt dadurch pro Jahr im Schnitt auf ein Einkommensplus von 2900 Euro.

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