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Mehr IT-Professoren für Berlin? Das fänden viele Vertreter aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik gut. Eine wichtige Frage bleibt zunächst aber offen: Wer soll das bezahlen? 

© Fabian Stratenschulte/dpa

100 IT-Professuren: Wie Berlin Europas digitale Hauptstadt werden kann

Statt der Olympischen Spiele fordert Tagesspiegel-Herausgeber Sebastian Turner 100 zusätzliche IT-Professoren für Berlin. Nicht nur der Regierende Bürgermeister findet das "interessant". Doch noch bleiben Fragen offen.

100 zusätzliche IT-Professuren für Berlin: Mit diesem Vorschlag hat Sebastian Turner, Herausgeber des Tagesspiegels, eine Debatte in der Wirtschaft, Wissenschaft und in der Landespolitik angestoßen. „Der Weg in eine wirtschaftliche erfolgreiche Zukunft führt über den roten Teppich für die begabtesten Köpfen aus Unternehmertum und Wissenschaft“, erklärte Udo Marin, Geschäftsführer des Vereins der Berliner Kaufleute und Industriellen (VBKI), am Montag. „Als Hauptstadt der Talente wird Berlin Antworten auf dringende Fragen der Wirtschaft liefern – und beispielsweise helfen, den Fachkräftemangel zu lindern, die Digitalisierung von Unternehmensstrukturen voranzutreiben oder Innovationskräfte zu stärken“, sagte Marin.

Zustimmung kam auch von der Industrie- und Handelskammer. „Die Digitalisierung ist aktuell der zentrale Innovationstreiber, nicht nur in der Industrie, sondern in fast allen Branchen“, sagt Petra König, verantwortlich für Innovation, Technologie und Wissenschaft bei der IHK. „Ausgangssituation und Chancen für den Wirtschafts- und Wissenschaftsstandort Berlin, sich hier zu profilieren und national und international stärker sichtbar zu werden, sind gut.“

Olympia-Aus als Ansporn

Der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) findet die Idee einen „interessanten Gedanken“. Kultur und Wissenschaft seien in ihrer Exzellenz wichtige Säulen für den Standort Berlin, teilte er mit. „Wenn man Arbeitsplätze in Berlin schaffen will, spielen die Industrie und Industrie 4.0 eine wichtige Rolle“, sagte Müller. Deshalb seien die „Schnittstellen“ zwischen Wissenschaft und Produktion auch besonders relevant. Und Wirtschaftssenatorin Cornelia Yzer (CDU) ergänzte: „Als wachsender Wirtschafts- und Technologiestandort braucht Berlin hochqualifizierte Beschäftigte, um sich im internationalen Wettbewerb behaupten zu können.“

Turner hatte im Leitartikel der Sonntagsausgabe angeregt, die erfolglose Kampagne Berlins als deutscher Olympia-Bewerber 2024 nicht als Niederlage zu begreifen, sondern als Ansporn, die Talente der Welt auf andere Weise in der Stadt zu versammeln. Über die Stärkung der Wissenschaft – speziell im IT-Sektor – habe Berlin im Zusammenwachsen von IT und Industrie die Chance, wieder ein internationales Wirtschaftszentrum zu werden. Die Voraussetzungen dafür – da sind sich alle Akteure einig – sind gut.

Die Informatik an den Universitäten und Fachhochschulen genieße deutschlandweit bereits einen sehr guten Ruf, sagte Bernhard Rohleder, Hauptgeschäftsführer des IT-Verbands Bitkom. „Um zu den Top-Standorten in Deutschland, Europa und der Welt aufschließen zu können, ist ein gezielter und ambitionierter Ausbau der Lehr- und Forschungskapazitäten extrem wichtig“. Zusätzliche Investitionen in Bildung und Forschung seien Voraussetzung, wenn Berlin „zur europäischen Digital-Hauptstadt“ werden wolle.

350.000 Euro für jede Professur

Durchschnittlich entsteht in Berlin alle 20 Stunden ein neues Start-up, technologielastig und mit hohem Potenzial für Innovationen, wie auch etablierte Konzerne inzwischen festgestellt haben. Immer mehr von ihnen nehmen Gründer unter ihre Fittiche, deren Geschäftsideen zu ihnen passen und statten sie mit Geld und Wissen aus. Damit entwickeln sie sich zum zweiten Standbein neben den staatlichen Förderungen für Start-ups.

Daneben sind in Berlin rund 9400 Studierende im Fach Informatik eingeschrieben, rund 5400 davon an den großen Universitäten. An den Universitäten lehren und forschen 65 Professoren in dem Bereich, an den Fachhochschulen sind es 85. Würden 100 neue IT-Professuren an den Fachhochschulen geschaffen, koste das auf mittlere Sicht etwa zehn Millionen Euro jährlich, schätzte Michael Kramp, Vizepräsident der Beuth-Hochschule. An den Universitäten wäre die Summe höher, die TU beziffert die Kosten je Professur auf 350.000 Euro.

Wer soll das bezahlen?

Berlin und insbesondere die Technischen Universität seien in der Informationstechnologie bereits sehr gut aufgestellt, betonte TU-Präsident Christian Thomsen. „Mit zusätzlichen Professuren könnte aber diese Forschungsexzellenz strategisch ausgebaut werden.“ Tatsächlich betreibt die TU etliche Großprojekte, zum Beispiel das Big-Data-Zentrum.

Doch wer soll das Programm finanzieren? Der Wissenschaftspreisträger Klaus-Robert Müller plädiert für ein gemeinsames Investitionsprogramm des Landes und des Bundes. „Wenn beide hier noch einmal nachhaltig investieren würden, dann gäbe es kein Halten mehr für den IT-Standort Berlin“, sagte der TU-Informatiker. Derzeit haben die Berliner Hochschulen Probleme, ihre Stellen zu besetzen. Die Wirtschaft locke mit höheren Gehältern, Stelleninhaber wechselten zudem häufig nach Süddeutschland, wo die Besoldung besser ist, sagte Beuth-Vize Kramp. Wichtig sei daher eine konkurrenzfähige Ausstattung.

Start-ups und Hochschulen: Fokus nicht nur auf IT

Die Stadt der Zukunft könne von Wissenschaft und Wirtschaft ideal am Flughafen Tegel gestaltet werden. Auch Klaus Semlinger, Präsident der Hochschule für Technik und Wirtschaft, betonte, dass es allein mit Personalinvestitionen nicht getan sei. Der HTW fehlten schon jetzt 20.000 Quadratmeter Fläche für die Lehre. Beide FH-Vertreter setzen sich für ein ganzheitliches Denken ein, was den Umgang mit der Digitalisierung der Gesellschaft angeht. „Wenn die Stadt Chancen hat, dann an den Schnittstellen der Fachbereiche“, sagte Semlinger.

Das sehen Wirtschaftsvertreter genauso. Es sei richtig, sich auf seine Stärken zu besinnen, sagte Florian Nöll, Vorsitzender des Bundesverbands Deutsche Startups. „Und eine von Berlins Stärken ist die Digitale Wirtschaft. Ich würde den Fokus aber ein wenig öffnen: Wir brauchen nicht 100 Professuren für IT, sondern von IT über E-Commerce bis Entrepreneurship sollte alles dabei sein.“

Digitalisierung als Kernkompetenz

Noch einen Schritt weiter geht Peter-André Alt, Präsident der Freien Universität. „Berlin braucht einen Masterplan für die Digitalisierung der Stadt.“ Die neue digitale Agenda müsse alle Fachbereiche der Hochschulen umfassen. „Big Data in der Medizin, das die personalisierte Medizin auf eine neue Basis stellt, die digital Humanities in den Geisteswissenschaften und die vernetzten Märkte in den Wirtschaftwissenschaften“, nannte Alt Schwerpunkte.

Thomas Wiegand, Direktor am Fraunhofer Heinrich-Hertz-Institut, sagte: „Berlin braucht eine Kernkompetenz, die für die Weltwirtschaft strategisch wichtig ist. Die jetzt kommende zweite Welle der Digitalisierung kann diese Kernkompetenz sein.“ Dort vorne mitzumischen sei extrem wichtig.

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