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Es staut sich: Dass der Welthandel noch nicht wieder rund läuft, bekommt die deutsche Industrie zu spüren.

© Dean Musgrove/The Orange County Register/AP/dpa

1,8 Prozent im dritten Quartal: Im EU-Vergleich erscheint Deutschlands Aufschwung noch langsamer

Im Sommer wächst die deutsche Wirtschaft leicht. Das liegt vor allem an privatem Konsum. Der Industrie bleibt nur die Hoffnung auf das kommende Jahr.

Viele Experten mussten sich zuletzt korrigieren. Ökonomen und Forschungsinstitute vermeldeten in den vergangenen Wochen reihenweise, dass sie ihre Wachstumsprognosen für das laufende Jahr nach unten korrigieren. Zuletzt war es die Bundesregierung selbst, die nun statt einem Plus von 3,6 nur noch 2,6 Prozent erwartet. Am Freitag wurde diese Schätzung nun von konkreten Zahlen unterfüttert: Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) legte von Juli bis September nur um 1,8 Prozent zum Vorquartal zu.

Die vom Statistischen Bundesamt veröffentlichte Schnellschätzung blieb damit weit unter den Erwartungen der von der Nachrichtenagentur Reuters befragten Ökonomen zurück. Sie hatten 2,2 Prozent auf dem Zettel, nach einem Plus von 1,9 Prozent im Frühjahr. Die Industrienation Deutschland bekommt die pandemiebedingten Materialengpässe und Lieferkettenprobleme damit sogar stärker zu spüren als der Euroraum insgesamt, der sein Wachstum im Sommer sogar leicht auf 2,2 Prozent erhöhte.

Die Eurozone habe vom starken Comeback der Dienstleistungsbranchen profitiert, sagte KfW-Chefvolkswirtin Fritzi Köhler-Geib. Doch bald drohe Gegenwind, warnt Chefökonom Alexander Krüger vom Bankhaus Lampe: „Die Materialmisere wird die Konjunktur im Euroraum im Winterhalbjahr stärker bremsen.“

Frankreich und Italien wachsen schneller

Wie schwer sich Deutschland tut, wird beim Blick auf andere Länder deutlich. So legte die Wirtschaft in Frankreich und Italien im Sommer um 3,0 beziehungsweise 2,6 Prozent zu. Während die französische Wirtschaft ihr Vorkrisenniveau faktisch wieder erreicht habe, werde es Italien aller Wahrscheinlichkeit erst Anfang 2022 gelingen: „Genau wie Deutschland“, prognostiziert DWS-Ökonom Martin Moryson. Allerdings rechnet man in Rom für das laufende Jahr mit einem Plus von 6,0 Prozent. Hier war die Wirtschaft im Vorjahr allerdings auch deutlich stärker abgestürzt als in Deutschland.

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In Frankreich erreicht der Aufschwung schon fast historische Ausmaße. So stellt das aktuelle Quartalsplus ein Rekord von 1968 ein – sieht man einmal vom Vorjahr ab als das Ende des strengen Lockdowns für ein außer Konkurrenz laufendes Plus von 18 Prozent gesorgt hatte. Auch in Spanien stieg das BIP in diesem Sommer um 2,0 Prozent – was allerdings deutlich weniger war als das, was Experten erwartet hatten.

Insbesondere die Verbraucher stützten laut den Wiesbadener Statistikern mit ihren Ausgaben die deutsche Konjunktur im Sommerquartal. „Hintergrund waren vor allem die Lockerungen im Gastgewerbe, der Gastronomie, dem Einzelhandel, bei Veranstaltungen und in der Freizeitwirtschaft“, erklärte Sebastian Dullien, wissenschaftliche Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK).

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„Die Industrie dürfte dagegen wegen der anhaltenden Probleme mit den Lieferketten nicht substanziell zu dem Wachstum beigetragen haben.“ Das dürfte auch dazu führen, dass wir uns für das laufende vierte Quartal allerdings wieder auf deutlich schlechtere BIP-Wachstumsraten einstellen müssen, so Dullien.

Alle Hoffnung auf 2022

Das Münchner Ifo-Institut schätzt die bislang durch die Engpässe ausgelösten Wertschöpfungsverluste in der hiesigen Industrie auf knapp 40 Milliarden Euro. „Das ist gut ein Prozent der gesamten Wirtschaftsleistung Deutschlands in einem Jahr“, erläuterte Ifo-Konjunkturchef Timo Wollmershäuser. Dieser „Sand im Getriebe der deutschen Wirtschaft“ hemme auch die Konjunktur.

Für das vierte Quartal rechnen die Münchner Forscher nur noch mit einem mageren Wachstum von 0,5 Prozent. Da die Werte für die ersten beiden Quartale 2021 allerdings nachträglich leicht nach oben korrigiert wurden, könnte das Wachstum am Jahresende doch leicht höher als von der Bundesregierung geschätzt ausfallen. Dullien spricht von „zwei Zehntel Prozentpunkten“.

Für 2022 rechnet die Bundesregierung allerdings mit einem kräftigeren Wachstum von 4,1 Prozent. Die extrem hohen Auftragspolster dürften im kommenden Jahr für kräftigen Auftrieb sorgen, sobald die Produktion wieder ungehinderter laufen könne, meint auch Stefan Kooths – Konjunkturchef des IfW Kiel. Zugleich habe sich bei den privaten Haushalten während der Pandemiezeit Kaufkraft von rund 200 Milliarden Euro aufgestaut. „Für die Wirtschaftspolitik ist damit die Botschaft klar: Es bedarf keiner konjunkturstimulierenden Maßnahmen. Diese würden nur die ohnehin starke Preisentwicklung weiter anheizen“, so der Experte. (mit rtr)

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