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"Wind of Change": Frischer Wind für die Energiewende

Fliegende Windkraftanlagen könnten uns den Klimazielen näherbringen. Die Strömungsforschung schafft die Grundlagen dafür.

Der Wind steht gut. Er hat ihn im Rücken. Vor Alexander von Breitenbach bläht sich sein grün-weißer Kite auf der Sommerwiese und zerrt ungeduldig an den Leinen. Dann hebt der Flugschirm ab und folgt der leichten Brise in den Himmel über dem Tempelhofer Feld. Das Kitesurfen ist für den TU-Wissenschaftler mehr als ein sportliches Hobby. Er gehört zu der fünfköpfigen TU-Forschungs-gruppe „Airborne Wind Energy Systems“ am Fachgebiet Experimentelle Strömungsmechanik von Prof. Dr.-Ing. Oliver Paschereit. Sie verfolgt einen großen Traum: Fliegende Windkraftanlagen sollen der Energiewende „frischen Wind“ verleihen.

„Diese Technologie könnte in naher Zukunft Millionen von Menschen klimaneutralen Strom liefern – kostengünstig und quasi unabhängig vom Standort“, sagt Alexander von Breitenbach. „Das wäre ein evolutionärer Schritt in der Geschichte der Windkraft.“

In Europa sind Windräder seit dem 12. Jahrhundert verbreitet. Die meist dreiblättrigen Windkraftanlagen, die heute weite Landschaftsteile in Europa überziehen und Menschen von fossilen Energieträgern wie Kohle, Gas oder Erdöl unabhängig machen sollen, gibt es erst seit rund 50 Jahren. Seit den 1990er-Jahren ist Windenergie fester Bestandteil des Deutschen Strommixes. 2018 lieferte sie rund 20 Prozent des hierzulande erzeugten Stroms.

Mit jedem Höhenmeter nimmt die Energieausbeute zu

Doch der weitere Ausbau stößt an seine Grenzen. „Die windintensivsten Standorte Deutschlands sind bereits erschlossen und die Giganten können auch nicht unbegrenzt in windigere Höhen wachsen“, so Alexander von Breitenbach. Abhilfe könnten fliegende Windkraftanlagen schaffen, sogenannte „Airborne Wind Energy Systems“. „Warum sollen wir uns mit den schwachen Winden in Bodennähe zufriedengeben, wenn wir auch hoch hinaus können? Warum sollen wir weiterhin tonnenschwere Türme und Fundamente bauen, um in die Höhe zu kommen, wenn wir, wie bei einem Kinderdrachen, einfach mehr Leine lassen können?“

Winde nehmen mit dem Abstand zum Erdboden zu, und je höher die Windgeschwindigkeit, desto höher die Energieausbeute der Windräder. So sollen die konventionellen Windkraftanlagen immer größer und höher werden. Derzeit, so von Breitenbach, liegen die Naben der Anlagen in rund 130 Metern Höhe. Flugwindkraftanlagen dagegen könnten mehr als dreimal so hoch hinaus und in Höhen von 300 bis 700 Metern agieren, dort, wo der Wind stetiger und stärker weht.

Weniger Investitionskosten

Ein weiterer entscheidender Vorteil: Flugwindkraftanlagen sind nicht nur eine ganzjährig zuverlässige Energiequelle, sie versprechen auch immense Einsparungen bei Material und Investitionskosten: Die tonnenschweren Rotorblätter, massiven Türme und Fundamente aus Stahlbeton, die die an der Rotorfläche entstehenden aerodynamischen Kräfte aufnehmen, machen derzeit mehr als 50 Prozent der Investitionskosten aus. Sie werden überflüssig, denn ultraleicht gebaute Flugwindkraftanlagen übertragen die Luftkräfte mittels Seilsystem an die Bodenstation, die auch einen Speicher umfassen kann.

Die Bewegung der Seile beim Aufstieg des Kites sowie beim Absolvieren der Flugroute erzeugt an der Bodenstation den Strom, ähnlich wie bei einem Dynamo. Die Station kann mobil sein und damit standortunabhängig. Wälder, Hügel, Berge oder Bebauung dämpfen die Energieausbeute nicht länger wie bei bodennaher Windenergie. Derzeit kommen nämlich konventionelle Anlagen jährlich nur auf eine Volllast von 35 Prozent. Flugwindkraftanlagen könnten 75 Prozent des Jahres auf Volllast Strom produzieren, wie aktuelle Untersuchungen zeigen.

Im Off-Shore-Bereich könnten sogar die Fundamente der derzeitigen Anlagen, also eine bereits bestehende Infrastruktur, für die Installation fliegender Windkraftanlagen verwendet werden. Bei den konventionellen Anlagen müssen nämlich nach jeweils wenigen Jahrzehnten Türme und Rotorblätter rückgebaut werden. Dabei entstehen Kosten in Millionenhöhe, die dann ebenfalls eingespart werden könnten.

Technologische Grundlagenforschung

„Alle Ideen zum Design fliegender Windkraftanlagen, seien es Drachen, Zeppeline oder andere Luftschiffe, stecken heute noch in den Kinderschuhen“, sagt Dr. Christian Nayeri, der die „Airborne Wind Energy Systems“-Gruppe leitet. „Unser Ziel ist es vor allem, wissenschaftliche Grundlagen für diese Technologie zu schaffen. Dazu gehört die aerodynamische Optimierung der fliegenden Windkraftanlagen oder die Auslegung und Berechnung der optimalen Flugrouten.“

In Computersimulationen und Experimenten mit Modellen in den Windkanälen der TU Berlin werden Parameter wie Druckverteilung, Kräfte, Windgeschwindigkeit und Anströmwinkel untersucht. Sogar unter Wasser sind Strömungsuntersuchungen geplant, wegen der höheren Aussagekraft. Sie werden in der TU-eigenen 250 Meter langen Schlepprinne stattfinden, einem der größten Schleppkanäle Europas. „Die Erkenntnisse sind sehr wichtig auch für die automatisierte Selbststeuerung der Flugwindkraftanlage“, so Nayeri. „Hoch oben über den Wolken muss das Fluggerät schließlich selbstständig seine Höhe regulieren, es muss Windfelder oder Windrichtung in automatisierte Steuerungsentscheidungen einbeziehen.“

Windanlagen bald in den Wolken?

Der Traum vom „fliegenden Kraftwerk“ weckt derweil auch das Interesse der Industrie. So arbeitet die Forschungsgruppe nicht nur aktiv an der regenerativen Energiewende, sondern auch eng mit industriellen Partnern zusammen, wie mit dem TU-Start-up „Enerkite“, das schon einen Prototyp gebaut hat.

„Wir müssen neue Energiepotenziale erschließen, um die Klimaziele des Pariser Abkommens von 2015 zu erfüllen und den globalen Klimawandel abzuwenden“, so von Breitenbach. So fliegen vielleicht schon bald nicht nur die Kites der Surfer, sondern auch die ersten Windanlagen hoch in den Wolken über Berlin.

Patricia Pätzold

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