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Achterbahn

© WIm Wenders / Blain Southern

Wim Wenders über seine Fotografie: „Die Orte sprechen mit mir“

Die Galerie Blain Southern zeigt in "Time Capsules" Wim Wenders als Fotografen. Im Interview spricht er über einsame Orte und skurrilen Motive seiner Fotografien.

Wim Wenders hat preisgekrönte Spiel- und Dokumentarfilme wie „Paris, Texas“ oder „Pina“ (2011) gedreht“. Dass ihm die Fotografie als Medium ebenso wichtig ist, stand lange im Hintergrund. Die Galerie Blain Southern zeigt in Berlin nun seine jüngsten großformatigen Bilder.

Herr Wenders, was muss ein Motiv haben, damit Sie zum Fotoapparat greifen?

Etwas Verwunschenes, ein Geheimnis. Moderne Orte können das ebenso gut haben wie alte, verfallene.

Erkennen Sie das Potenzial eines Ortes im Vorbeigehen oder recherchieren Sie, bevor Sie sich auf Reisen begeben?

Ich fotografiere eigentlich nicht im Vorbeigehen. Und ich recherchiere auch nicht. Ich finde meine Orte selber oder lasse mich von einer Landkarte inspirieren. Ich höre nicht auf Ortskundige. Wenn die mir sagen, Sie müssen jetzt unbedingt hier vorne links gehen, weil Sie da was ganz Interessantes sehen …

… dann gehen Sie nach rechts?
Weil ich sicher bin, dass ich rechts finde, was die Einheimischen nicht wahrnehmen. Ich glaube, dass Orte eine Fähigkeit haben, sich bemerkbar zu machen, so dass ich wie magnetisch angezogen werde.

Sie sind auf Dreharbeiten und reservieren dann ein paar Stunden für sich?
Ich fotografiere meist für Tage oder Wochen und tue dann nichts anderes als reisen, ins Auto steigen, weiterfahren, anhalten. Ich lese liebend gern Karten und versuche zu erkennen, was mich erwartet. Ich bin schon oft irgendwohin gefahren, bloß weil ich den Namen eines Flusses, Berges oder einer Stadt interessant fand.

Wim Wenders
Wim Wenders

© Wim Wenders / Blain Southern

Weshalb tauchen in Ihren Landschaften und Architekturen keine Menschen auf?
Ein Mensch im Bild zieht alle Aufmerksamkeit auf sich. Für den Ort erweist sich das meist als verheerend: Kaum steht dort eine Person, identifiziert man sich als Betrachter mit ihr. Sie wird zum Fixpunkt. Das will ich nicht. Ich brauche keinen anderen Interpreten für den Ort.

Sie könnten ja auch mit einer Crew anreisen und den Filmset sperren lassen.
Das würde nicht gehen. Dann hätte der Ort nichts mehr zu sagen. Außerdem fotografiere ich nicht in Gegenwart anderer. Kaum ist jemand dabei …

… spricht der Ort nicht mehr?
So ist es. Kaum ist man mit jemand anderem unterwegs, ist die Kommunikation mit dem Ort dahin. Ein Ort wendet sich nur an solche, die allein in der Landschaft stehen. Deswegen habe ich auch keinen Assistenten und stelle kein Stativ auf.

Und wenn die vorgefundene Situation für Sie nicht perfekt ist?
Ich verändere nichts, weder vorher noch hinterher. Auch der Ausschnitt bleibt im Großen und Ganzen erhalten. Ich habe keinen Zoom. Manchmal komme ich am nächsten Tag wieder, wenn ich den Ort sehr schön finde und weiß, dass er mir morgens bestimmt mehr zu erzählen hat als abends. Ich bin zu vielen Orten mehrfach gegangen, weil ich wissen wollte, wie das Licht am nächsten Tag fällt. Das ist einer der wichtigsten Schlüssel für einen Ort. Ich fotografiere viel in der Dämmerung, morgens und abends.

Sie fotografieren analog. Aus Nostalgie?

Es ist eigentlich Notwehr. Ganz bestimmt keine Nostalgie. Ich drehe meine Filme schon seit ewigen Zeiten digital. Aber als Fotograf – den ich wie das Fotografieren immer mit ph statt mit f schreibe – interessiert mich das überhaupt nicht. Was ich am Analogen liebe: Es führt einem nichts vor, während man fotografiert. Ich kann das Ergebnis nicht vorab auf einem Display sehen. Das Ding ist mir ein Greuel, weil es das Ende des Dialogs bedeutet. Dann interessiere ich mich schon während des Fotografierens für das Ergebnis. Ich will mich aber nur für den Akt der Begegnung interessieren und das Bild erst sehen, wenn ich nach Hause komme.

Sie wollten ursprünglich Künstler werden. Haben Sie auch Landschaften gemalt?
Na ja, ich habe eine Menge versucht. Ich habe früher unterwegs Zeichnungen gemacht oder Aquarelle gemalt. Aber eigentlich übernimmt die Fotografie diese Mittlerfunktion besser. Sie ist bescheidener, weil sie wiedergibt, was es gibt. Auf der anderen Seite kommen meine Fotos ein bisschen unbescheiden daher, wenn es um das Thema Formate geht.

Ihre Abzüge sind sehr groß. Weshalb?
Nicht, weil big beautiful ist. Sondern weil die Orte nur in dieser Größe sich selbst entsprechen und wiedergeben, wie sie auf mich gewirkt haben. Die Betrachter sollen alle Details sehen können, die ich auch gesehen habe. Und eigentlich geht es mir um die Erfahrung. Darum, etwa in der Wüste gestanden und die Stille gehört zu haben. Um jemanden mit in diese Stille zu nehmen, können Sie keinen kleinen Abzug machen.

Gibt es für Sie Vorbilder in der Geschichte der Fotografie?
Beeindruckt hat mich Walker Evans. Das war mein erster Held. In meiner Jugend hatte die Fotografie in Deutschland keinen Stellenwert. Ich habe auch August Sander erst viel später entdeckt. Ich habe schon als kleiner Junge fotografiert, aber das war Teil meines täglichen Lebens, keine Kunst.

Wann kam die Erkenntnis?

In New York, in den siebziger Jahren. Ich stand in einer Galerie, in der Fotos hingen, und war völlig von den Socken, dass es so etwas gab. Da habe ich mit allem, was ich besaß, einen kleinen Abzug von Walker Evans gekauft. Sein berühmtes Bild von der Auslage eines Ladens, der Passfotos macht. Das sind eigentlich tausend Porträts, die einen angucken.

Und wann entstanden Ihre ersten künstlerischen Fotos?
1983 habe ich diese Bilder gemacht, die später unter dem Titel „Written in the West“ veröffentlicht wurden. Ich war allein im amerikanischen Westen unterwegs und habe zum ersten Mal in meinem Leben mit Farbnegativ fotografiert. Ich wollte das Licht und die Farben des Westens besser verstehen und die Scheu vor diesen Kodachrome-Farben verlieren. Die Wolken, der Himmel, die Wüste: Das sah doch alles wie gemalt aus!

Wie gemalt, da ist das Stichwort wieder.

Mein erster Eindruck war: Das traut sich doch niemand zu behaupten, dass es das wirklich gibt. Ich habe fotografiert, bis ich nicht mehr anders konnte, als dieses Licht und diese Farben selbstverständlich zu finden. Die Filme habe ich nicht weiter beachtet, sie nur in einem Nebensatz erwähnt, als 1984 „Paris, Texas“ herauskam. Dann wollte sie jemand vom Centre Pompidou sehen, und ich habe meine ersten Abzüge gemacht. Da wusste ich, das will ich weitermachen. Die Fotografie ist eine Sache für sich, nicht nur ein Mittel zum Zweck.

"Times Capsules", Galerie Blain Southern, Potsdamer Straße 77-97, noch bis zum 14 November

Das Gespräch führte Christiane Meixner.

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