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Das weltberühmte Restaurant „Noma“ verrät Geheimnisse der Fermentation, etwa die Weißwein-Alternative: süßes Zitrus-Koji-Wasser, den Extrakt eines eingelegten Pilzes, um etwa Fisch oder Gemüse darin zu garen.

© Noma/promo

Wie Spitzenköche fermentieren: Gären und gären lassen

Ohne Fermentation gäbe es weder Sauerteig noch Käse oder Bier. Ein Buch der berühmten "Noma"-Köche verrät, was Pilze und Bakterien zu gutem Geschmack beitragen.

Die gute Neuigkeit: Man kann das eben erschienene spektakuläre „Handbuch Fermentation“ des weltberühmten Restaurants „Noma“ auch ohne Chemiestudium verstehen. Jedenfalls wenn man keine Angst vor Wörtern wie Lactobacillales oder Saccharomyces cerevisiae hat und dazu die Muße, seitenweise Beutel mit vakuumierten Pflaumen in verschiedenen Zuständen der Gärung zu untersuchen. Die schlechte: Wenn man es wirklich ernst meint mit den komplexen mikrobakteriellen Vorgängen, die auf 456 Seiten beschrieben werden, und vielleicht sogar das ein oder andere nachmachen will, könnte eine gewisse handwerkliche Geschicklichkeit von Nutzen sein.

Zum Beispiel wenn man einen Koji züchten will. Der Schimmelpilz ist eine Wunderwaffe. Man braucht ihn, um Sojasauce herzustellen, aber auch für Miso, Sake sowie die Würzsauce Mirin. Er ist also für japanische Aromenwelt etwa so zentral wie der Eiffelturm für Paris. In Japan bauen Sake-Brauer ihm gleich einen eigenen Schrein, den Koji muro, einen mit Zedernholz vertäfelten Raum, in dem sich der Aspergillus oryzae besonders wohlfühlt. Für zu Hause, sagt die „Noma“-Bibel, tue es eine selbst gezimmerte Zedernholzschublade, deren Aroma die dort angesiedelten Sporen annehmen.

Ein ehrgeiziges Buch zum verborgenen Wirken von Bakterien und Pilzen

Egal ob man die Schublade nun nachschreinert oder nur mit Staunen in diesem Band voller Entdeckergeist blättert: Das mit ziemlich großem Abstand ehrgeizigste Buch zu diesem weitgehend im Unsichtbaren, weil im mikroskopisch Kleinen stattfindenden Thema zeigt, was für ein Kult mittlerweile um die Fermentation entstanden ist.

Lackieren, pürieren. Mit laktofermentierten Blaubeeren lackierter Mais schmeckt toll.
Lackieren, pürieren. Mit laktofermentierten Blaubeeren lackierter Mais schmeckt toll.

© Noma/promo

Quasi jedes Restaurant mit einem gewissen Anspruch macht sich dazu seine Gedanken. Da muss man weder nach Japan noch nach Kopenhagen, das kann man auch in Berlin schmecken. Im Zwei-Sterne-Restaurant „Rutz“ in der Chausseestraße in Mitte steht der halbe Keller voll mit milchsauer eingelegtem Gemüse. Im „Cell“ in Charlottenburg gibt es eine Auster, deren feiner, jodiger Geschmack mit Buchweizen-Koji angeschoben wird. Im „Cordo“ in Mitte begleitet ein sauer-scharfer fermentierter Rettich das zarte Kalbshirn, im Kreuzberger Brauhaus „Brlo“ fermentierte Steckrübe einen Ravioli. Im „Dae Mon“ in Mitte gibt es einen Kimchi-Pfannkuchen in Dashi-Brühe, und die Berliner Eat-Art-Künstlerin Kristiane Kegelmann füllt eine ihrer futuristischen Pralinen mit Kefir.

Die Liste ließe sich endlos fortsetzen. Denn Einwecken, Einlegen und Ansetzen ist wieder ein Volkssport geworden, und das längst nicht nur unter Profiköchen. Es gibt unzählige Bücher, Facebook-Gruppen, Youtube-Tutorials mit Köchen, Brauern, Sommeliers, Ärzten bis hin zu Molekular- und Evolutionsbiologen.

Fermentation hat entscheidenden Anteil daran, was uns schmeckt

Wer jetzt glaubt, das Thema sei nichts als zeitgeistiger Hipsterkram, verkennt die Tiefe: Fermentation verrät Grundsätzliches über die Frage, was uns schmeckt und warum. Sie zieht sich durch viele Kulturen und kulinarische Traditionen. Ohne sie gäbe es kein Sauerteigbrot, keinen Käse, keinen Wein, kein Bier, keine Schnäpse und kein eingelegtes Gemüse.

Was passiert da überhaupt? Einfach gesagt ist Fermentation die Wandlung von Lebensmitteln durch Mikroorganismen wie Bakterien, Hefen oder Schimmelpilze. Diesen Job erledigen Enzyme, die von diesen Mikroorganismen produziert werden. Sie brechen die Moleküle der Lebensmittel auf, wandeln sie um und erzeugen so ganz neue Geschmacksnuancen. Der Koji etwa, der auf Reis gezüchtet wird, aber auch auf anderen Getreiden gedeiht, entwickelt nach zwei Tagen einen intensiv süßen Geschmack, den Reis nicht hat, wenn man ihn einfach nur kocht.

Gelbes Erbsen-Miso, eine Lieblingsgewürzpaste des „Noma“-Teams.
Gelbes Erbsen-Miso, eine Lieblingsgewürzpaste des „Noma“-Teams.

© Noma/promo

Wie kommt das? Bei jeder Fermentation werden die langen Molekülketten in ihre Bestandteile zerlegt. Die Stärke in Reis, Gerste, Erbsen oder Brot besteht aus langen Molekülketten von Glukose, einem Einfachzucker. Die Proteine in Sojabohnen und Fleisch sind ganz ähnlich aufgebaut. Sie bestehen aus verwickelten langen Ketten von Aminosäuren. Eines dieser Moleküle ist die Glutaminsäure, die unsere Rezeptoren im Rachenraum als Umami identifizieren, also jenen geheimnisvollen fünften Geschmack, den man meist mit „herzhaft“ nur unzureichend umschreibt.

Allerdings sind die Stärke- und Proteinmoleküle in vielen Speisen selbst zu groß, um von unserem Körper als süß oder Umami wahrgenommen zu werden.

Die Fermentation ändert das, sie zerlegt sie in Einfachzucker und freie Aminosäuren. Die Folge: Wir empfinden die Speisen als wohlschmeckend. Immerhin ist unser Geschmacks- und Geruchssinn ja seit Millionen von Jahren darauf programmiert, Nahrungsmittel zu erkennen, die uns guttun, also die reife, süße und damit kalorienreiche Frucht vom bitteren und damit vielleicht giftigen Pflanzenstängel zu unterscheiden.

Wie ein Schimmelpilz ein entbeintes Eichhörnchen zur Delikatesse macht

Klar, die Fermentation ist in ihren extremeren Ausprägungen auch immer für ein paar Horrorgeschichten gut. Als Schocker muss da meist der in Island angeblich gern gegessene Grönlandhai herhalten, der monatelang in einer Grube vergraben wird und dort vor sich hinrottet. Aber auch das Garum aus einem entbeinten Eichhörnchen mit Schimmelpilz, das zwei Wochen bei 68 Grad gekocht wird, klingt fies, ist aber Basis für eine an den Geschmack von Schinken erinnernde, mit reichlich Umami gesegnete Sauce im „Noma“. Grundsätzlich sorgt die Legion an Mikroorganismen, die für die Fermentation verantwortlich ist, dafür, dass komplexe Lebensmittel nicht nur nahrhafter und köstlicher sind, sondern auch bekömmlicher. Sie sind ja gewissermaßen schon vorverdaut und liefern viele Nährstoffe, die beim Stoffwechsel der Mikroorganismen entstehen.

Bleibt die Frage, warum ist Fermentation gerade jetzt so ein großes Thema? Ein paar Gründe liegen auf der Hand. Da ist das Interesse an allem Handwerklichen, der Siegeszug des Asiatischen, die Hinwendung zum Gemüse und damit zur Saisonalität spielen eine Rolle. Experte Markus Shimizu von „Mimi Ferments“ fragt sich eher, warum es so lange so wenig gemacht wurde. „Bis zur Industrialisierung wurde ja überall auf der Welt über Jahrhunderte fermentiert. Mit der Erfindung des Kühlschranks und der Konservierungsstoffe geriet das dann eine Weile in Vergessenheit.“ Denn Fermentation ist ja auch ein Mittel der Haltbarmachung. „Dazu kommt: Durch sie kann man ganz viele neue Geschmäcker und Texturen schaffen.“

"Mimi Ferments" beliefert Spitzenrestaurants mit seinen Produkten

Markus Shimizu ist manchmal selbst erstaunt, was aus den Fermenten wird, die er seit zwei Jahren in Moabit handwerklich herstellt: etwa ein Eis aus seiner Sojasauce, das Küchenchefin Sophia Rudolph im „Panama“ zubereitet hat. Er kommt gar nicht hinterher, alles zu probieren, denn Shimizu beliefert mittlerweile Restaurants in ganz Deutschland und Österreich mit Miso, Koji, Shoyu, also Sojasauce, Tempeh und Natto – fermentierten Sojabohnen, die in Japan gern zum Frühstück gegessen werden und ziemlich streng nach Käsefuß riechen.

Markus Shimizu beliefert mit seinen Produkten von "mimi ferments" Spitzenrestaurants mit seinen handgemachten Sojasaucen und Miso-Pasten.
Markus Shimizu beliefert mit seinen Produkten von "mimi ferments" Spitzenrestaurants mit seinen handgemachten Sojasaucen und Miso-Pasten.

© mimi ferments/promo

Ein weiterer Grund für den Siegeszug der Fermente in der modernen Küche ist, dass sie so vielseitig einsetzbar sind. In Dänemarks Top-Restaurant „Noma“ kommt in praktisch jedem Gang etwas Gereiftes vor, manchmal nur in Pipetten-Dosis. Beim Lakto-Fermentieren von Steinpilzen etwa entsteht ein intensiver Saft, mit dem der frische Seeigel gewürzt wird. Milchsauer eingelegte Pflaumen kommen auf gegartes Fleisch, ihr Saft als Dressing über rohe Meeresfrüchte.

Um solche Geschmacksexperimente möglich zu machen, hat das „Noma“-Team ein eigenes Labor in einem Teil des Kopenhagener Restaurants eingerichtet: zehn Räume mit präzisen Temperatur- und Luftfeuchtigkeitsreglern, um die Prozesse optimal zu steuern. Dazu steht ein Maschinenpark bereit aus Backapparaten, Zentrifugen, Destillationsapparaten, außerdem ein „Supercritical Fluid Extractor“, eine Anlage zur Hochdruckextraktion aus der Parfumindustrie. David Zilber, der auch das „Handbuch Fermentation“ geschrieben hat, ist der Chef dieses Labors, er leitet ein vierköpfiges Team, das sich ausschließlich dem Fermentieren widmet.

Was nicht heiße, dass im Noma alles irgendwie sauer, salzig oder gar streng schmecke, schreibt Sternekoch René Redzepi im Vorwort des Handbuchs. „Das Fermentieren sorgt im Noma nicht für eine bestimmte Geschmacksrichtung – es sorgt dafür, dass einfach alles besser schmeckt.“

Dieser Beitrag ist auf den kulinarischen Seiten "Mehr Genuss" im Tagesspiegel erschienen – jeden Sonnabend in der Zeitung. Hier geht es zum E-Paper-Abo. Weitere Genuss-Themen finden Sie online auf unserer Themenseite.

Felix Denk

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