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Ein Riesenmammutbaum (Sequoiadendron giganteum) wie hier im Sequoia-Nationalpark kann eine Höhe von bis zu 95 Metern erreichen.

© Shutterstock, hkalkan

Wie sich Bäume mit Wasser versorgen: Saugkraft bis in die höchsten Wipfel

Ohne Unterdruck geht es nicht: Bäume vollbringen gewaltige Leistungen, um aus dem Boden genug Wasser zu bekommen - und dabei Embolien zu vermeiden.

Haben Sie schon einmal versucht, vom fünften Stock aus mit einem sehr, sehr langen Strohhalm ein Wasserglas im Erdgeschoss auszutrinken? Es geht nicht. „Spätestens in zehn Metern Höhe würde die angesaugte Wassersäule reißen“, sagt Roland Netz, Professor für Biophysik an der Freien Universität Berlin. Aber wie gelingt es dann Bäumen, Wasser aus dem Boden bis hinauf in die Wipfel zu ziehen? Ein nordamerikanischer Mammutbaum, ein Redwood, kann immerhin bis zu 110 Meter hoch werden.

Das funktioniert mit gewaltigem Unterdruck – negativem Druck, wie Physiker sagen. Der Normaldruck liegt bei 1 bar und fällt alle zehn Meter um 1 bar. Bei 110 Metern müsste der Baumriese demnach mit mindestens minus 10 bar saugen. Messungen zeigen, dass er es sogar auf minus 20 bar bringt! Deutlich mehr Kraft müssen Gewächse aufwenden, die in sehr trockenen Regionen heimisch sind. Zum Beispiel knorrige Wacholder – minus 60 bar – oder Kreosot, ein Wüstenstrauch – minus 80 bar!

Bei minus 80 bar liegt jedoch wohl die absolute Obergrenze pflanzlicher Saugkraft. Warum geht nicht mehr? Minus 100 oder gar 150 bar wären für Wüstenpflanzen ein Riesenvorteil. In Zeiten des Klimawandels im Grunde für jedes Gewächs. Und warum kommt es in den „Wasserleitungen“ von Pflanzen, den Xylemen, bei derart starkem Unterdruck nicht zum „Strohhalmeffekt“, bei dem sich irgendwann eine Gasblase bildet und die Flüssigkeit darunter wieder Richtung Boden rauscht?

Wie verhalten sich Bestandteile einer Flüssigkeit?

Mit diesen Fragen waren die Biologen Jochen Schenk (California State University) und Steven Jansen (Universität Ulm) vor zwei Jahren an Roland Netz und seine ehemaligen Postdoktoranden Matej Kanduc und Emanuel Schneck – beide inzwischen selbst Professoren – herangetreten. Denn die Physiker können etwas, das den Biologen weiterhalf: mit leistungsstarken Computer-Clustern ausrechnen, wie sich Bestandteile einer Flüssigkeit verhalten. Und so simulierte das Team, was mit 100 000 Wassermolekülen in einer luftleeren, würfelförmigen Box passiert, wenn sie steigendem Unterdruck von bis zu minus 100 bar ausgesetzt sind.

Unter Berücksichtigung der Wasserstoffbrückenbindungen zwischen den Wassermolekülen errechneten die Computer die Bewegungen der vielen Moleküle unter Einfluss steigenden Unterdrucks und integrierten sie über die Zeit. „Das Ergebnis ist eine Art Film, der uns zeigt, wie sich innerhalb von Sekundenbruchteilen die molekularen Strukturen in der Box verändern“, erklärt Roland Netz. „Durch temperaturbedingte, zufällige Bewegungen der Wassermoleküle bilden sich in der Flüssigkeit regelmäßig kleine Hohlräume. Wegen der Kohäsionskräfte des Wassers schließen sie sich rasch wieder“, sagt Philip Loche, Doktorand von Roland Netz und Mitautor der Publikation.

Das erklärt, warum Wassersäulen vergleichsweise hohen Zugkräften widerstehen. Bis solch ein Hohlraum – Physiker nennen ihn Kavitation – in reinem (oder salzhaltigem) Wasser eine kritische Größe erreicht, würde es, rein rechnerisch 10 hoch 2 000 Sekunden dauern. Das ist länger, als das Universum existiert. Die Wahrscheinlichkeit, dass das passiert, ist also praktisch gleich null. Und selbst bei minus 100 bar wird es nicht viel wahrscheinlicher, wie die Simulation ergab.

Warum kommt es aber dennoch mitunter zu ausgedehnten Hohlräumen, die bei Pflanzen letztlich zu Embolien führen? Ähnlich wie bei Blutgerinnseln in einer Ader unterbrechen Hohlräume den Wassertransport in der Pflanze, wodurch die Wassersäule abreißt. Auslöser dafür scheinen die Lipide im Pflanzensaft zu sein. In wässrigen Lösungen lagern sie sich spontan zu Lipiddoppelschichten zusammen, ähnlich den Zellmembranen: Die langen wasserunlöslichen „Fettsäureschwänze“ ragen dann nach innen, die wasserlöslichen polaren Gruppen nach außen.

Lipide verhinden, dass Pflanzen einen noch größeren Unterdruck aufbauen

In weiteren Simulationen konnten die Forscher zeigen, dass sich in lipidhaltigem Wasser bei Unterdruck sehr viel leichter Hohlräume bilden – nämlich innerhalb von Stunden bis zu wenigen Tagen. Und die Lipiddoppelschichten trennen sich ziemlich genau bei minus 80 bar! „Vereinfacht gesagt, ist es leichter, zwei Lipidschichten auseinanderzureißen als eine Gruppe von Wassermolekülen“, sagt Emanuel Schneck. Es sind also die Lipide, die verhindern, dass Pflanzen einen noch größeren Unterdruck aufbauen können.

Die Forscher vermuten, dass die Innenwände der Xyleme mit Lipiden ausgekleidet sind, die sie ultraglatt machen. Das wollen sie nun weiter untersuchen „Wir denken, dass so verhindert wird, dass Rauigkeiten und feine Spalten entstehen, in denen sich nanometergroße Hohlräume bilden können, die dann zu einer großen Kavitation anwachsen können“, sagt Roland Netz. Dass es mit dem Ansaugen von Flüssigkeiten über lange Strecken via Strohhalm oder Schlauch nicht klappt, liegt an derartigen Rauigkeiten der Innenwand: Dort sitzen winzige Luftbläschen, die bei Unterdruck schnell zu einer großen Blase anwachsen.

Winzige Spalten für Kohlendioxid

Der gewaltige Unterdruck in den Xylemen entsteht übrigens an den grünen Blättern oder Nadeln der Pflanzen. Sie verfügen über winzige Spaltöffnungen, sogenannte Stomata, die sich öffnen, um Kohlendioxid für die Photosynthese aus der Luft hereinzulassen. Dabei verdampft immer ein wenig Wasser, das von den Wurzeln über die Xyleme nachgeliefert werden muss. Kleine Ursache, große Wirkung.

In sehr heißen Sommern, wenn die Luftfeuchtigkeit extrem gering ist, kommt es häufiger zu Embolien bei Pflanzen: Weil die Photosynthese sonst zum Erliegen käme, müssen sie trotz Wassermangels die Stomata öffnen. „Man kann das Reißen der Wassersäule in Bäumen sogar hören, wenn man über längere Zeit Mikrofone daranhält“, sagt Roland Netz. Im Moment des Abrisses kommt es zu Schwingungen: Die hölzernen Wände des betroffenen Xylems schnappen mit einem Ultraschall-Klicklaut zusammen. Einzelne Embolien schaden ausgewachsenen Bäumen in der Regel nicht, da jede Pflanze über unzählige Xyleme verfügt. Bei anhaltender Dürre jedoch, wenn an den Blättern mehr Wasser verdampft, als die Wurzeln nachsaugen können, droht das Absterben von Ästen oder gar des ganzen Baumes.

Catarina Pietschmann

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