zum Hauptinhalt

Wettlauf gegen die Zeit: Die beiden Letzten ihrer Art

Ein internationales Forscherteam aus Berlin versucht, das Nördliche Breitmaulnashorn mithilfe modernster Reproduktionsmedizin vor dem Aussterben zu retten.

Najin und ihre Tochter Fatu sind die Letzten ihrer Art: die beiden einzigen Nördlichen Breitmaulnashörner, die es noch auf der Welt gibt. Geboren in einem Wildpark in Tschechien, leben die Kühe heute in einem Reservat in Kenia – geschützt vor Wilderern, die skrupellos Jagd auf das wertvolle Horn dieser Tiere machen. Nach klassischer Definition gilt das Nördliche Breitmaulnashorn damit als ausgestorben: Es gibt keine Bullen mehr und Najin und Faju können beide wegen gesundheitlicher Probleme keine Kälber mehr austragen.

Um die Art vor der völligen Ausrottung zu bewahren, beschreitet ein Forscherteam aus Berlin unter der Leitung von Thomas Hildebrandt, Professor am Fachbereich Veterinärmedizin der Freien Universität und Abteilungsleiter am Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung, einen ungewöhnlichen Weg: Nachkommen sollen durch künstliche Befruchtung und eine innovative Technik der Keimzellgewinnung gezeugt werden.

„BioRescue“ heißt das Großprojekt, für das Forscherinnen und Forscher des Leibniz-Instituts für Zoo- und Wildtierforschung und des Max-Delbrück-Centrums für Molekulare Medizin mit internationalen Partnern zusammenarbeiten. Das Bundesforschungsministerium unterstützt es mit vier Millionen Euro.

Das Wissenschaftsteam verfolgt ein ehrgeiziges Ziel: Najin und Fatu sollen Eizellen entnommen werden, die mit eingefrorenen Spermien von den bereits verstorbenen vier letzten Nördlichen Bullen befruchtet werden. Die so gezeugten Embryonen werden in das dem Nördlichen Breitmaulnashorn nah verwandte Südliche Breitmaulnashorn verpflanzt. Bereits die Eizellentnahme sei ein sensibler Prozess, sagt Thomas Hildebrandt – „ein Meilenstein des Projekts“, der im August erfolgreich erreicht wurde: Jeweils fünf Eizellen konnten Najin und Fatu entnommen werden.

Wissenschaftler auf der ganzen Welt forschen gemeinsam

Doch auch wenn der Plan tatsächlich aufgehen und es gelingen sollte, in den nächsten drei Jahren ein Nördliches Breitmaulnashorn künstlich zu zeugen, ist der Fortbestand der Art noch nicht gesichert. „Sudan, einer der Spender-Bullen, ist der Vater von Fatu, und damit ist die genetische Vielfalt der eingefrorenen Spermien und der Eizellen von Najin und Fatu zu klein.“

Deshalb arbeiten Forscherinnen und Forscher vom Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin (MDC), vom Helmholtz-Zentrum München, von der Kuyshu-Universität in Japan gemeinsam mit amerikanischen Partnern parallel an einem zweiten Ansatz: „Aus Körperzellen anderer verstorbener Nördlicher Nashörner versuchen sie, Keimzellen zu gewinnen. Durch diese künstlich hergestellten Zellen könnte der genetische Pool für den Aufbau einer neuen Population ausreichend vergrößert werden“, erklärt Sebastian Diecke, Leiter des Stammzelllabors beim MDC.

Bisher wurde dieses Verfahren nur an Mäusen getestet; ob es sich auch für Nashörner eignet, muss sich erst noch zeigen. „Dass das nicht heute und morgen passiert, ist klar“, sagt Thomas Hildebrandt: Das Forschungsprojekt hat eine Laufzeit von 25 Jahren. Das klingt nach viel Zeit, tatsächlich arbeiten Hildebrandt und sein Team aktuell aber unter Hochdruck.

Denn neben der genetischen gebe es auch eine soziale Vererbung: Ohne Najin und Fatu würde ein Junges nie lernen, wie sich ein Nördliches Breitmaulnashorn verhält. „Der Nachwuchs soll die beiden Damen kennenlernen und mit ihnen aufwachsen“, sagt der Veterinärmediziner.

Ein neues Artenschutzkonzept

Die Anstrengungen der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gehen dabei über den Versuch der Rettung einer Nashornart hinaus: „Wir erarbeiten ein neues Artenschutzkonzept, das als Blaupause für den Erhalt anderer Arten dienen kann. Deshalb heißt das Projekt auch BioRescue und nicht RhinoRescue.“ Das Nördliche Breitmaulnashorn gilt als Schlüsselart: Wenn es von der Erde verschwinde, habe das Auswirkungen auf das gesamte ökologische Gleichgewicht, erläutert Thomas Hildebrandt.

„Schon durch das jetzige Fehlen sind andere Tierarten betroffen. Zum Beispiel Insekten, die vom Kot der Nashörner leben, oder Pflanzen, deren Samen durch die Nashörner verbreitet werden.“ Fehlen die Insekten, könnten auch Insektenfresser in andere Gebiete ziehen.

Das wiederum könne Auswirkungen auf den Menschen haben: Fledermäuse beispielsweise gehören zu den gefährlichsten Krankheitsüberträgern auf den Menschen. Wenn sie nicht mehr genug Insekten und Pflanzen finden, suchen sie sich womöglich andere Regionen – und könnten damit auch zu einer Bedrohung für den Menschen werden. „Zu glauben, dass man ein so wichtiges Element aus der Natur herausnehmen kann, ohne dass etwas passiert, ist grob fahrlässig“, sagt der Tiermediziner.

Wir zerstören eine ökologische Bibliothek

Die Förderung durch den Bund sowie die Unterstützung aus der Wirtschaft und durch private Spender sei für das Projekt enorm wichtig, sagt Hildebrandt. Grundsätzlich sei es jedoch weniger eine finanzielle Frage, die Natur zu schützen und Menschen dazu zu bringen, verantwortlicher mit Ressourcen umzugehen. Dazu wolle das Team aufrufen: „Durch unsere Arbeit sorgen wir dafür, dass wir in der Natur wieder in Richtung eines Gleichgewichts kommen.

Vielleicht lassen sich so Fehler reparieren, die der Mensch in der Vergangenheit gemacht hat – in der Hoffnung, dass sie in Zukunft erst gar nicht mehr gemacht werden. Wir sagen immer: Die Evolution hat uns eine Bibliothek geschaffen; und wir Menschen zerstören die Bücher, ohne sie je gesehen zu haben.“

Anne-Sophie Schmidt

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false