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Made in Germany und unterwegs in Berlin. Das von Forschenden der Freien Universität Berlin entwickelte autonome Fahrzeug bei einer seiner Testfahrten im Dezember 2015.

© AUTONOMOUS CAR

Weniger Stress im Straßenverkehr: In der Rushhour der Zukunft

Forschende der künstlichen Intelligenz arbeiten daran, die Kommunikation zwischen autonomen Fahrzeugen zu optimieren.

Von Catarina Pietschmann

Ein Montagmorgen in Berlin im Jahr 2050. Studierende, auf dem Weg zur Uni, klicken auf dem Smartphone ihr Ziel an. Die Verkehrs-App signalisiert dem nächsten autonomen Shuttle-on-demand ihren Standort. Der Bus kommt und nimmt sie auf. Per Funk informiert er die Fahrzeuge in der Umgebung, dass er den Haltepunkt verlässt. Die autonomen Autos bremsen sanft ab und lassen den Bus in den Verkehr einfädeln. Die nächste Ampel weiß bereits, dass sich der Shuttle nähert und schaltet auf Grün.

Auch Studierende, die mit dem Rad unterwegs sind, erreichen den Hörsaal entspannt: Ihre Smartwatch signalisiert ihnen lange vor der Ampel, ob es sich lohnt, einen Sprint einzulegen. Nein? Also lieber einen Gang runterschalten, weil ohnehin Rot ist, wenn sie die Kreuzung erreichen. Kein entnervtes Hupen mehr. Kein scharfes Bremsen. Auch keine verbalen Ausraster auf dem Zweirad oder hinter der Windschutzscheibe. Und vermutlich gibt es weniger Staus. Der Berufsverkehr, ein langsamer, ruhiger Fluss ... So könnte es laufen. In gar nicht so ferner Zukunft.

Daniel Göhring, Juniorprofessor für „Mobile Robotik und autonome Fahrzeuge“ am Fachbereich Mathematik und Informatik der Freien Universität Berlin, erforscht mit seinem Team, wie entsprechende „kooperativen Manöver“ zwischen autonomen Fahrzeugen funktionieren könnten. Seine Arbeit ist Teil des vom Bundesministerium für Digitales und Verkehr mit 9,53 Millionen Euro geförderten Verbundprojektes „KI-basiertes System für vernetzte Mobilität“ – kurz KIS’M. Beteiligt sind neben der Freien Universität Berlin unter anderen die Senatsverwaltung für Umwelt, Mobilität, Verbraucher- und Klimaschutz, die Technische Universität Berlin, die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG), Fraunhofer FOKUS und das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt.

Auch Einsatzfahrzeuge von Polizei und Feuerwehr sollen autonome Fahrzeuge beeinflussen können

Vehicle-to-vehicle-Communication ist das Schlagwort, das den reibungslosen Verkehr in einer Großstadt wie Berlin einmal gewährleisten soll. Eine Verkehrsmischung, bei der sich autonome Autos mittelfristig noch mit herkömmlichen, also von Menschen gelenkten Fahrzeugen die Straße teilen. Dabei geht es einerseits um weniger komplexe Abläufe, wie das Einfädeln eines autonomen Shuttle-Busses in den fließenden Verkehr. „Wir sind dabei, Lösungen zu entwickeln, wie der Bus den autonomen Fahrzeugen in seinem unmittelbaren Umfeld mitteilen kann, dass er jetzt herausfahren will. Die Autos werden dann zum Bremsen veranlasst“, erklärt Daniel Göhring. Auch Einsatzfahrzeuge von Polizei und Feuerwehr sollen per Funk autonome Fahrzeuge so beeinflussen können, dass eine Rettungsgasse entsteht. Schon für manchen Autofahrer aus Fleisch und Blut ist das keine leichte Aufgabe.

„Der zweite Schwerpunkt ist die Kommunikation von und mit Ampeln. Sie soll sowohl für Busse als auch Radfahrer gelten, denen mitgeteilt wird, ob sie die nächste Grünphase noch schaffen. Dafür entwickeln unsere Projektpartner eine App“, sagt Nicolai Steinke, Mitarbeiter im KIS’M-Projekt. Ein dritter Schwerpunkt ist die „Fahrgastübergabe“. Wenn es im Bus keinen Fahrer mehr gibt, kann man niemanden mehr fragen: Fährt der Bus auch zur Schloßstraße? Wo muss ich umsteigen, wenn ich zum Ku’damm will? Auch wie das Umsteigen für Menschen mit Beeinträchtigung technisch unterstützt werden kann, muss geregelt sein. „Als Techniker würden wir natürlich am liebsten alles und alle mit Kameras begleiten. Aber das ist natürlich ein starker Eingriff. Deshalb versuchen wir, die Bürger in das Projekt einzubeziehen. Wir wollen Lösungen finden, die sowohl den Bedürfnissen nach Verkehrssicherheit als auch dem Datenschutz entsprechen“, betont Daniel Göhring. Im Rahmen von KIS’M werden daher Bürgerbefragungen und andere Formen der nutzerzentrierten Technikentwicklung organisiert. „Die Ergebnisse wollen wir in unseren Algorithmen umsetzen.“ Also wird es nicht auf eine hohe Kameradichte hinauslaufen wie jetzt schon in China? „Kameras haben ein schlechtes Image. Aber man muss schon nachvollziehen können, wohin sich die Person bewegt. Das ließe sich auch anonymisiert verfolgen. Oder indem die Person das Tracking selbst anstößt“, sagt Nicolai Steinke.

Konkret entwickelt das Forschungsteam zunächst Detektions-Algorithmen, simuliert dann entsprechende Verkehrssituationen, und anschließend geht es auf die Straße. Mit dem universitätseigenen autonomen Fahrzeug, dass bereits seit 2011 frei auf öffentlichen Straßen in Berlin fahren darf. „Mit einer Sicherheitsperson an Bord, versteht sich“, betont Daniel Göhring. Im KIS’M-Projekt werden autonome Shuttlebusse der BVG mit dem autonomen Fahrzeug der Freien Universität kommunizieren. Was in der Simulation klappt, muss sich in der Realität beweisen. Und das in Echtzeit, denn Denkpausen kann sich das „Fahrzeughirn“ nicht leisten. Sie könnten im schlimmsten Fall tödliche Folgen haben.

Der Mensch macht erstaunlich wenige Fehler beim Autofahren

Apropos: Ob autonomes Fahren den Verkehr sicherer macht, ist noch nicht ausgemacht. Das sei zwar noch immer die Hoffnung, weil Computer die ihnen vorgegebenen Regeln strikt ausführen. Doch dann sei erkannt worden, dass man für die meisten Probleme der Welt, zum Beispiel Personenerkennung, nicht so einfach eine Lösungsformel per Hand erstellen kann. „Wir müssen auf Verfahren wie das maschinelle Lernen zurückgreifen, die nicht beweisbar sind, sondern nur empirisch unterlegbar. Denn wenn etwas in einer Millionen Fälle funktioniert hat, ist das noch kein Beweis – sondern Statistik.“

Der Mensch mache beim Autofahren übrigens erstaunlich wenig schwerwiegende Fehler, gibt der Wissenschaftler zu bedenken: Auf eine Milliarde gefahrener Kilometer auf Europas Autobahnen gibt es lediglich 1,67 tödliche Unfälle.

Die Straßenverkehrsordnung könnte allerdings für vollständig autonomen Verkehr vereinfacht werden, glaubt Daniel Göhring. Ampeln, Vorfahrtsregeln – das braucht es natürlich. Und Geschwindigkeitsbeschränkungen: Mehr als 130 Stundenkilometer auf Autobahnen werde beim Einsatz auch autonomer Fahrzeuge nicht angestrebt. Wegen der Sicherheit, aber auch aus energetischen Gründen. Doch viele Sonderregeln wären weniger relevant. „Wenn wirklich einmal alle autonom fahren, könnte man Fußgängern generell die ,Vorfahrt‘ geben“, argumentiert Nicolai Steinke. Sie sind sensorisch am schwierigsten zu erfassen – und dadurch ein quasi unberechenbarer Faktor. „Geht die alte Dame nun noch über die Straße oder nicht? Wie erkenne ich das Kind, das gleich hinter dem Auto hervorläuft? Und wie ist es nachts? Wie reagieren Tiere? An solchen Fragen beißen sich KI-Experten bisher die Zähne aus“, räumt Daniel Göring ein. Der Mensch kennt sich selbst am besten. Er kann derzeit noch viel leichter als Künstliche Intelligenz vorhersehen, wie seinesgleichen sich verhalten wird. Die Verbesserung der Erkennungsgüte von Personen, von anderen Verkehrsteilnehmenden sowie die Verhaltensvorhersage mit darauf aufbauender Pfadplanung sind daher die Hauptaufgaben des Forschungsteams der Freien Universität.

Für den Inhalt dieses Textes ist die Freie Universität Berlin verantwortlich.

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