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Eine junge Frau hält sich wegen Bauchschmerzen eine Wärmflasche.

© dpa / David Ebener/dpa

Laktoseintoleranz oder nicht?: Wenn Milch auf den Magen schlägt

Rund 15 Prozent der Bevölkerung sind von einer Laktoseintoleranz betroffen Der Markt für Spezialprodukte wächst jährlich um rund 20 Prozent. Doch Experten warnen: Viele Angebote sind teuer – und überflüssig.

Ein großes Glas Milch, und schon grummelt der Bauch, krampft der Magen, plagen Blähungen den Verdauungstrakt. Menschen, die unter Laktoseintoleranz (Milchzuckerunverträglichkeit) leiden, machen deswegen einen großen Bogen um das weiße Zeug. Ihnen mangelt es an Laktase, ein Enzym, das während der Verdauung den Milchzucker spaltet. Sie müssen scheinbar auf viele leckere Dinge verzichten: Sahne, Käse, Eiscreme, Schokolade, sogar in Wurst oder der Antibabypille kann Laktose enthalten sein. Rund 15 Prozent der Bevölkerung sind davon betroffen. Zwölf Millionen Deutsche sollen sich also in Verzicht üben und ihren Einkauf besser genau beäugen, wenn sie und ihr Darm Freunde bleiben wollen.

Auch die Berlinerin Tanja Ravensburger (Name geändert). Wegen ständiger Bauchschmerzen und gelegentlichem Durchfall machte ihr Hausarzt vor drei Jahren einen Test: Drei Tage nahm sie keine Milchprodukte zu sich und schluckte dann in der Praxis Laktosepulver. Es dauerte nicht lange, bis sie Symptome zeigte. Für den Arzt war die Diagnose klar: Laktoseintoleranz. Seitdem verzichtet sie, so gut es geht, auf laktosehaltige Lebensmittel. „Leicht ist das nicht“, meint sie. Milch im Kaffee, zum Müsli oder in Saucen – schnell wurde ihr bewusst, wie sehr sie sich einschränken muss. Auf einiges könne man natürlich verzichten, aber gleich den ganzen Speiseplan umstellen? „Ein Leben ganz ohne Milchprodukte wäre für mich schwer vorstellbar“, sagt die 27-Jährige.

Also wanderte mehr und mehr Spezialnahrung in ihren Einkaufswagen. Die Lebensmittelindustrie hat die Gebeutelten längst als neue Zielgruppe entdeckt. Spezielle Produkte, bei denen die Laktose bereits während der Herstellung gespalten wurde, beanspruchen immer mehr Platz in den Supermarktregalen. Dank ihnen soll es aus sein mit dem Verzicht. Über 60 laktosefreie Produkte hat etwa der Marktführer MinusL im Angebot. Von herkömmlicher Milch bis zu tiefgekühlter Hühner-Frikassee mit Gemüse-Reis ist alles dabei.

Längst sind auch andere Hersteller auf den Zug aufgesprungen, die Branche boomt. Laut Milchindustrie-Verband wächst der Markt für laktosefreie Milchprodukte jährlich um bis zu 20 Prozent. Viele sind teuer – aber unnütz. Sie gaukeln einen Zusatznutzen vor, den es nicht gibt.

Manche Käsesorten enthalten ohnehin kaum Laktose

Deutlich wird das bei Käse: Sorten wie Gouda, Butterkäse oder Edamer enthalten ohnehin kaum Laktose, sie wird während des Reifungsprozesses in Milchsäure verwandelt, weniger als ein Gramm Laktose pro hundert Gramm Käse verbleiben. Laktosefreier Käse, der den gleichen Laktoseanteil aufweist, ist jedoch deutlich teurer als sein herkömmliches Pendant. Auch bei Butter ist der Unterschied so gering, dass er von den meisten getrost vernachlässigt werden kann. Dennoch wirbt MinusL damit, sich „nicht die Butter vom Brot nehmen“ lassen.

„Da gibt es viel Augenwischerei“, sagt Heidrun Franke von der Verbraucherzentrale Brandenburg. Laktosefreie Milch sei, wenn überhaupt, das einzig sinnvolle Produkt. Für Betroffene, die gern und häufig Milch trinken, könne das Spezialgetränk hilfreich sein, da konventionelle Trinkmilch relativ viel Milchzucker enthalte. „Laktosefreier Käse ist jedoch völlig überflüssig.“ Als laktosefrei beworbene Spezialprodukte seien teils doppelt so teuer wie konventionelle. Die Verbraucherzentralen setzen sich für eine Kennzeichnung ein: Auf jedem Milchprodukt sollte der Laktosegehalt zu lesen sein.

„Laktoseintoleranz ist zu einer Modekrankheit geworden“

Franke hat den Eindruck, dass viele Verbraucher glauben, laktosefreie Produkte seien allgemein gesünder. „Die kaufen die Produkte vorsorglich, aber das bringt überhaupt nichts.“ Reklame und regelmäßige PR-Artikel in Kunden-, Frauen- oder Apothekenmagazinen hinterlassen ein undifferenziertes Bild. Laktoseintoleranz sei zu einer regelrechten Modekrankheit geworden: „Für undefinierbare Bauchschmerzen wird dann schnell die Laktose verantwortlich gemacht“, sagt Franke. Betroffene würden sich an die teuren Produkte klammern, statt sich mit den wahren Ursachen ihrer Beschwerden auseinanderzusetzen. Letztlich könne nur ein Test beim Spezialisten helfen, die Intoleranz zweifelsfrei zu diagnostizieren.

Viele wissen außerdem nicht, dass sie kleine Mengen Laktose trotz Intoleranz locker wegstecken können. Wissenschaftler der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) haben festgestellt, dass die meisten laktoseintoleranten Menschen bis zu zwölf Gramm Laktose beschwerdefrei vertragen. Ein kleines Glas Milch oder 400 Milliliter Sahne sind allemal drin. Mischt man die Milchprodukte mit anderen Lebensmitteln, kann die Verträglichkeit sogar noch erhöht werden.

„Da es sich bei der Laktoseintoleranz nicht um eine Allergie handelt, können Betroffene Produkte mit geringem Laktosegehalt normalerweise ruhig kaufen“, sagt Christoph Römer von der Verbraucherzentrale Berlin. So lasse sich einiges an Geld sparen.

Ab welcher Laktosemenge Symptome auftreten, sei je nach Patient verschieden, sagt auch Bertram Wiedenmann, Direktor der Klinik mit Schwerpunkt Gastroenterologie der Charité. Er rät, den Speiseplan daran anzupassen und zusätzlich zum Arzt einen Diätberater zu konsultieren. Bei laktosefreien Spezialprodukten ist er skeptisch, dienen diese doch meist „kommerziellen Interessen“. Auch Tanja Ravensburger greift mittlerweile nur noch bei Milch in das Regal mit den Spezialprodukten. „Käse oder Sahne zum Kuchen vertrage ich problemlos“, sagt sie.

Wer mehr will sollte dann doch auf laktosefreie Produkte zurückgreifen oder Laktasetabletten in der Apotheke besorgen. Allerdings gibt es eine kleine Gruppe besonders empfindlicher Menschen, bei denen schon Spuren von Milch zu Bauchschmerzen und auch Durchfall führen können. Zumindest sie sollten ganz auf Laktose verzichten.

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