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Weintrauben nach der Lese.

© Fredrik von Erichsen/dpa

Weinlese in Deutschland: Der Jahrgang des Jahrhunderts

In Rheinhessen startet jetzt die Traubenlese für die Federweißer-Produktion – so früh wie noch nie. Durch immer wärmere Sommer werden hierzulande gar schwere Rotweine möglich.

Süß, warm und verheißungsvoll sind die Trauben. Vielleicht sogar zu süß. Mit dem bislang frühesten Beginn der Weinlese am Montag wächst bei allen Winzern in Deutschland die Sorge, dass dann der Alkoholgehalt steigt. Denn mehr Sonne heißt mehr Zucker, der in der Gärung zu Alkohol wird. Daher sind die Weine aus Italien oder Spanien auch besonders schwer.

Bei der Lese der ersten Trauben für den Federweißen, den noch gärenden frischen Wein, drückt Winzer Mathias Wolf in Lörzweiler bei Mainz die Trauben mit der Faust aus, lässt den Saft in die Öffnung des Refraktometers laufen. 96 Grad Oechsle zeigt das Gerät für die Messung des Mostgewichts an, also für die Menge des Zuckergehalts im Traubensaft – nochmal fünf Grad mehr als vor einer Woche. „80 Grad hätten mir auch gereicht“, sagt Wolf. Bei mehr als 100 Grad Oechsle steige der Alkoholgehalt auf 13 oder 14 Grad Volumenprozent.

Das Weingut Wolf hat sich auf Federweißer spezialisiert, etwa ein Drittel der Ernte wird für den neuen Wein verwendet. Nach der Solaris-Ernte fließen auch Weinsorten wie Ortega, Huxel und Phoenix in die Federweißer-Produktion.
In Deutschland setzt sich die Weinlese aus etwa 65 Prozent weißen und 35 Prozent roten Trauben zusammen. Die Stärke der 13 Anbaugebiete in Deutschland ist der leichte Weißwein. Wenn es aber immer wärmere Sommer in Deutschland gibt, so die Einschätzung der Winzer, könne es auch am Rhein schwere Rotweine geben.

Extreme Wetterlagen gefährden Weinanbau

„Beim roten Wein wird mit Sicherheit ein Jahrhundertjahrgang herauskommen“, sagt der Präsident des Weinbauverbands Rheinhessen, Ingo Steitz. Mit Blick auf den Klimawandel hat Winzer Wolf seine Liebe für die spät reifende Rebsorte Syrah entdeckt. Andere pflanzen deswegen vermehrt Spätburgunder oder Merlot an. In allen deutschen Weinanbaugebieten beginnt die Lese nach dem langen und warmen Sommer etwa drei Wochen früher als sonst. Selbst im nördlichsten deutschen Anbaugebiet Saale-Unstrut werde die Hauptlese bei Rebsorten wie zum Beispiel Müller-Thurgau schon Ende August beginnen, erwartet das Deutsche Weininstitut. Der Riesling dürfte dann Mitte September folgen.

Die Önologie befasst sich aus wissenschaftlicher Sicht mit der Weinproduktion. Der Neustädter Professor Dominik Durner ist Fachmann auf diesem Gebiet. Er sieht das Grundproblem weniger in der aktuellen Hitze, sondern in zunehmend extremen Wetterlagen. Die hohen Temperaturen begünstigten Gewitter und Hagel – was schlecht für die Ernte ist. Komme eine hohe Luftfeuchtigkeit dazu, bestehe die Gefahr, dass sich Pilze an den Reben festsetzen und die Trauben verderben. Dann entsteht kein Wein, sondern Essig. Schwierig abzuschätzen seien auch die Nebeneffekte der Klimaveränderung, etwa die Auswirkungen der UV-Strahlung auf die Früchte oder das Aufkommen neuer Schädlinge.

„Die Sonne knallt voll drauf“, sagt auch Winzertochter Selina Wolf, die in Geisenheim im Rheingau internationale Weinwirtschaft studiert. Einige Trauben der Solaris-Reben – diese Rebsorte hat die Sonne schon im Namen – zeigen leichte Trockenschäden. „Das wird ein gutes Jahr für die Trockenbeerenauslese“, sagt die 24-Jährige. Mit einem leisen Plopp fallen die Trauben in den Eimer. Die Parzelle in Lörzweiler hat Südlage, der Blick weitet sich vom Rheintal bis zum Donnersberg, wo die Pfalz beginnt, das nach Rheinhessen zweitgrößte deutsche Weinanbaugebiet. Sieben Familienmitglieder und Freunde sind am ersten Erntetag im Einsatz.

"Ausnahmejahr für den deutschen Weinbau"

Schnell ist der Maischewagen hinter dem Traktor gefüllt. Winzer Wolf ist besonders auf den Ertrag gespannt, der dann aus der Kelter in den Tank fließt. „Ich bin noch skeptisch, irgendwo müssen sich ja die Folgen der Trockenheit zeigen.“ Aber dann ist die Wanne nach dem ersten Keltern fast voll, mit rund 900 Litern Most. „Das geht dann in Richtung eines Hektarertrags von etwa 8000 Litern“, sagt Mathias Wolf. Im zurückliegenden Jahrzehnt lag der durchschnittliche Hektarertrag aller deutschen Anbaugebiete bei 9100 Litern.

Der Markt ist jedenfalls aufnahmebereit für den neuen Wein. „Die Keller sind gut geräumt“, sagt Ernst Büscher vom Deutschen Weinbauinstitut. „Die Winzer würden sich über einen normalen Ertrag freuen.“ Ingo Steitz ist noch zuversichtlicher: „Das Jahr 2018 wird für den ganzen deutschen Weinbau als Ausnahmejahr in die Geschichte eingehen.“

Berlins größte Weinanbaufläche liegt im Neuköllner Ortsteil Britz und umfasst etwa einen halben Hektar. Der Verein Agrarbörse Ost hat sie vom Bezirksamt gepachtet. Laut Geschäftsführer Günter Röder wird die Weinlese dieses Jahr wahrscheinlich drei bis vier Wochen früher stattfinden als sonst. „Das hängt aber davon ab, wie das Wetter in nächster Zeit ist. Wenn es nicht noch hagelt, wird es ein gutes Weinjahr.“ Da die Wurzeln der Rebstöcke bis zu zehn Meter in die Tiefe reichen, mache ihnen Hitze und Trockenheit nichts aus.

Berliner Wein profitiert von der Sonne

Auch Daniel Mayer geht von einem guten Jahrgang aus. Der Winzer pflegt seit 2011 die Weinreben am Kreuzberg - und noch nie waren sie um diese Zeit so weit. „Es wird vermutlich eine sehr frühe Lese, etwa Mitte September.“ Besonders im Vergleich zum Vorjahr sehe es gut aus: „Vergangenes Jahr war es sehr feucht, die Trauben waren nicht mehr gesund.“ Mayer baut unter anderem Riesling- und Spätburgunderreben an. Beide hätten von der Sonne profitiert. Pro Rebe rechnet Mayer mit einer großen Flasche Wein als Ertrag. Um die 350 Flaschen sollten es werden – damit wäre es auch mengenmäßig ein gutes Weinjahr. Erst seit 2016 ist Weinanbau in Berlin offiziell erlaubt, der Wein kann verkauft werden statt nur gegen eine Spende erhältlich zu sein. (mit rtr/KNA)

Rebecca Stegmann

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