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Kult-Imbiss seit 60 Jahren: Ben's Chili Bowl in Washington, DC.

© AFP

Washingtoner Stadtleben: Zuhause in Ben’s Chili Bowl

Seit 60 Jahren werden hier Gäste aus aller Welt bewirtet: Wie ein Washingtoner Imbiss Legende wurde.

Sie kann es einfach nicht lassen. Virginia Ali steht wieder auf, greift sich ein paar Speisekarten und überreicht sie den gerade eingetroffenen Gästen. Dann schiebt sie ein paar Plastikbecher an einem Tisch zusammen und bringt sie hinüber zum Tresen. Virginia Ali kann nicht anders, sie macht das seit 60 Jahren. Das hier ist ja auch irgendwie ihr Zuhause. Das hier, das ist „Ben’s Chili Bowl“, Washingtons legendärer Imbiss, in dem bereits Barack Obama einen „Half-Smoke“, eine Bratwurst im Hotdog-Brötchen mit richtig scharfem Chili con Carne, gegessen hat.

Zusammen mit ihrem späteren Ehemann, dem aus Trinidad stammenden Ben Ali, hat Virginia 1958 den Imbiss eröffnet, in einem ehemaligen Stummfilmkino in der U Street Nummer 1213, eine Gegend, die schon fast alles hinter sich hat. Glanzvolle, wilde Zeiten rund um den einstigen „Black Broadway“. Zerstörung während der Rassenunruhen nach Martin Luther Kings Ermordung vor 50 Jahren. Den weiteren Niedergang im Zuge der beginnenden Modernisierung, als der Bau der Green Line, einer neuen U-Bahn-Linie, den Verkehr zum Erliegen brachte. Grassierenden Drogenhandel, der nicht nur diesen Teil der Stadt, aber diesen besonders, in eine No-Go-Area verwandelte. Und dann der Wiederaufstieg, mit all den guten und schlechten Seiten wie Gentrifizierung.

Die Gegend ist heute in, die Mieten hoch

Heute reiht sich ein Restaurant an Restaurant, Blumenläden, Yoga-Studios. Auf den Dächern tobt das Bar-Leben, dazwischen wachsen teure Wohnblocks in den Himmel. Die Ecke ist in und längst nicht mehr „rein schwarz“. Viele junge Weiße mit gutem Einkommen ziehen hierher – und verdrängen ungewollt die einstigen Bewohner, die sich hier schon lange keine Wohnung mehr leisten können. Die Preise gehören inzwischen mit zu den höchsten in der Stadt.

Virginia und Ben Ali haben alle diese Höhen und Tiefen miterlebt, und in all der Zeit haben sie ihren Laden nicht einen einzigen Tag zugemacht. Sie haben Duke Ellington, Miles Davis und Ella Fitzgerald bewirtet, George W. Bush, Nicholas Sarkozy und Carla Bruni – und Obama, den ersten schwarzen Präsidenten des Landes, auf den sie hier rund um die U Street ganz besonders stolz waren. Sie haben die Mägen der Drogendealer, der Civil-Rights-Aktivisten und Polizisten gleichermaßen gefüllt. Während der Unruhen war Ben’s Chili Bowl das einzige Lokal, das in der Gegend überhaupt noch offen war. Nein, gefährlich war das nicht, sagt Virginia. Essen muss ja jeder.

2009 starb Ben Ali

Die Wände in Ben’s Chili Bowl erzählen von all diesen Geschichten, kaum ein Flecken ist mehr frei. Die Wände erzählen auch von Virginias größtem Verlust, als Ben im Jahr 2009 starb und sie zurück ließ, alleine unter all den Jungen. Die Nachrufe hängen dort, neben den Artikeln, die zu den diversen Jubiläen und sonstigen Anlässen erschienen sind.

Von Anfang an dabei: Virginia Ali, die mit ihrem Mann Ben Ben's Chili Bowl gründete.
Von Anfang an dabei: Virginia Ali, die mit ihrem Mann Ben Ben's Chili Bowl gründete.

© Juliane Schäuble

Ein Jubiläum steht jetzt wieder an, der 60. Geburtstag am 22. August, und selbstverständlich wird wieder groß gefeiert. Auch Obama ist eingeladen. Ob er kommt? Virginia zuckt mit den Schultern. Er wäre ja auch nur ein Gast unter vielen, die sich an alte Zeiten erinnern. Wie die Frau aus Florida, die gerade auf Virginia zukommt. 1966 war sie häufig hier zum Lunch, erzählt sie, mit einer Gruppe junger Frauen, die Stenografie am nahe gelegenen Cortez Peters Business College lernten, damals eines der wenigen privaten Colleges für Afroamerikaner. Virginia erinnert sich gut.

Zur Mittagszeit ist Ben’s Chili Bowl rappelvoll. Arbeiter, Geschäftsleute im Anzug und Heerscharen von Touristen stellen sich geduldig in die Schlange. Abends geht’s hier inzwischen ebenfalls trubelig zu. Früher, als die Gegend noch nicht so hip war und die Straßenbeleuchtung fehlte, wollten die Hungrigen im Dunkeln ihr Essen lieber mit nach Hause nehmen, erzählt Virginia. „Heute ist es schöner“, sagt sie. Ben’s Chili Bowl ist ein Treffpunkt, so, wie er es immer gewesen ist. Virginia liebt das, sie liebt die Menschen und die Geschichten, die sie mitbringen. Heute genauso wie damals, als sich alle in der Nachbarschaft noch kannten wie sonst nur in einem Dorf.

85 Jahre und kein bisschen müde

85 Jahre ist sie inzwischen alt, eine zierliche Dame mit großen Perlenohrringen und langer Glasperlenkette, die grauen Haare perfekt in Wellen gelegt, die bequemen Turnschuhen an den Füßen, damit sie schnell aufstehen und der etwas beleibteren Kundin den Weg zur größeren Toilette zeigen kann. Dass ihre drei Söhne sich entschieden haben, das Geschäft der Eltern weiter zu betreiben und sogar noch auszubauen, obwohl sie auch alles andere hätten erreichen können – „wir haben sie auf die besten Universitäten geschickt“ –, macht sie glücklich. „Das ist ja auch ihr Zuhause, sie sind hier aufgewachsen und haben mitgeholfen, sobald sie alt genug waren, einen Tisch abzuräumen“, erzählt Virginia.

Ben’s Chili Bowl hat inzwischen mehrere erfolgreiche Filialen, unter anderem in den großen Sportstadien der Stadt, aber das Stammhaus sieht immer noch aus wie immer. Im Hauptraum der lange Tresen mit den roten Barhockern, dahinter brutzeln Pommes in Fritteusen, das scharfe Chili dampft vor sich hin, Würste werden gegrillt, inzwischen gibt es auch Salat als Alternative. Am Rande steht die Musikbox, die die Klänge der alten Zeiten zurückbringt. An der Kasse steht eine der drei Schwiegertöchter, auch eine Enkelin eilt vorbei, sie geht bald zum Studium nach Florenz, erzählt die stolze und zugleich traurige Oma: so weit weg. Es ist der Inbegriff eines Familienbetriebs, zu dem viele treue Stammgäste gehören.

Einige von ihnen setzen sich dafür ein, den Teil der U Street, in dem der Imbiss steht, in Ben’s Chili Bowl Way umzubenennen, der Stadtrat befasst sich gerade damit, dass das noch rechtzeitig vor dem großen Jubiläum passiert. Der kleine Weg, der vor dem Imbiss von der U Street abzweigt, heißt schon Ben Ali Way. Die Chancen stehen gut, Ben’s Chili Bowl ist ja nicht nur ein fester Bestandteil der Gegend, sondern ein Phänomen: ein Fast-Food-Restaurant, das Menschen aus aller Welt anzieht. „Dieser kleine Ort ist auf der großen Landkarte vermerkt“, sagt Virginia, fast klingt es, als ob sie es selbst nicht richtig glauben kann. Dabei war es schon immer so. Zumindest seit 60 Jahren.

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