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Der deutsche Astronaut Alexander Gerst 2014 im All

© dpa/Alexander Gerst/ESA/NASA

Sechs Monate auf der ISS: Was Alexander Gerst beim zweiten Flug ins All vorhat

Alexander Gerst übernimmt als erster Deutscher in der Geschichte der Raumfahrt das Kommando über die Weltraumstation ISS. Wie bedeutsam ist die Mission?

Mittwoch um 13 Uhr wird ohrenbetäubender Donner die kasachische Steppe erschüttern. Mit über 4000 Kilonewton – so viel Schub wie 15 Jumbojets – wuchtet die Sojusrakete die gleichnamige Raumkapsel vom Raumflughafen Baikonur in den Himmel. Ihr Ziel: die Internationale Raumstation ISS. An Bord: der russische Kosmonaut Sergei Prokopjew, die US-Astronautin Serena Aunon und der deutsche Astronaut Alexander Gerst. Gerst, der vor vier Jahren ein halbes Jahr als Bordingenieur auf der ISS verbrachte, wird mit seinen beiden Kollegen nun sechs Monate im All verbringen. Er soll – das ist Premiere in der deutschen Raumfahrtgeschichte – für die Hälfte der Zeit das Kommando über die ISS übernehmen.

Was werden die Astronauten 400 Kilometer über der Erdoberfläche erforschen?

Aus deutscher Sicht ist es eine höchst verantwortungsvolle Mission. „Horizons“ hat der Planungsstab sie genannt; die Crew soll zu neuen Horizonten aufbrechen. Deutsche Forschungsinstitutionen werden Gerst und seiner Crew mehr als 35 Experimente mit auf den Weg gegeben. Einige sollen bestehende Versuchsreihen fortführen oder ergänzen, andere sind erstmalig. Viele dienen in der Tat dem Erreichen neuer Horizonte – nämlich den geplanten bemannten Reisen zu Mond und Mars. „Nachdem bei meiner letzten Mission ,Blue Dot’ die Erde im Mittelpunkt stand, wollen wir jetzt über unseren Heimatplaneten hinausblicken“, sagt Gerst.

Worum geht es bei den Experimenten?

Viele Projekte dienen dazu, den Astronauten das Leben an Bord zu erleichtern. Das sicherlich prominenteste Experiment ist das mobile Assistenzsystem Cimon. Dieser kugelförmige, etwa medizinballgroße Roboter soll Astronauten als eine Art fliegendes Gehirn dienen. Er hat alle möglichen Bedienungsanleitungen und Enzyklopädien gespeichert, kann mit seiner Kamera Arbeiten dokumentieren und per Sprache gesteuert werden. Über ihn können die Astronauten mit der Bodenstation kommunizieren, Daten verschicken oder einfach Musik hören. In Zukunft soll Cimon dank künstlicher neuronaler Netze auch in der Lage sein zu lernen, Stimmungen und Gefühle der Crewmitglieder zu erkennen und entsprechend zu reagieren. Er würde sozial und emotional interagieren und mit Rat und Tat zurseite stehen – ungefähr wie Commander Data in der Fernsehserie Raumschiff Enterprise.

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Wie dient die Raumfahrt der Wissenschaft?

Manche ISS-Experimente könnte man auf der Erde nur mit sehr viel Aufwand durchführen, manche überhaupt nicht: „Da oben können wir Lücken in der Wissenschaft schließen, die wir hier unten einfach nicht füllen können“, sagt Alexander Gerst, der Geophysiker ist. Logisch, dass auch Projekte zur Erdbeobachtung nur vom All aus Sinn machen: Der „Atmosphere-Space Interactions Monitor“ (ASIM) etwa beobachtet mit Röntgen- und Gammastrahlendetektoren Gewitterstürme, um der Entstehung sogenannter Kobolde – das sind kuriose Lichterscheinungen, die mit manchen Gewittern einhergehen – auf die Spur zu kommen. Oder Projekt Icarus, bei dem Tierforscher mithilfe der ISS tausende Tiere rund um den Globus auf einmal per Peilsender verfolgen wollen.

Kann die Industrie von der Forschung auf der ISS profitieren?

Ja, vor allem wenn es um Eigenschaften von Werkstoffen geht, wie zum Beispiel von Metallen. Bei der Versuchsreihe zur sogenannten elektromagnetischen Levitation beobachten die Wissenschaftler schmelzende Metalle in der Schwerelosigkeit und testen, wie sie sich verhalten, wenn sie erstarren. Diese Erkenntnisse könnten die Eigenschaften industrieller Materialien auf der Erde optimieren. Der Astronom Florian Freistetter bestätigt das: „Viele physikalische Prozesse werden auf der Erde nämlich durch deren Gravitation quasi verschleiert.“ Also führt man die Experimente in Schwerelosigkeit durch. Und die ist auf der Erde nur für ein paar Sekunden möglich, wenn man etwa in einem Flugzeug im Sturzflug oder in einem Fallturm experimentiert. Auf der ISS dagegen herrscht permanent Schwerelosigkeit – sie ist damit als Labor einzigartig.

Weitere Experimente im Minilabor „Cold Atoms Lab“ sollen Erkenntnisse von Albert Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie überprüfen. Auch die Entwicklung von ultraschnellen Quantencomputern könnte damit vorankommen, hoffen Forscher.

Welcher Gefahr setzen sich die Astronauten bei einem Flug ins All aus?

Ein Flug in den Weltraum kann lebensgefährlich sein. Unglücke wie etwa die Explosion des amerikanischen Raumschiffs „Challenger“ kurz nach dem Start im Jahr 1986 sind immer möglich. Alle sieben Astronauten an Board kamen ums Leben. Auch als das Space Shuttle Columbia 2003 bei der Rückkehr zur Erde verglühte, überlebte keiner. Größere Katastrophen blieben in den letzten Jahren aber aus. Und mutige Forscher, die das Risiko auf sich nehmen wollen, etwa die Reise zum Mars anzutreten, gibt es genug. „Wenn ich es mir aussuchen könnte, würde ich sofort mitfliegen auf den Mars“, sagt auch Gerst.

Sollte man ins All nicht lieber nur Roboter schicken?

Zumindest sagen das die Kritiker der Weltraumfahrt. Nach ihrer Ansicht müsste nicht solch ein Aufwand zur Lebenserhaltung getrieben werden. Über 100 Milliarden US-Dollar hat der Aufbau der ISS gekostet, der Betrieb kommt jährlich auf über zwei Milliarden. „Ich denke, es gibt nur ganz wenig, wofür man den Menschen wirklich vor Ort braucht“, sagt etwa Wolfgang Hillebrand, ehemaliger Direktor am Max-Planck-Institut für Astrophysik in Garching, in einem Interview mit dem Deutschlandfunk. „Die meisten Experimente auf der ISS dienen aber der Erforschung der bemannten Raumfahrt.“

Außerdem: Menschen können auf der ISS Dinge, die nicht auf Anhieb funktionieren, reparieren. Das sagt auch Volker Schmid, Leiter der Fachgruppe ISS am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt in Bonn. So weit sei die Robotik noch nicht. Wie Menschen mit intuitivem Verhalten besser als Maschinen reagieren, zeigte sich nicht zuletzt bei Gersts erster Mission: Als ein Bolzen des Elektromagnetischen Levitators klemmte, griff der deutsche Geophysiker zu einer Säge, sprühte den Bolzen mit Rasierschaum ein, wodurch er verhinderte, dass Späne durch die Raumstation flogen, und rettete so das teure Experiment. Zuletzt kommt hinzu, dass ein Mensch auf der ISS oder auf dem Mars natürlich eine ganz andere Wirkung auf die Öffentlichkeit hat als eine Maschine. Daher sieht auch die Horizons-Mission einige Zeit für Öffentlichkeitsarbeit vor. Gerst wird sich auch an Kinder wenden und spannende Experimente extra für sie durchführen.

Wie politisch ist die Raumfahrt?

Der Weltraum war seit jeher ein Ort, an dem politische Auseinandersetzungen ausgetragen wurden. Im Kalten Krieg galt der „Wettlauf ins All“ als Stellvertreterkrieg zwischen Sowjetunion und USA, in dem die russischen Kosmonauten jahrelang führten, bis der Amerikaner Neil Armstrong 1969 die ersten Schritte auf dem Mond machte. Nach Ende des Kalten Krieges wurden gemeinsame Projekte wie die ISS möglich.

Noch immer gilt Raumfahrt als Technik, die Macht demonstriert. Die amerikanische Regierung verkündete, die bemannte Raumfahrt wieder stärker fördern zu wollen. US-Präsident Donald Trump möchte auch Flüge zum Mond wieder aufnehmen. Aktuell sind die Amerikaner auf die Unterstützung der russischen Raumfahrt angewiesen, um ihre Astronauten zur ISS zu bringen, während andere Länder ihre Technik weiterentwickeln. China plant, eine eigene Raumstation zu bauen, da sie an der ISS nicht beteiligt sind. Auch einige südamerikanische Länder sowie Indien arbeiten daran, ihre Raumfahrtprogramme auszubauen. Die großen Erfolge kommen allerdings längst nicht mehr aus den staatlich geförderten Programmen. Die privaten Raumfahrtunternehmen „Space X“ des Paypal-Mitbegründers Elon Musk und „Blue Origin“ des Amazon-Gründers Jeff Bezoz arbeiten daran, die Weltraumfahrt nachhaltiger zu gestalten – mit Erfolg. Beide Unternehmen haben recyclebare Raketen gestartet und gelandet.

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