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Fans, Fans Fans. Für Harry und Meghan Markle haben sich viele in ihre britischsten Verkleidungen geworfen.

© Hnnah McKay/REUTERS

Royal Wedding von Harry und Meghan Markle: Die Welt berauscht sich am britischen Hochzeitsjoint

Es ist merkwürdig, aber die Hochzeit in England kann uns die Welt einige Stunden durch die rosarote Brille sehen lassen. Eine Kolumne.

Auf dem Fensterbrett meiner Berliner Küche steht eine kleine Königin und winkt mit ihrer behandschuhten Hand, sobald ein Sonnenstrahl auf sie fällt. Mit angewinkeltem Arm und wackelndem Gelenk wacht sie seit Jahren über unser häusliches Leben. Hoffen wir, dass heute das Wetter schön wird. Unsere Elisabeth wird Energie brauchen.

Schon erstaunlich: In einer Zeit, die mit allen Traditionen bricht, hält die britische Monarchie unbeirrt an ihren Ritualen fest. Wie viele von uns werden heute der seltsamen Faszination dieses skurrilen Spektakels erliegen und es gebannt verfolgen? Natürlich ist uns die Rührseligkeit ein wenig peinlich, selbst wenn die Rollen in diesem modernen Märchen gründlich aufgefrischt wurden. Die Braut ist keine Rose of England, keine von diesen jungen Frauen aus sehr gutem Hause mit milchigem Teint und Oberschichten-Englisch, die noch Jungfrauen sind und wenn möglich aus der alten Aristokratie stammen, deren Abkömmlinge nur untereinander heiraten.

Sicher, schon Kate Middleton hat ein paar Tropfen frischen Blutes zum Fortpflanzungskreislauf des königlichen Stammes beigetragen. Aber Meghan Markle setzt noch eins drauf: Afro-Amerikanerin, geschieden, drei Jahre älter als ihr zukünftiger Gatte und Schauspielerin in einer amerikanischen Serie. Sie hat studiert, ist Feministin und politisch engagiert. Was für eine außergewöhnliche ethnische und kulturelle Mischung genehmigt sich die königliche Familie, indem sie dieses Aschenbrödel in ihrer Mitte aufnimmt! Königin Victoria wird sich vermutlich im Grab umdrehen.

Trotz Skandalen und altmodischem Pomp lädt die Monarchie mehr denn je zum Träumen ein: Serien wie „The Crown“ und „Downton Abbey“ oder Filme wie „The Queen“ und „The King‘s Speech“ sind extrem erfolgreich. Neulich übernachtete ich in einem Hotel in Bielefeld, das ganz im british country style ausgestattet war. In Bielefeld! Das Adlon in Berlin wirbt für ein indisches Restaurant mit schweren Mahagoni-Möbeln im britisch-kolonialen Stil und Kellnern in farbenfrohen Uniformen.

Haben die Deutschen, die sonst so sehr auf Political Correctness bestehen, ihre Prinzipien über Bord geworfen? Britisch-Indien nur einen Steinwurf vom Reichstag entfernt! Ich frage mich, wie viele Näherinnen schon mit der Schere in der Hand bereit stehen, um das königliche Brautkleid nachzunähen und dem Standesamt in Moabit einen Hauch von Buckingham Palace zu verleihen.

Feine Stickereien, bizarre Hüte, überladene Uniformen

Was eignet sich besser als eine schöne Hochzeit, um einen Tag lang zu vergessen, dass die Ordnung der Welt bedrohlich wankt? Heute wird niemand daran denken, dass Trump das Atomabkommen mit dem Iran gekündigt hat; vergessen ist der unberechenbare Präsident und all die besorgniserregenden Staatsoberhäupter dieser Welt, vergessen die Spannungen in Israel, die Ohnmacht Europas ... Heute werden wir uns zu Hundertmillionen vor dem Fernseher an unserem Hochzeitsjoint berauschen.

Einige Stunden lang werden wir alles durch die rosarote Brille sehen, werden nur noch Augen haben für die Feinheit der Stickereien, die Geschmeidigkeit des Plissees, die Länge der Schleppe. Vor uns auf dem Bildschirm werden goldene Kutschen vorbeiziehen, bizarre Hüte, überladene Uniformen, Prinzen und Herzoginnen aus einer untergegangenen Welt. An der Spitze des Umzugs eine kleine, 92-jährige rüstige Königin: Den Arm angewinkelt winkt sie mit ihrer behandschuhten Hand.

Aus dem Französischen übersetzt von Odile Kennel.

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