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Das Strandidyll von heute - verschwiegene Buchten, zerklüftete Felsen - kam einst Freibeutern sehr entgegen, die die Seychellen als Rückzugsort nutzten.

© Jörg Kersten

Piratenschatz von Mahé: Die Spur der Diamanten

Auf den Seychellen suchen bis heute Glücksritter die Lager früherer Freibeuter. Auch Urlauber lassen sich davon anstecken.

Der Segler, der vor der Küste kreuzt, scheint auf der Suche zu sein – vielleicht nach einer Bucht, die so menschenleer ist wie die Anse Coco, die Kokosbucht, wo am weißen Strand ein einsamer Urlauber in der Sonne döst. Ein paar Sandkrabben und grün leuchtende Geckos lassen wie der Tourist einfach so die Zeit verstreichen. Raue Klippen trennen den Garten Eden auf der kleinen Seychelleninsel La Digue vom Rest der Welt.

Wer also sollte die Ruhe da schon stören? Doch das Schiff dort draußen vor der Bucht dreht bei. Die Mannschaft refft die flatternden Segel. Der Zweimaster beflügelt die Fantasie des Beobachters: Sucht der Kapitän der Fregatte ein geeignetes Versteck, so wie die Freibeuter vor 300 Jahren, wenn sie von ihren Raubzügen kamen? Er wäre nicht der erste.

Damals waren die Piraten für die Handelsschiffe, die sich auf dem Seeweg von Asien nach Europa befanden, eine Plage. Sie kontrollierten ein Seegebiet, das von Indien bis nach Afrika und von Arabien bis hinunter nach Madagaskar reichte. In Madagaskar befand sich der Hauptstützpunkt der Seeräuber. Hier hatten sie sogar eine eigene Republik mit dem Namen Libertalia ausgerufen. Ihr Rückzugsgebiet aber waren die Seychellen, denn die 115 Inseln des Archipels waren bis zu ihrer Besiedlung durch die Franzosen im Jahre 1770 unbewohnt. Die Tropenrefugien verfügen über versteckte Buchten und über Berge, von deren Gipfeln aus man damals nach Verfolgern Ausschau halten konnte. Zudem gab es Süßwasserquellen und genügend Riesenschildkröten, um sich mit Proviant für den nächsten Raubzug einzudecken.

Eine Ankerkette rasselt. Von der Fregatte aus wird ein Beiboot zu Wasser gelassen und bringt einen Teil der Besatzung an Land. Der Urlauber legt sich flach in den Sand, um möglichst nicht entdeckt zu werden. Er beobachtet, was dort am Ende der Kokosbucht noch so passiert. Das Boot pendelt zwischen Schiff und Strand, um Menschen abzusetzen. Geschäftig schleppen sie irgendwelche Dinge in den Schatten der Palmen. Es ist aus der Entfernung nicht auszumachen, um was es sich handelt, doch wer die Geschichte der Inseln kennt, denkt unwillkürlich an Schatztruhen voller Goldmünzen und Geschmeide.

Ein Schatz muss irgendwo auf der Hauptinsel vergraben sein

Nüchterne Naturen mögen den sprichwörtlichen Piratenschatz für eine Legende halten, für die Behörden der Seychellen hingegen ist ein solcher Schatz geradezu amtlich: Er hat einen geschätzten Wert von 200 Millionen Dollar und ist irgendwo auf der Hauptinsel Mahé vergraben. Der Pirat Olivier Le Vasseur soll dereinst die unermesslichen Reichtümer erbeutet haben. Zwischen 1720 und 1730 war der Seeräuber, der gut und gerne 750 raue Gesellen um sich versammelt haben soll, der Schrecken der französischen, britischen und portugiesischen Handelsflotte. Man nannte ihn auch La Buze, den Bussard, da er wie ein Raubvogel im Seegebiet herumkreiste, blitzschnell zuschlug und mit seiner Beute ebenso schnell wieder verschwand.

1721 kaperte der Freibeuter das portugiesische Schiff „La Vierge du Cap“ – ein Glücksgriff, wie sich für den Seemann herausstellte. An Bord des stolzen Seglers reisten prominente Passagiere. Der Erzbischof von Goa und der Graf von Ericeira, Vizekönig des portugiesischen Indien, befanden sich auf der Heimreise von den Kolonien. La Buze schnappte sich das leckgeschlagene Schiff vor Saint Denis auf der Insel Réunion und machte die fetteste Beute seiner Seeräuberkarriere. Der Graf, so heißt es, trug ein mit Diamanten verziertes Schwert bei sich, und der Bischof führte im Gepäck das sagenumwobene goldene Kreuz von Goa mit, ein mit Smaragden und Rubinen bestreuter Kirchenschatz. Hinzu kamen Goldbarren, Münzen, Edelsteine und allerhand kostbares Geschirr.

La Buze flüchtete mit einigen Kumpanen auf die Seychellen, um das Diebesgut zu verstecken. Wahrscheinlich durchstreiften sie das Unterholz, so wie die Kerle jetzt dort hinten in der Kokosbucht. Sicher kletterten sie auch hinein in die Kulisse aus Granitgestein, um sich zuzurufen, ob diese Höhle oder jenes Loch als Versteck geeignet scheint. Der Aberglaube verbot den gesetzlosen Gesellen religiöse Artefakte einzuschmelzen und in Portionen zerlegt untereinander zu teilen. Irgendwo müssen die Kostbarkeiten also geblieben sein.

Wettstreit um die Gunst der Touristen

Projekt gescheitert. Urlauber wollten auf diesem Schoner nicht "Piraten" spielen.
Projekt gescheitert. Urlauber wollten auf diesem Schoner nicht "Piraten" spielen.

© Jörg Kersten

Dass der Schatz des berühmten Piraten auf Mahé vermutet wird, steht im örtlichen Telefonbuch. Neben Reisetipps und geografischen Besonderheiten des Archipels ist in einem Informationsteil dem Haudegen Olivier Le Vasseur eine ganze Seite gewidmet. Auf Hochglanzpapier.

Am 7. Juli 1730, so heißt es dort, lief das Volk von Saint Paul auf der Insel Réunion zusammen, um die Hinrichtung des wohl erfolgreichsten Piraten seiner Zeit nicht zu verpassen. Doch bevor sich die Schlinge um seinen Hals legte, warf Olivier Le Vasseur mit den Worten „Mein Schatz gehört demjenigen, der dies versteht!“ einen Fetzen Papier, bekritzelt mit geheimnisvollen Zeichen, in die Menge. Die Leute ahnten, dass das Kryptogramm Hinweise auf die unermesslichen Reichtümer des Seeräubers enthielt. Fortan suchten Abenteurer und Glücksritter nach dem sagenhaften Schatz.

John Cruise-Wilkins, der jetzt schon in zweiter Generation den Strand von Bel Ombre umpflügt, Granitfelsen in die Luft jagt, in Höhlen herumkriecht und in Löchern stochert, hat sich, wie schon sein Vater zuvor, in den Kopf gesetzt, die Beute des Piraten Oliver Le Vasseur zu finden. Der Geschichtsprofessor ist davon überzeugt, dass das legendäre Goldkreuz von Goa und der kostbare Degen aus dem 200-Millionen-Dollar-Coup ganz in der Nähe seines Hauses in Bel Ombre an der Nordostküste der Insel Mahé vergraben sind. „La Buze besaß hier Land, denn auf einer alten portugiesischen Landkarte aus dem Jahr 1735 ist als Eigentümer in Bel Ombre der Name La Buze vermerkt“, erzählt John seinem Besucher zum Beweis.

Dass die besagte Karte eine nicht näher bezeichnete Insel mit den lediglich ungefähren Umrissen von Mahé zeigt, verschweigt der Geschichtsprofessor. Die Regierung der Seychellen bestreite die Authentizität der Piratenstory dennoch nicht, gilt der sagenhafte Raubschatz doch eine willkommene Referenz für den seit 2008 als zahlungsunfähig geltenden Inselstaat.

"Die Piratengeschichte ist doch nur Werbung"

Gleichzeitig passt die Erzählung vom kaperfreudigen Piraten ganz gut in das Konzept der Tourismusmanager von Mahé, denn es existiert ein gewisser Wettstreit der bewohnten Inseln um die Gunst der Touristen. Für den Bootsbauer Nigel, der in der kleinen Werft auf La Digue einen Kahn aus Holz restauriert, ist die Sache klar: „Die Touristen landen auf dem Flughafen von Mahé und fliegen von dort wieder ab. Ihre Ferien aber verbringen die Urlauber lieber auf den Inseln, die ruhiger sind. Die Piratengeschichte ist doch nur Werbung für Mahé, das an Besucherschwund leidet.“

Tatsächlich wirkt Mahé im Vergleich zu anderen bewohnten Inseln des Archipels für Erholung suchende Gäste recht geschäftig. Besonders wenn man von La Dique kommt, wo Ochsenkarren das Straßenbild beherrschen, erscheint der Verkehr in Victoria, der vermutlich kleinsten Hauptstadt der Welt, geradezu stressig. Viele Touristen belegen die Hotels nur für die kurze Zeit der Durchreise zu einer anderen Seychelleninsel.

Ob sich ein Pirat als Werbeträger eignet und der Insel Mahé mehr Dauergäste beschert, ist für Nigel fraglich: „Die Aufregung war groß bei uns, als somalische Piraten im April 2009 die Jacht ,Indian Ocean Explorer‘ entführten.“ Zum Glück waren keine Touristen mehr an Bord des Schiffes, das für Tauchexpeditionen im Archipel ausgerüstet ist. Seitdem sich die Überfälle somalischer Piraten bis weit in den Indischen Ozean hinein häufen, taugen die abenteuerlichen Gesellen als Markenzeichen nicht mehr so recht.

Auf La Digue jedenfalls, so erzählt Nigel, scheiterte ein Unternehmen, das einen Schoner schwarz streichen ließ, mit einer Totenkopffahne dekorierte und Urlauber als „Piraten“ durch die Inselwelt der Seychellen schipperte. Der Eigner ging pleite. Der Eisenkahn liegt jetzt unweit des Trockendocks auf Land gezogen unter Palmen. Der typische Totenkopf am Bug des Geisterschiffes grinst noch jeden Touristen an. Die Urlauber kommen jedoch, um die wahren Schätze der Inseln zu entdecken – und die bietet die Natur.

John Cruise-Wilkins hat die Suche noch nicht aufgegeben

Aus der Zeit gefallen. Ochsenkarren beherrschen in La Dique das Straßenbild.
Aus der Zeit gefallen. Ochsenkarren beherrschen in La Dique das Straßenbild.

© imago

La Digue zum Beispiel wartet mit Buchten auf, die zu den schönsten der Welt zählen dürften. Eine perfekte Kulisse für das Urlaubsfoto bilden die Granitfelsen von Anse Source d’Agent. Atemberaubend ist die Anordnung der Steinbrocken, die die Bucht einrahmen. Über Jahrtausende haben Regen, Wind und Wellen das gelbe Gestein zu Skulpturen geschliffen. Harmonisch, als seien sie von Künstlerhand geschaffen, fügen sie sich in die Landschaft. Die polierten Felsen wirken nie störend, so als habe der Schöpfer sein gewaltiges Werk mit Bedacht gestaltet.

Jede Insel im Archipel ist ein Juwel. Praslin, eine knappe Stunde von Mahé entfernt, lockt Besucher mit dem Vallée de Mai, einem Naturschutzgebiet, das 1983 von der Unesco in die Liste des Weltnaturerbes aufgenommen wurde. Der Gedanke an einen üppig funkelnden Piratenschatz verblasst angesichts des bezaubernden Palmengartens, dessen Ursprünge in eine Zeit zurückreichen, als es noch gar keine Menschen gab. Wenn man dann unter der Vielfalt endemischer Pflanzenarten die nur hier vorkommende „Coco de Mer“ entdeckt, sind die mit Perlen gefüllten Schatztruhen schnell vergessen.

Die wie der Popo einer Frau geformte Frucht der Seychellenpalme kann durchaus aufreizend wirken. Arabische Diplomaten erwirkten daher kürzlich ein Verbot des Ausreisestempels, der wie die „anrüchige“ Riesennuss geformt ist. Den begehrten Stempel, den westliche Touristen stolz als Souvenir in ihrem Reisepass nach Hause trugen, gibt es auch wieder, nachdem er eine Weile abgeschafft war. Viele Urlauber aber würden am liebsten gänzlich auf ein Ausreisedokument verzichten, denn auf den Inseln, die allesamt wirken, als seien sie aus einer Fototapete geschnitten, kommen schon mal Aussteigerträume auf...

Die geheimnisvolle Botschaft schlummerte 200 Jahre in einem Pariser Archiv

John Cruise-Wilkins hat die Schatzsuche auf Mahé noch nicht aufgegeben. Er wähnt sich schon fast am Ziel: „Der Ort, an dem La Buze seine Beute vergrub, ist Bel Ombre und sonst nirgends.“ Zum Beweis erzählt der Geschichtsprofessor, wie eine gewisse Rose Savy 1923 auf ihrem Strandabschnitt von Bel Ombre seltsame Markierungen an Felsen entdeckt. Eine ungewöhnlich starke Ebbe hatte die von Menschen in den Stein gemeißelten Zeichen sichtbar gemacht.

Und dann spielt John eine recht überzeugende Karte: „Das Kryptogramm, das La Buze vor seiner Hinrichtung verteilte, besteht aus siebzehn Zeilen griechischer und hebräischer Buchstaben. Genau solche Zeichen sind in die Felsen am Strand geritzt.“ John zeigt seinen Besuchern eine Kopie jenes Dokuments, das 200 Jahre lang in französischen Bibliotheken schlummerte, bis ein Neffe von Rose Savy bei seinen Nachforschungen die geheimnisvolle Botschaft in einem Pariser Archiv wiederentdeckte. „Erste Grabungen meines Vaters“, sagt John, „förderten goldene Ohrringe, rostige Schwerter und drei Skelette zu Tage.“ Piratenskelette, denn natürlich hatte La Buze die Mitwisser umgebracht.

„Na klar, das machen Piraten immer, damit keiner ihr Versteck verrät“, denkt der Besucher, der die Schlepperei von Kisten am Kokosstrand beobachtet. Jetzt haben die Seefahrer ihn entdeckt. Ein paar kommen auf ihn zu, bewaffnet mit Dolchen. Es sind von der Tropensonne braun gebrannte Gesellen, ziemlich groß, ziemlich breit. Sonst kein Mensch in Sicht. Schließlich eingekreist, muss sich der Mann ergeben – einem Männertrüppchen aus Österreich. Raue, aber freundliche Gesellen. Sie hätten sich, so erzählen sie, einen Zweimastschoner gechartert und befänden sich für ein paar Tage auf einer „Island-Hopping-Picknicktour“. Ob es denn in der Kokosbucht auch gute Korallenbänke gebe, wollen sie noch wissen, bevor sie sich in das türkisblaue Wasser stürzen.

Erleichtert macht sich der einsame Urlauber auf den Heimweg. Über die Klippen. Und bei der Kraxelei späht er in jede Höhlung, in jede Spalte – schließlich könnte der Schatz des La Buze überall zu finden sein...

Jörg Kersten

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