zum Hauptinhalt
Sehr schmuck. Beim alljährlichen Treffen der Volksstämme am Mt. Hagen machen sich – dem Anlass angemessen – auch die Herren der Schöpfung besonders fein.

© Monika Hippe

Papua-Neuguinea: Schön für alle guten Geister

In Papua-Neuguinea treffen sich alljährlich Dutzende Volksstämme, um ihre uralten Rituale lebendig zu halten.

John hat sich auffällig zurechtgemacht: Der kleine sehnige Mann trägt einen Lendenschurz und auf dem Kopf thront ein Kranz aus bunten Vogelfedern wie bei einem Indianer. Um den Hals hängt eine schwere gepunktete Kina-Muschelkette. Nun wird er mitten im Wald von einem Verwandten geschminkt. „Ich bin schon ein bisschen aufgeregt“, gesteht er und prüft die Gesichtsbemalung in einem Taschenspiegel. In wenigen Stunden beginnt das Fest in Paiya.

Auf der Wiese gleich nebenan werden sich die Menschen versammeln. Es ist eine Art Generalprobe für die große Show im Bergstädtchen Mount Hagen in Papua-Neuguinea. Seit 1961 kommen hier in jedem August mehr als 50 Volksstämme zusammen. Einst traf man sich, um lang andauernde Stammesfehden zu bereinigen. Nun ist der Anlass zum Glück ein friedlicher. Die alten Rituale sollen nicht in Vergessenheit geraten.

Das Fest ist ein Feuerwerk der Farben und Maskeraden. Barbusige Frauen in Blätter- und Baströcken singen, tanzen und trommeln. Die „Huli Wigmen“ formen ihre Filzhaare zu einem Hut und bohren sich Holzstäbchen, lang wie Spaghetti, durch die Nase. Ihre Tänze imitieren die Balzrituale der Paradiesvögel.

Furchterregend sehen die Masken über den Gesichtern der „Mudmen“ aus. Sie wanken schlammbeschmiert durch das Gewühl, gestikulieren dabei mit angeklebten Fingernägeln, so lang wie bei Struwwelpeter. Der Legende nach versteckten sich die Menschen des Asaro-Stammes einst auf der Flucht in einem schlammigen Fluss. Lehmbeschmiert tauchten sie wieder auf und vertrieben den Feind allein durch ihren gespenstergleichen Anblick.

Landbewohner versorgen sich selbst

In Papua-Neuguinea werden diese Geschichten von Generation zu Generation weitererzählt. Jede der 700 bis 1000 unterschiedlichen Volksgruppen – die Angaben dazu sind sehr schwankend – kennt andere Legenden und pflegt ganz eigene Lebensweisen. In nahezu jedem Dorf existiert eine eigene Sprache. Nur mithilfe eines verballhornten Englisch, dem „Pidgin“, können sich die verschiedenen Stämme untereinander verständigen.

Die meisten Landbewohner sind Selbstversorger. Sie leben vom Fischfang oder dem Anbau von Sagopalmen, Süßkartoffeln, Zuckerrohr und Tabak sowie dem Verkauf von Betelnüssen. 9000 Jahre alte Funde belegen, dass die Völker zu den allerersten Landwirten überhaupt gehörten. In den schwer zugänglichen Tälern des verästelten Gebirges, das sich 200 Kilometer weit über die Insel zieht, haben sich bis heute zahlreiche uralte Sitten und Gebräuche erhalten.

Kommt ein Mädchen ins heiratsfähige Alter, wird die Hochzeit in der Regel „arrangiert“. Vom Zukünftigen erwartet die Familie der künftigen Ehefrau ein wertvolles Brautgeschenk. Geld gehört unbedingt dazu, aber auch bis zu 40 Schweine.

Fünf Frauen sind nicht genug

Häuptling Thyreimia vom Stamm der Isimb hat fünf Frauen und sechs Kinder. Sein Gesicht reibt er zum Fest traditionell mit Holzkohle ein, das, so heißt es, vertreibe die bösen Geister. „Die erste Frau ist die beste. Ich bete sie geradezu an“, sagt er und wirft Clara einen verliebten Blick zu. Sie trägt so viele Muschelketten übereinander, dass das ganze Dekolleté wie mit einem ausladenden Wollschal bedeckt ist. Als die Nummer eins hat sie mehr Rechte als die übrigen, darf mit dem Häuptling in derselben Hütte wohnen und sein Essen mit ihm teilen.

Trotzdem würde der Chief gern noch öfter heiraten. „Wenn die Kirche mir meine Frauen verbietet, gehe ich nicht mehr hin“, sagt er lachend. Auch wenn Papua-Neuguinea von deutschen, britischen und australischen Missionaren christianisiert wurde, sind Vielehe, Ahnenkult und Hexenglauben bis heute verbreitet. In einem sehr abgelegenen Tal gab es vor zwei Jahren gar noch einen Stamm von Kannibalen.

Der größte Schatz der Insel ist die unberührte Natur: Gletscher und Vulkane, Mangrovensümpfe und Savannen. Mehr als 600 Eilande umkränzen die Hauptinsel. Obendrein liegt „PNG“ im wohl ältesten Riffsystem der Welt. Taucher finden hier fünf Mal so viele Fisch- und Korallenarten wie in der Karibik. Einsame Traumstrände locken mit puderfeinem Sand. In den Wäldern stolzieren Kasuare (eine Straußenart) durchs Unterholz. Baumkängurus und Opossums turnen von Ast zu Ast.

Am Sepik steht die Zeit still

Erschröcklich. Die „Schlammmänner“ jagten einst den Feind in die Flucht.
Erschröcklich. Die „Schlammmänner“ jagten einst den Feind in die Flucht.

© Monika Hippe

Im Hochland flöten Paradiesvögel wie Opernsänger. Ihre Federn sind lang wie Abendkleider. Je prächtiger, desto lauter der Gesang. Von der Kumul Lodge aus kann man sie gut beobachten. Dort schleicht Inhaber Paul Arut auf Zehenspitzen durch die Lobby, tippt den Gästen an die Schulter und flüstert ihnen den Namen des Paradiesvogels ins Ohr, den er gerade draußen gesehen hat. Leise folgen sie ihm auf die Terrasse, wo er die gefiederten Schönheiten mit Obst anlockt: ein Rotkopfpapagei, ein Schmalschwanzparadieshopf.

Gerade landet ein Aschbrusthonigfresser auf einer Mango. „Er kann seine Augenfarbe ändern“, erklärt Paul. Mit genügend Ausdauer sieht man auch einen Raggiparadiesvogel – das Wahrzeichen des Landes und Symbol auf dem Staatswappen.

Am Sepik kreisen Silberreiher am Himmel. Der Fluss windet sich knapp 1200 Kilometer durch den dampfenden Regenwald. Hier mutet das Leben wie vor 100 Jahren an. Für eine oder mehrere Nächte können sich Besucher in einem Dorf am Ufer einquartieren. Die Schlafstatt befindet sich in einer auf Pfählen gebauten Holzhütte. Die nächste Straße ist kilometerweit entfernt. Es gibt weder Strom noch fließendes Wasser. Dafür wachsen ringsum Kokospalmen, Papaya und Mangobäume. Im Klohäuschen ersetzen Palmblätter das Toilettenpapier.

Bäume fällen gehört zum Schulunterricht dazu

In aller Frühe weckt der Hahn das gesamte Dorf. In der frühen Morgensonne ziehen die Frauen auf den Fluss und werfen ihre Netze aus. Dank des Fischreichtums hüpft manchmal ein Exemplar aus Versehen von selbst ins Boot. Für die Bewohner der Uferdörfer ist der Sepik die unverzichtbare Lebensader. Er dient als Supermarkt, als Badewanne und Waschmaschine. Und natürlich als Transportweg.

In der Regenzeit steht das Wasser so hoch, dass die Schüler im Einbaum direkt bis vors Klassenzimmer paddeln können. An diesem Tag hat jeder eine Machete dabei. Auf dem Stundenplan steht – neben Englisch – das Fach „Selbstversorgung“, also Bäume fällen, Kartoffeln pflanzen, manchmal auch Schlangen sezieren.

Doch erst einmal hallt ein Rüffel durch den Schalltrichter, denn die Jugendlichen sind mal wieder eine ganze Stunde zu spät. „Zeit ist Geld, bläuen wir ihnen immer wieder ein. Aber das Erbe deutscher Missionare von Pünktlichkeit und Ordnung schwindet leider“, sagt der kahlköpfige Lehrer Matthew Kame, während er gemächlich mit den Händen auf dem Rücken zu den Kartoffelpflanzen schreitet, um das Ergebnis seiner Schüler zu begutachten.

Schnelligkeit zeigt seine Klasse dagegen beim Kanurennen, das jedes Jahr am Unabhängigkeitstag stattfindet. Erst 1973 gewann Papua-Neuguinea von Australien seine politische Eigenständigkeit, wird jedoch weiterhin zum australischen Kontinent gerechnet, während der westliche Teil der Insel Neuguinea zu Indonesien gehört.

Krokodilhaut auf dem Rücken

Am Nachmittag sitzen die Männer des Dorfes gemeinsam im Geisterhaus auf einer aus Bast geflochtenen Empore. Sie kauen Betelnüsse, lassen die Beine baumeln und die Haut vom Wind kühlen. Die Feuerstelle riecht nach kalter Asche. „Bei unseren Zeremonien nimmt hier der Flussgeist Platz“, erklärt Richard Naman – ein Mann mit Zottelbart und freundlichem Lächeln. Er zeigt auf einen wohl 100 Jahre alten Holzthron, mit Schnitzereien reich verziert.

Normalerweise haben Frauen keinen Zutritt in die Geisterhäuser, doch bei Touristinnen wird schon mal eine Ausnahme gemacht. Schließlich kaufen sie hin und wieder eine der bemalten Masken oder Trommeln, die Richard und seine Verwandten schnitzen und hier ausstellen. Ob Masken, Feder- oder Muschelschmuck, kunstvoll bemalte Töpfe – die meisten Artefakte dienen religiösen Zeremonien.

Eine besondere Feier ist die sogenannte Initiation. Dabei verpasst der „Messermann“ den pubertierenden Jungen eine „Krokodilhaut“. Er ritzt ihnen hunderte Schnitte in den Rücken und reibt sie danach mit Kokosöl und Holzkohle ein, damit sich schöne Narben bilden. „Mein Vater war schon sehr alt. Aber er wollte es noch miterleben und hat mich schon mit zehn Jahren zur Initiation geschickt“, sagt Richard.

„Es tat höllisch weh. Aber danach war ich sehr, sehr stolz!“ Krokodile werden als spirituelle Schöpfungswesen verehrt. Sie symbolisieren Kraft und Männlichkeit. Jeder Junge in Palimbei wird durch diesen Körperschmuck zum Mann. Die Krokodilhaut dient als Zeichen für das, was in Papua-Neuguinea über allem steht: die Zugehörigkeit zu einem Volksstamm.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false