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So weit, so ruhig. Der 30 Kilometer lange Wabatongushi-See liegt mitten im 7000 Quadratkilometer großen Naturschutzgebiet. Nur eine Straße führt in den einsamen Angelurlaub.

© Benedikt Voigt

Angelurlaub in Kanada: Da beißt immer einer an

Angler werden glücklich im Norden Ontarios. So viele Fische. Doch der Wabatongushi-See ist der Höhepunkt im Angelurlaub – wenn er Stille aushält.

Bei wem werden wohl gleich beim Angelurlaub auf dem Wabatongushi-See in der kanadischen Provinz Ontario die Fische anbeißen? Beim Angelprofi, der auch in Fernsehbeiträgen über Sportangeln auftritt; beim Gelegenheitsangler, der nur im Urlaub zur Rute greift; oder beim Anfänger, dem der Experte erst erklären musste, wie eine Angel zu bedienen ist? Womöglich ahnt man die Antwort schon.

Ein Weißkopfadler am entfernten Seeufer scheint sich ebenfalls für das Ergebnis der Angelcrew zu interessieren. Nach wenigen Sekunden wackelt der erste Schwimmer, der Anfänger staunt und blickt ungläubig aufs Wasser. War das tatsächlich sein Schwimmer? Zögerlich beginnt er an seiner Angel zu kurbeln – doch schon lässt der Widerstand nach. Unsicher blickt er den Angelexperten an: War das ...? Der Kanadier nickt.

Lebenslanger Angelurlaub gegen Eishockeykarriere

Der 23 Jahre alte Brad hat eine Karriere als Eishockeyprofi in Europa gegen die Einsamkeit des „Chapleau Crown Game Preserve“ in Nord-Ontario getauscht. Hier in einem der größten Wildreservate der Welt erleichtert der zurückhaltende Kanadier den Touristen von „Erringtons Wilderness Lodge“ den Urlaub. Er entfacht Kaminfeuer in den Lodges, fährt die Kunden mit dem Boot über den See, oder bringt Anfängern das Angeln bei.

„Du musst kräftig ziehen, das setzt den Haken im Mund des Fisches“, erklärt Brad. Der Anfänger kann gerade noch ja sagen, da wackelt sein Schwimmer wieder. Der morgendliche Nieselregen scheint die Fische zum Beißen anzuregen. Nun zieht er schon etwas kräftiger an seiner Angel, kurbelt – vorbei. „Fest reißen“, ermahnt ihn nun auch der Gelegenheitsangler und zeigt auf den nächsten wackelnden Schwimmer. Beim Anfänger, natürlich. Diesmal reißt er fester, kurbelt – und staunt, als sich tatsächlich ein zappelnder Fisch der Oberfläche nähert. Schwungvoll hievt er ihn ins Boot.

Drei Bisse und ein 40 Zentimeter großer Glasaugenbarsch in nur drei Minuten: Willkommen in Kanadas Anglerparadies.

Seit 1925 darf man in dem Naturschutzgebiet keine Pelztiere fangen

Die meisten Touristen kommen zum Wabatongushi-See, um Barsche, Zander oder Hechte zu fangen. Der See allein ist so groß wie die Berliner Bezirke Friedrichshain-Kreuzberg und Charlottenburg-Wilmersdorf zusammen. Doch das 7000 Quadratkilometer große Naturschutzgebiet „Chapleau Crown Game Preserve" im Norden Ontarios hat auch für Naturliebhaber einiges zu bieten. Dank besonderer Schutzmaßnahmen.

Schon seit 1925 dürfen in dem Naturschutzgebiet keine Pelztiere gefangen werden. Und für Angler gilt: Sie dürfen nur vier Fische pro Tag und Person zum Verzehr heimnehmen, alle überzähligen müssen zurück ins Wasser geworfen werden. Weshalb sich den Touristen in Nordontario eine spektakuläre Tier- und Pflanzenwelt eröffnet. Weißkopfadler sitzen auf den Baumwipfeln, mit etwas Glück lassen sich Biber, Otter, Elche oder sogar Schwarzbären blicken. In erster Linie aber schweigt der See und der Reisende erfährt Einsamkeit, Entspannung und Entschleunigung.

Das beginnt schon bei der Anreise. Wenn zum Beispiel drei Autostunden nach Sault St. Marie (gesprochen Suu Sejnt Märi, nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen US-amerikanischen Ort gegenüber der kanadischen Grenze) ein brennender Truck auf dem Highway Nummer 17, dem einzigen in Richtung Norden, eine stundenlange Wartezeit verursacht. Und die Reisepläne gefährdet. Weil der Anschlusszug der Algoma Central Railways in Hawk Junction verpasst werden könnte – und der nächste Zug erst in zwei Tagen fährt! Informationen dazu können gar nicht eingeholt werden, weil das Handy schon seit 50 Kilometern keinen Empfang mehr hat. Es bleibt nur: Warten und sich mit anderen Fahrern im Stau anfreunden. Bei dieser Gelegenheit erweisen sich dann auch alle Sorgen als überflüssig, weil die Belegschaft des Anschlusszuges ebenfalls aus Sault St. Marie anreist. Und im selben Stau festsitzt.

Ein Zuhause inmitten der Wildnis

Der Schwarzbär: Nicht ganz ungefährlich
Der Schwarzbär: Nicht ganz ungefährlich

© Benedikt Voigt

Die Reise zum Wabatongushi See allein ist schon ein Abenteuer. Es gibt nur eine Straße, die aber lediglich in die Nähe des Sees führt. Der Besucher kommt entweder mit dem Zug aus Sault St. Marie, bewundert den Agawa Canyon und klettert nach dem Umsteigen bei „Meile 206“ heraus, einer Haltestelle auf freier Strecke. Oder er trifft mit dem Wasserflugzeug ein.

Das ist sicherlich der spektakulärste Weg. Bei „Hawk Air“ sollten sich die Passagiere allerdings die Geschichte der 1956 gebauten Otter-Maschine besser erst nach der Landung erzählen lassen. Sie handelt von einer Notlandung und einem Absturz über Alaska sowie einer Übernachtung der gesamten Besatzung im Eis. Es lohnt sich trotzdem, die Flugangst zu ignorieren. Aus der Luft zeigt sich Ontarios Schönheit und Weite auf spektakuläre Weise. Von oben wird erst deutlich, dass die kanadische Provinz tatsächlich mehr als 250 000 Seen besitzt und damit ein Drittel des weltweiten Süßwasservorkommens.

Auf dem Wabatongushi-See legt das Wasserflugzeug am Pier vor „Erringtons Wilderness Island Resort“ an. Es ist eine von nur zwei Übernachtungsmöglichkeiten an dem riesigen See. Trotz der einsamen Lage bietet der Besitzer Al Errington seinen Gästen ein rustikales, aber anspruchsvolles Zuhause inmitten der Wildnis. In den einfachen Holzhütten mit Propangaslampen und Kaminen wärmen sich die Gäste auf oder genießen auf dem dazugehörigen Bootssteg den spektakulären Sonnenuntergang. Wer es etwas luxuriöser mag, ist in den Suiten gut aufgehoben.

Aufgrund der abgeschiedenen Lage vom Rest der Welt müssen die Gäste zwar auf Handyempfang verzichten, nicht aber aufs Internet. Und auch nicht auf gutes Essen, denn in der Logde werden abends überraschend köstliche Mahlzeiten serviert. Anschließend kann dann am Kamin Anglerlatein gesprochen werden.

Tagsüber werden die gefangenen Fische beim Mittagessen am Ufer auf einer der zahlreichen Inseln im See verspeist. Wobei ein gewisser Hang des Nordontariers zum Frittieren in diesen Momenten auffällt. Die Gäste sollten sich beim Mittagessen allerdings nicht auf so etwas wie Anfängerglück verlassen, denn so etwas ist vergänglich. So ist es auch jenem Neufischer auf dem Wabatongushi ergangen, bei dem drei Glasaugenbarsche in drei Minuten anbissen. Und dann in den nächsten drei Tagen nur noch einer. Da trifft es sich gut, auf die Unterstützung der Helfer und Ureinwohner bauen zu können.

„Das ist kein Zoo hier“

Zum Beispiel auf den 81 Jahre alten ehemaligen Indianerhäuptling Ivan, der neben Angeln auch gern mal die Geschichte vom Schwarzbären erzählt, der versehentlich aus einer Falle befreit wurde. „Da war was los im Lager“, sagt Ivan und lacht verschmitzt. Der Ojibway-Indianer stammt von der Manitoulin-Insel, der weltweit größten Binnenseeinsel im Huronsee, und arbeitet ebenfalls als Helfer bei Al Errington. Dort ist der imposante Ureinwohner Kanadas eine Touristenattraktion, wenn er seine Geschichten erzählt oder den Lockruf der Elche nachahmt. Am liebsten aber schweigt der Indianerhäuptling.

Um die Schwarzbären von der Lodge entfernt zu halten, werden Speiseabfälle auf eine Landzunge im See gebracht. Dies ist dann auch der Ort, an dem die Wildtiere mit größter Wahrscheinlichkeit beobachtet werden können. Bear Point hat ihn Al Errington getauft. Mit dem Boot nähert er sich, wenn sich mal wieder ein Bär über die Fischreste hermacht. Einige Gäste wagen es sogar, aus dem Boot auszusteigen, und rücken dem mit dem Essen beschäftigten Tier bis auf wenige Meter auf den Pelz. Was man offenbar alles so für ein Foto macht. Zuvor hat sich Al Errington davon überzeugt, dass es ein wohlgenährter Bär ist. Trotzdem mahnt er : „Denkt daran, das ist kein Zoo hier.“

Die Besucher gewöhnen sich schnell an die Einsamkeit im Norden Ontarios. Weshalb es sich für die Rückreise durchaus empfiehlt, einen Zwischenstopp einzulegen und sich der Zivilisation nur langsam wieder anzunähern. Etwa von der Killarney Mountain Lodge aus das Nordufer der Georgian Bay zu erkunden oder sich im Hotel „The Rosseau“ in Muskoka verwöhnen zu lassen. In beiden Orten steigt die Anzahl der Autos, Menschen und Häuser so sanft an, dass man schonend vorbereitet wird auf den Lärm dieser Welt.

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