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Wächter runder Schätze. Die gefährliche Arbeit der Perlentaucher ist Vergangenheit. Heute holt man in Netzen herauf, was in Farmen gewachsen ist.

© Udo Bernhart/picture alliance

Emirate: Schimmer in der Schale

Im Emirat Ras Al Khaimah liegen Schätze im Meer. Perlenfarmen zeugen von alten Traditionen. Auch sonst sucht die Provinz ihre eigenen Wege.

Mohamed Al Suwaidi lehnt in einem knöchellangen weißen Gewand in den bunten Kissen eines mit Teppichen ausgelegten Bootes. In der Ferne fliegen Flamingos über einen menschenleeren Strand. Kamele spazieren am Ufer entlang, vor der Silhouette des dunkelbraunen Hajar-Gebirges. Mohamed schippert mit seinen Gästen hinaus zu den Lagunen, in denen Austernnetze im Wasser schaukeln. Sie gehören zu einer Perlenfarm. Es ist die einzige Perlenfarm im Mittleren Osten.

„Früher gab es im Emirat Ras Al Khaimah nur Wüste und Meer. Kein Öl, keine Landwirtschaft, einfach nichts“, erzählt Mohamed. „Perlentauchen war das einzige, was Männer tun konnten.“ Wenn der Sommer kam, stachen sie in See, 45 Männer an Bord auf engstem Raum. „Vier Monate und zehn Tage blieben sie von ihren Familien fort“, erinnert er sich. „Sie tauchten vom frühen Morgen bis Sonnenuntergang, ohne Ausrüstung hunderte Male am Tag. Es war eine sehr gefährliche Arbeit.“

Unversehens war es mit der uralten Tradition der Perlentaucher vorbei. Die Verbreitung der billigeren Zuchtperlen aus Japan seit den 1930er Jahren ließ den Markt für Naturperlen zusammenbrechen. Die Entdeckung des Öls in jener Zeit brachte andere Möglichkeiten des Geldverdienens. Erst drei Generationen später gelang es – in Zusammenarbeit mit Japanern – an die alte Tradition der Perlenfischerei wieder anzuknüpfen. „Wir haben die Perlenzucht 2004 zu neuem Leben erweckt“, sagt Mohamed.

Große Freude, als die erste Perle zum Vorschein kommt

Per Hand werden lebende Austern Stück für Stück mit einem winzigen Fremdkörper präpariert, bevor sie ins Meer gesetzt werden – eine komplizierte Operation, bei der Besucher zuschauen können. Nach einem Monat kommen die Austern in neue Netze, in denen sie ein Jahr bleiben. „Immer im Januar holen wir 40 000 Austern heraus und öffnen sie“, erklärt der japanische Direktor Daiji Imura. In 80 Prozent der Muscheln sind Perlen, zehn Prozent davon in höchster, 40 Prozent in mittlerer Qualität, der Rest wird für medizinische oder kosmetische Zwecke benutzt.

Expertenblick und ruhige Hände sind beim „Impfen“ einer Auster nötig, damit…
Expertenblick und ruhige Hände sind beim „Impfen“ einer Auster nötig, damit…

© Udo Bernhart/picture alliance

Nun dürfen die Gäste auf dem Boot ihr Glück versuchen, während Kardamomkaffee und Datteln gereicht werden. Mohamed hat ein paar Muscheln aus den Netzen geholt, und jeder darf sich eine aussuchen. „Es sind die gleichen Austern, nach denen die Einheimischen schon vor 7000 Jahren getaucht haben“, sagt er und öffnet sie nacheinander. Große Freude, als die erste Perle zum Vorschein kommt. Nur ein Gast hat Pech, erhält aber eine zweite Chance. Und alle dürfen ihre Schätze aus dem Arabischen Meer, Perlen mit sieben bis acht Millimetern Durchmesser, behalten.

Die Perlenfarm ist nicht die einzige besondere Attraktion im Emirat an der Nordspitze der arabischen Halbinsel. Ras Al Khaimah ist anders als Dubai und Abu Dhabi. Nur zwei Hochhaustürme stehen hier bisher. Aber es gibt die längsten und schönsten Strände der sieben Vereinigten Arabischen Emirate. Was man sich an Aktivitäten nur wünschen kann, wird angeboten: Tauchen, Wasserski, Segeln oder Gleitschirmfliegen. Wer sich einen 20-Minuten-Trip mit einem Wasserflugzeug leistet, sieht von oben viel Grün zwischen den Lagunen, üppige Palmenhaine, Mangrovenwälder, Gemüsegärten und hübsch angelegte Apartments mit Parks. Das Mehr an Grün verdankt Ras Al Khaimah auch dem bis zu 2000 Meter hohen Hajar-Gebirge, das sich wie eine Mauer bis weit in den Oman hineinzieht.

Auf knapp 600 Metern Höhe ist das Panorama überwältigend

Unbeschwert wandern können Touristen noch nicht in den Bergen. Die Pfade sind unbefestigt, voll mit rutschigem Geröll, oft abschüssig. Keine einzige Herberge findet sich, es gibt keine Wegweiser, schutzlos ist man der extremen Hitze ausgeliefert. Aber eine Safari mit einem Fahrer, der sich in den Bergen auskennt, das kann jeder wagen. Ahmed Gkhan, in Ras Al Khaimah aufgewachsen, muss erst die Kette lösen, die den Weg aufwärts versperrt. Ein paar Meter oberhalb steht ein Mann in weißer traditioneller Dishdasha.

… letztendlich auch tatsächlich die gewünschte Perle wächst.
… letztendlich auch tatsächlich die gewünschte Perle wächst.

© Doormann

„Das ist der Eigentümer des Berges“, sagt Ahmed, „ich kenne ihn. Der wohnt dort oben.“ Er kurbelt das Fenster herunter, ein Handzeichen, und los geht es mit dem Allradfahrzeug, so steil hinauf, dass einem schwindlig wird. Inmitten der zerklüfteten Gebirgsflanken ist die Piste kaum erkennbar, manchmal verschwindet sie ganz zwischen ein paar trockenen Schirmakazien, die sich vereinzelt ins karge Gestein krallen. Auf knapp 600 Metern Höhe hält Ahmed auf einem schmalen Plateau. Fotostopp. Das Panorama ist überwältigend: Ockerfarben leuchten die schroff aufragenden Jebel-Jais-Berge im späten Nachmittagslicht. Schnell weiter, bevor die Sonne untergeht, Ahmed will uns unbedingt noch das Dorf zeigen.

Die Ansiedlung besteht aus quaderförmigen Häusern, die aus grobem Kalkstein gemauert sind. Alle haben ein Flachdach. Manche stehen dicht beieinander in einer Talmulde, andere auf der Kuppe des ausgedehnten Hügels. „Sie sind 150 bis 200 Jahre alt“, sagt Ahmed. „Früher lebten 50 bis 60 Menschen in diesem Dorf, das wir Salhir nennen.“ Es gab Wasser in der Nähe, eine Feuerstelle und ein Backofen sind noch zu erkennen. Dass die Häuser noch stehen und durch verschlossene Türen gut gesichert sind, ist Archäologen zu verdanken. „Die Bewohner hatten keine Fenster, nur Türöffnungen, die sie mit Kleidern verhängten, damit der Wind zur Kühlung hereinwehte.“ Doch im Winter konnte es kalt werden, manchmal schneit es in den Jais-Bergen sogar.

„Wir wollen kein zweites Abu Dhabi werden“

Ein Hauch von Disney umweht auch Ras al Khaimah bereits.
Ein Hauch von Disney umweht auch Ras al Khaimah bereits.

© Udo Bernhart/ picture alliance

Für Ahmed ist das bereits ferne Vergangenheit. Der Mittdreißiger, der westliche Kleidung trägt, ist wie seine fünf Brüder und drei Schwestern in die kostenlosen Schulen des Emirats gegangen. Sein Vater ist Händler und betreibt in der Stadt einen Gemüseladen. Doch seine Mutter streift noch immer die Abaya über, den bodenlangen schwarzen Umhang, wenn sie aus dem Haus geht. Ahmed rühmt „His Highness“, Scheich Saqr bin Mohammed Al Qasimi, der jahrzehntelang bis zu seinem Tod 2010 viel für die Modernisierung von Ras Al Khaimah getan habe. „Schauen Sie da unten das neue Al Hamra an“, sagt er. „Die schönen Villen, Hotels, Plätze, den Golfklub und Jachthafen, wir nennen es unsere neue Hauptstadt.“ Hat Ahmed eine Familie? Nein, er habe noch keine Frau gefunden. „Der Berg ist meine Freundin“, sagt er und lacht.

Als das Licht schon fast verschwunden ist, stoppt Ahmed an gewaltig aufgetürmten Felsbrocken, von deren Spitze man in eine 200 Meter tiefe Schlucht blickt. Da steht er ganz oben, in seinem rosa getönten langärmeligen Hemd und schwarzer Hose, ohne Kopfbedeckung. „Unser Grand Canyon“, ruft er herunter.

Auf der Fahrt wird es urplötzlich stockdunkel, nur die Scheinwerfer huschen über die Piste. Tief unten sieht man die Lichter der Stadt. Ahmed ist stolz darauf, dass er im Gebirge jede Kurve kennt und weiß, wo gefährliche Abbrüche lauern. Erleichterung, als er vor der Kette am Fuße des Berges hält. Ahmed steigt aus, öffnet sie, fährt hindurch und verschließt sie wieder. Den Schlüssel versteckt er in einem Baumloch.

Die Archäologen, die sich um das verfallene Dorf kümmern, sind im Nationalmuseum von Ras Al Khaimah beschäftigt. Das sieht keineswegs so aus, wie man sich ein Nationalmuseum in einem Emirat vorstellt. Um einen stillen Innenhof mit Schatten spendenden Bäumen in der Mitte gruppieren sich zweigeschossige Gebäude in traditioneller Architektur. Schmuckstück ist ein originaler Windturm, der älteste noch funktionierende der Emirate, behutsam restauriert. Indem der kühle Seewind durch Öffnungen in den Innenraum geleitet wurde, diente er als eine Art Klimaanlage. „Ich bin gerade erst aus den Bergen zurückgekommen“, sagt der Archäologe Ahmad Hilal. „Wir vermessen in 900 Metern Höhe ein Gebiet von vier Quadratkilometern, um es zu erforschen.“

Das Fischerdorf Jazira Al Hamra ist heute nur noch eine staubige Geisterstadt

Ras Al Khaimah mit all seinen unterschiedlichen Landschaften und seiner 7000-jährigen Geschichte sei ein besonders ergiebiger Ort für die Archäologie. „Hier konnten die Menschen leben, weil es Wasser gab“, sagt Ahmad Hilal. Neben den archäologischen Sammlungen faszinieren die Exponate zur Alltagskultur der Beduinen und Perlenfischer. Der dünne Stoffanzug und der Muschelkorb der Taucher zum Beispiel, die Nasenklemme, die Gewichte für die Füße und Lederfinger als Schutz vor scharfkantigen Austern.

Einige der ältesten Fundstücke stammen aus dem verwaisten Fischerdorf Jazira Al Hamra, dem einstigen Wohnort der Perlenfischer. Das Dorf aus dem 14. Jahrhundert lag ursprünglich an einer Lagune auf einer Landzunge, die bei Flut zur Insel wurde. Bis die Regierung die Lagune zuschütten ließ und darauf ein neues Dorf baute. Das war vor 40 Jahren, nach dem Niedergang der Perlenfischerei, als die meisten Bewohner ihr Heimatdorf verließen. Zurück blieb eine staubige Geisterstadt, durch die der Besucher staunend spaziert.

Sie sind noch da, die Häuser aus Korallenstein, deren mit verwitterten Muscheln bedeckte Wände man immer wieder berühren möchte. Komplette Straßenzeilen sind erkennbar, der große Marktplatz und die Läden der Händler, die durch den Verkauf der kostbaren Perlen reich wurden. Ihre zweistöckigen, mit arabischen Ornamenten verzierten Anwesen waren um einen Innenhof gebaut, mit einem eigenen Brunnen in der Mitte. Manche funktionieren bis heute. „Die Besitzer fuhren nur mit Cadillacs oder großen Landrovern durch die Hauptstraße“, sagt Guide Kareel, der sich in seiner blütenweißen Dishdasha bückt, um den Besuchern ein Schälchen Brunnenwasser zum Probieren zu reichen. Süßwasser, mit einem Hauch Salzgeschmack.

Noch geht es in Ras Al Khaimah beschaulich zu

Ziemlich groß war dieses Dorf, geschützt von einem jetzt halb zerfallenen Fort mit zwei Wachtürmen. Nahe am Meer steht auch noch die Moschee, die älteste von Ras Al Khaimah, mit einem kegelförmigen Minarett aus Korallenstein.

Vielleicht wird es nicht mehr lange dauern, bis einer der letzten authentischen Orte aus der Zeit vor dem Ölboom verschwunden sein wird. Das neue, moderne Al Hamra, von dem Ahmed in den Bergen so geschwärmt hat, bedrängt das alte Fischerdorf schon von allen Seiten. Und weitere touristische Großprojekte sind geplant, darunter drei Hotelpyramiden mit dem ersten All-inclusive-Resort der Vereinigten Arabischen Emirate. Die Gästezahlen steigen rapide, Ende 2013 zählte man bereits die erste Million.

Doch noch geht es in Ras Al Khaimah allen Zahlen zum Trotz eher beschaulich zu. Weit weg von der Stadt stehen die beiden schönsten Luxushotels: das erst im vergangenen Jahr eröffnete Waldorf Astoria an einem wundervollen Sandstrand, und in der Wüste das Banyan Tree Al Wadi mit großzügigen Villen in den Sanddünen, wo die Gäste reiten oder sich mit der Falkenjagd nach alter arabischer Tradition vertraut machen können. „Wir bieten den Touristen sportliche Aktivitäten, Abenteuer und Erholung“, sagt Nermin Abushnaf, Direktorin in der Tourismusabteilung der Regierung. „Wir wollen kein zweites Abu Dhabi werden, denn dann würden wir unsere Identität verlieren.“

Lottemi Doormann

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