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Und immer schön aufpassen. Wer im Nationalpark Tortuguero paddelt, darf nicht nur über die Natur staunen, sondern hat auch manch Hindernis zu bewältigen.

© Tobias Hauser, laif

Mittelamerika: Der Papagei in der Grenzstube

Eine Bootstour durch den Dschungel: Von Costa Rica nach Nicaragua – wie die Goldsucher vor 150 Jahren.

Fabio zieht die Augenbrauen hoch und holt tief Luft. „Ihr wollt nach Tortuguero? Im offenen Boot? 150 Kilometer durch Dschungel und Niemandsland? Und das jetzt in der Regenzeit. Loco! Total verrückt!“ Dann greift er zum Telefon. „Ihr habt Glück“, sagt er strahlend nach ein paar Minuten. „In einer Stunde geht ein Boot von Boca San Carlos über Trinidad nach Barra del Colorado. Dort übernachtet ihr und nehmt am nächsten Tag ein Wassertaxi nach Tortuguero. Also, packt eure Sachen und ab in den Jeep.“

Boca San Carlos ist ein 100-Seelen-Nest an der Mündung des Río San Carlos in den nicaraguanischen Grenzfluss Río San Juan. Fabio stoppt den Geländewagen am Steg des Dörfchens. Dort wartet bereits unser Boot. Es ist ein rund sieben Meter langer Eigenbau aus Glasfaser und Kunstharz. Zwischen den wackeligen Sitzgelegenheiten türmen sich Säcke voll Reis, Bohnen und Baumaterial. Am Heck klemmt ein museumsreifer Außenborder, vorne thront ein 150-Liter-Plastikfass, bis zum Rand mit Treibstoff gefüllt, und darauf sitzt – ich traue meinen Augen nicht – ein sonnengebräuntes Kerlchen namens Roberto, grinst und... raucht!!

Breit und träge windet sich der Río San Juan durch den Dschungel. Ein paar Krokodile dösen auf einer großen Sandbank und blicken uns träge an. Roberto runzelt die Stirn und steuert einen weiten Bogen um die Viecher. „Man weiß ja nie, wann die das letzte Mal ordentlich gefrühstückt haben“, sagt er grinsend. Das hatten sich die Reisenden vor 150 Jahren hier wohl auch gedacht. Damals zog der Goldrausch in Kalifornien Hunderttausende von der Ostküste der USA in die glückselig machenden Claims des Wilden Westens. Da der Panamakanal noch nicht einmal als Idee existierte, Postkutsche und Pferdesattel nur etwas für ganz harte Kerle waren, entschieden sich viele für den Schiffsweg von New York über den Río San Juan nach San Francisco.

Einer von ihnen war ein gewisser Samuel Langhorne Clemens. Der 31-Jährige reiste mit dem Schaufelraddampfer nach San Juan del Sur an der nicaraguanischen Pazifikküste, querte den Isthmus zum Nicaraguasee auf dem Landweg, schipperte in einem kleinen Flussdampfer den 180 Kilometer langen Río San Juan bis zu seiner Mündung in die Karibik und bestieg dort einen Schaufelradriesen nach New York. Wenig später veröffentlichte er seine Erlebnisse in amerikanischen Tageszeitungen. Unter dem Pseudonym Mark Twain erfuhr der interessierte Leser, dass der Fluss zwar traumhaft toll, die Schiffe aber horrible Seelenverkäufer waren.

Gegen 13 Uhr erreichen wir das Dörfchen Trinidad. Roberto legt an, will im mercado, dem örtlichen Supermarkt, seinen Reiseproviant aufstocken, da zerreißen die ersten Blitze den Himmel. Der Wettergott öffnet die Schleusen, wahre Sturzbäche kommen herunter. An eine Weiterfahrt ist nicht zu denken. Wir decken die Ladung mit Planen ab, flüchten in die erstbeste Wellblechhütte und verbringen die Nacht in der Hängematte.

Freiluftküche: Fisch vom Grill und gekochte Knollen der Yuca

Krokodil steuerbord!
Krokodil steuerbord!

© Penzl

Am nächsten Morgen dampft der Dschungel. Nach 20 Kilometern klart die Sicht auf. Ich setze mich nach vorne auf das Spritfass und beobachte Brüllaffen in den Bäumen und Graureiher am Ufer. Wie aus dem Nichts taucht ein Geschwader Pelikane auf. Majestätisch gleiten die Vögel über den Fluss, klappen die Flügel ein, stürzen wie Pfeile ins Wasser, tauchen unter, tauchen wieder auf und verschlingen ihr zappelndes Mahl. Roberto steuert das linke Ufer an – die Grenze zu Nicaragua.

Herr über die Dienststube mitten im Urwald ist Carlos, der gerade Siesta hält. Gemeinsam mit Petito – ein giftgrüner Papagei – sorgt er für den reibungslosen Ablauf der Formalitäten. Der Grenzer schaut flüchtig in unsere Pässe, dann plaudert er über Gott und die Welt, schimpft über die sinkenden Weltmarktpreise für Nicaraguas Tabak und Kaffee, wettert gegen die explodierenden Lebenshaltungskosten und nimmt schließlich seinen obersten Chef aufs Korn. „Daniel Ortega“, wettert er, „der große Comandante der sandinistischen Befreiungsfront. Jetzt ist er zum dritten Mal Staatspräsident. Statt Sozialismus aber regieren Korruption und Vetternwirtschaft.“

Während er von Hölzchen auf Stöckchen kommt, hüpft Petito auf meinen Schuh, hackt wie besessen darauf rum und klettert schließlich mein Hosenbein hinauf. „Der hat Hunger“, meint Roberto. Okay, denke ich mir, dem Vogel kann geholfen werden. Mit einem Griff in die Hosentasche zaubere ich eine Tüte frittierte Bananenchips hervor. Zack, sitzt der gefiederte Zeitgenosse auf meiner Hand und lässt sich die (unverzollten) Köstlichkeiten aus Costa Rica schmecken.

Kurz hinter der Grenzstation mündet der Río Colorado in den Río San Juan. Roberto nimmt Kurs auf den knapp hundert Meter breiten Fluss. Ein Bollwerk aus Ästen schaukelt uns entgegen. „Keine Angst“, beruhigt Roberto, „das ist die Nachhut des gestrigen Sturms. In einer halben Stunde sind wir in Barra del Colorado. Aber vorher besuchen wir noch Herman.“ Geschickt manövriert er alle schwimmenden Hindernisse aus und legt schließlich vor einer Hütte am Ufer an. Dort liegen bereits ein paar Fische auf dem Grill. Über offenem Feuer köcheln Yucaknollen, Kartoffeln und Bohnen. „Das ist mein Amigo Herman“, stellt Roberto den drahtigen Chef der Freiluftküche vor.

„Buen provecho“ (Guten Appetit), wünscht er schmunzelnd und drückt uns einen Teller in die Hand. Roberto verschwindet kurz in Richtung Boot und kommt mit ein paar Flaschen Bier zurück.

Die meisten Reiseführer beschreiben Barra del Colorado als Paradies für Hochseeangler. Das mag stimmen, doch sind die Übernachtungsmöglichkeiten beschränkt. Zwar hatte die Regierung der 500-Einwohner-Gemeinde erst kürzlich eine neue Landebahn spendiert – um, wie es heißt, den Tourismus anzukurbeln, doch außer zwei Lodges für vorwiegend nordamerikanische Sportfischer gibt es nur noch das El Murco. Ein spartanisches Lokal, in dem es außer frischem Fisch und Bohnen noch ein paar Billigzimmer für Rucksacktouristen gibt.

Wir quartieren uns in dem Etablissement ein. Am nächsten Morgen liefert Roberto seine Waren ab, sucht und findet ein paar Passagiere für die Rückfahrt nach Puerto Viejo. An der Tankstelle des Örtchens – nichts anderes als ein Bretterverschlag mit einem Dutzend Spritfässern aus Plastik darin – verabschiedet er sich von uns. „Macht’s gut und viel Spaß in Tortuguero.“

Costa Rica auf der ITB: Halle 3.1

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