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Föhr: Wundertüte in der Nordsee

Kilometerlanger Sandstrand, hübsche Friesendörfer, eine Traumstraße zum Sonnenuntergang und ein tolles Kunstmuseum: Warum Föhr ein Kleinod ist.

Rund wie sie ist, könnte die Insel Föhr zum Spielball der Nordsee werden. Ein 82 Quadratkilometer großer Flecken inmitten des unberechenbaren Meeres. Und so eilt man in Erwartung einer munteren Brandung zum Strand von Wyk. Oh, keine Welle, nirgends. Das Meer ist so glatt wie ein Binnensee. Nicht nur an diesem Wintertag, sondern oft, das ganze Jahr über. Föhr hat der Nordsee schlicht ein Schnippchen geschlagen und sich einfach hinter Amrum versteckt. Dazu schiebt Sylt auch noch den schützenden langen Arm davor.

Vielleicht liegt es also auch am ruhigen Meer, dass die Menschen hier so gelassen und bedächtig sind. „In einer Stadt fall’ ich schnell auf“, sagt der Wyker Autovermieter Karl-Werner Simonis. Warum? „Weil mich alle überholen, wenn ich zu Fuß unterwegs bin.“ Dabei gehe er ganz normal, im Inseltempo eben. Auf Föhr eilt man nicht. Man kommt in Muße vorwärts. „Mit dem Fahrrad ist man hier eigentlich zu schnell“, sinniert der Inselhistoriker Klaus Boje.

Und typisch nordfriesisch werden nicht viele Worte gemacht. Auf die Frage der Wurstverkäuferin im Wyker Supermarkt, ob es noch etwas sein soll, schüttelt ein Einheimischer den Kopf und sagt bestimmt, aber freundlich: „Langt.“

Geht es allerdings um ihre Insel, werden Föhringer, wie sich gebürtige Föhrer nennen, erstaunlich gesprächig. Dann preisen sie ihr Eiland in den höchsten Tönen. Bäcker Hansen druckt seine Gefühle sogar auf die Brötchentüten. In Druckbuchstaben steht darauf: „Das ist unser Bekenntnis oder vielmehr die täglich frisch gebackene Liebeserklärung an unsere wunderschöne Heimatinsel Föhr – an ihre Bewohner, an ihre Besucher, an ihre wundervolle Landschaft.“

Da gibt es Wyk, das schnuckelige Hauptstädtchen, 15 Kilometer weißen Sandstrand und hübsche reetgedeckte Häuser in den Dörfern. Hier will keiner weg. „Selbst die jungen Leute, die wegen Studium oder Beruf aufs Festland müssen, kommen so oft sie können wieder zu Besuch“, sagt Klaus Boje.

Und manche bringen dann ein schönes Geschenk mit. So wie der Unternehmer Frederik Paulsen, dessen Vorfahren von der Insel Föhr stammen. Seine Gemäldesammlung aus rund 500 Bildern, darunter auch Werke von Liebermann, Munch und Nolde, wird seit August 2009 im neuen Museum „Kunst der Westküste“ in Alkersum gezeigt. Ein mehrgliedriges Gebäudeensemble im schlichten nordischen Stil ist es, zu dem auch ein wieder aufgebauter friesischer Gasthof aus dem 19. Jahrhundert gehört. Dort ist jetzt das Museumscafé untergebracht. Was die einstige Wirtin Grethjen Hayen wohl davon halten würde? Auf Künstler war sie nämlich gar nicht gut zu sprechen. In großen Lettern prangt ihre Erkenntnis an der Wand: „Nee, wi hebb’n eenmol en Maler hat (…) nie wedder wüll’n wi en Maler hebb’n.“ Wer bei ihr logierte und sie so aufgebracht hat, wird nicht verraten. Vielleicht war es der frühe Halligenmaler Jacob Alberts oder Hans-Peter Feddersen, der hier Winterbilder schuf, oder vielleicht Otto Heinrich Engel, der seine Berliner Wohnung sommers verließ, um auf Föhr zu malen.

Alle Bilder der Sammlung sind zwischen 1830 und 1930 entstanden und dokumentieren die Lebenswelten der Nordseeküste. Natürlich stehen auch Insulaner vor der Kunst und überlegen, wo denn dieses Haus oder jene Düne gemalt sei und aus welcher Familie der so kernig gepinselte Fischer wohl stammt. Ein besserer Platz für die Kunst am Meer ist nicht vorstellbar. Eben steht man noch vor Noldes „Marschlandschaft“, wenig später kann man draußen durch sie hindurchstapfen.

Ob Nolde auch schon an der „Traumstraße“ war? Das ist die fünf Kilometer lange Strecke im Südwesten zwischen Goting und Utersum. „In den siebziger Jahren sollte diese Landstraße einen Namen bekommen. Aber weil die Leute sie immer nur Traumstraße genannt haben, hat sie eben ein offizielles Straßenschild erhalten“, erzählt der Heimatforscher. „Man hat von dort aus einen herrlichen Blick aufs Wattenmeer“, schwärmt er. Man sehe die rotgoldene Sonne über Amrum versinken. „Etwas Schöneres gibt es nicht“, sagt der Insulaner versonnen.

Elf Dörfer gibt es auf Föhr, und neun davon enden auf der Silbe „um“. Im Friesischen bedeutet diese Endung „Heim“, und das schufen sie sich hier besonders kuschelig. Nieblum bekommt bei Touristen immer die besten Noten, auch wenn die Oevenumer oder Oldsumer darüber spotten. Sollten sich die Menschen doch mal bei ihnen umsehen! „In Nieblum sitzen die Leute im Sommer vor den Cafés an der Straße und müssen aufpassen, dass ihnen die Schnürsenkel nicht abgefahren werden“, sagt Edelgard Berger. Sie führt einen urigen „Kramladen“ in Utersum und findet ihren Ort viel idyllischer. Auch Hans Rosenthal war vernarrt in Utersum, und weil er – gern öffentlich – von der Insel schwärmte, hat ihn Föhr zum einzigen Ehrenbürger gemacht. Ein Stein, gleich vor dem Deich, erinnert an den beliebten Entertainer.

Jetzt, im Spätwinter, ist auch Nieblum ein stilles Dorf. Man kann gemütlich im Café Kohstall sitzen und leckeren Kuchen essen. Natürlich selbst gebacken. Überhaupt: Wenn es einen Wettbewerb um die besten Kuchen einer Insel gäbe, Föhr läge ganz vorn. Und auch für die individuellen Ausstattungen könnte es Bestnoten hageln. Im Café „Alte Schule“ in Midlum kann man sich zum Beispiel im gemütlichen „Lehrerzimmer“ oder im „Konferenzraum“ niederlassen und sich Speck anfuttern. „Süße Lisa“, „Weiße Dame“ oder „Föhrer Knietschen“ haben es in sich. Noch eins fällt wohltuend auf in den Cafés und Restaurants auf Föhr: Man wird nirgends zugedudelt mit Musik oder gar nervtötender Radiowerbung.

Trotzdem hat sich einiges verändert im Alltag zwischen Geest und Marsch. Wie das Leben früher war, kann man in Oevenum besichtigen. Dort hat Heie Martens-Sönksen sein lehrreiches Museum „Vom Leben auf dem Lande“ eingerichtet. Eine Scheune voller Geschichte. Die meisten Gegenstände stammen von seinen Vorfahren, einiges von Nachbarn. „Bei uns wurde nie etwas weggeworfen“, erzählt der 72-Jährige. Besucher können staunen. Eine Kinderwiege von 1773 steht da, die noch immer gebraucht wird. „Wenn es Nachwuchs gibt in der Familie, wird sie ausgeliehen“, sagt der Friese.

An der Wand hängt ein Bild von Matz Peters, der im 17. Jahrhundert – wie so viele Föhringer – zum Walfang nach Grönland fuhr. 373 Tiere soll er angeblich erlegt haben. Deshalb, und weil er von seinen Fahrten, anders als viele, immer heil zurückkehrte, wurde er „der glückliche Matthias“ genannt. Dankbar spendete er der Kirche in Süderende zwei Kronleuchter – natürlich hängen sie heute noch da.

In der Scheune kann man auch sehen, wie das Reet aufs Dach kommt. Früher wurde es mit gedrehtem Dünengras festgebunden. „Wenn es dann mal Feuer fing, konnte man die brennenden Teile mithilfe einer Eisenstange mit Haken herunterreißen“, sagt Martens-Sönksen. Damit konnte das Dach oft gerettet werden. Heute würde das Reet verschraubt. „Wenn es dann brennt, ist nichts mehr zu machen“, sagt er. Meist sei dann das gesamte Haus verloren. Trotzdem wird inzwischen wieder häufig mit Reet gedeckt. Und viele der neuen Friesenhäuser sind von den alten nicht zu unterscheiden. „Ja, man hat wieder einen guten Stil“, sagt der Friese zufrieden.

Die neuen Grabsteine auf den Friedhöfen von Nieblum und Süderende erzählen keine Geschichten mehr. Früher konnte man ein Leben darauf ablesen. Auf einem Stein in Süderende etwa wird der Eheleute Johan und Osina Ketels gedacht. Womit der Mann sein Geld verdiente, erfährt man da und dass seine Frau mit ihm 46 Jahre lang glücklich verheiratet war. Sie starb 1900, vier Jahre vor ihrem Gatten.

Auf einer Wiese bei Süderende schlagen sich Wildgänse den Bauch voll. Die Landwirte werden wieder hadern, aber Dieter Risse wird sich freuen. Seit Jahren kämpft er mit 25 Mitstreitern in seinem Verein „Elmeere“ für die intakte Umwelt auf Föhr. 70 Hektar Ackerflächen hat der Verein in den vergangenen Jahren gekauft, um sie zu renaturieren. Feuchtgebiete sollen wieder entstehen, Brut- und Rastplätze für Vögel. Risse ist es auch zu verdanken, dass es wieder Störche gibt auf Föhr. Eine ganze Menge sogar. Zwei auf der Insel gestrandete, verletzte Tiere hatte Risse aufgepäppelt. Sie bekamen Junge, einige andere Adebare gesellten sich dazu. In diesem Winter hat Risse 17 Störche gezählt. Sie hatten offenbar keine Lust auf die weite Reise gen Süden. Sie sind einfach geblieben, wie in den Jahren zuvor.

Föhr ist wie eine große Wundertüte. Das spricht sich herum. „Sogar eingeschworene Sylt-Urlauber wechseln immer häufiger auf unsere Insel“, sagt der Inselforscher Boje. Immer mehr interessieren sich auch für Häuser und Inselgrundstücke, die Preise steigen. Ist Föhr auf dem Weg zu einer Promi-Insel? „Du lieber Himmel, nein“, sagt Boje, ein bisschen entsetzt. Warum? „Die fühlen sich hier sicher nicht wohl, denn bei uns wird niemand hofiert.“ Dabei kommen schon längst Menschen mit Rang und Namen aufs Eiland. Vor allem, weil man hier keine Notiz von ihnen nimmt. Und das, da sind sich die Föhringer mit den Föhrern vollkommen einig, soll auch so bleiben.

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