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Unterhalb von Melnik, dem Barockstädtchen, wachsen beste Reben.

© Hella Kaiser

Flusskreuzfahrt in Tschechien: Mit der "Florentina" ins Dorf von Antonín Dvorák

Mit der „Florentina“ auf der Moldau und der Elbe: Bei dieser Reise in Tschechien dürfen die Passagiere das Schiff auch mal begleiten – mit dem Rad.

Die „Florentina“ hat in Prag festgemacht – und wartet auf ihre Passagiere. Sie starten hier zu ihrer Rad- und Schiffsreise, erst die Moldau hinunter, dann die Elbe. Immer mehr Deutsche entscheiden sich für eine solche Kombinationskreuzfahrt. Nur an Deck herumsitzen und rechts und links in die Landschaft schauen, finden Flussreisende inzwischen zu langweilig. Schöner ist es, täglich etliche Kilometer wegzustrampeln. Am Tagesziel erreichen die Passagiere dann ihre schwimmende Herberge, die, als wäre es ein Hase-Igel-Spiel, immer schon fest vertäut wartet. Noch schnell duschen – und schon gibt es Abendessen. Praktischer geht es kaum.

Der erste Tag. Noch bleibt ein Nachmittag Zeit in Prag. Leider ist jetzt Mitte Juli. Die Stadt gleicht einem Rummelplatz, Gedrängel auf der Karlsbrücke, Geschubse am Wenzelsplatz. Touristen überall. Aber es gibt Auswege – und stille Routen. Am nächsten Tag können wir’s erleben – die Crew hat unsere Räder – für jeden Passagier ist eins an Bord – schon vor dem Schiff geparkt. Das andere Prag beginnt, sobald man, gleich hinter dem Liegeplatz der „Florentina“, die Jugendstilbrücke Cechuv überquert hat. Auf der anderen Seite muss das Rad hügelaufwärts geschoben werden, es ist einfach zu steil. Der große Biergarten „Letna“ hat jetzt am Morgen noch geschlossen. Aber hier, so ahnt man, sind die Prager unter sich. Wie interessant dieses Viertel abseits des Zentrums ist. Jedes Haus ist ein Unikat, mal mit überbordendem Historismus, dann mit Jugendstilelementen oder schlicht in neuer Sachlichkeit. Kleine Geschäfte für den täglichen Bedarf, nicht ein einziger Souvenirladen weit und breit.

Das Schöne an dieser Tour: Kein Guide gibt das Tempo vor. Jeder fährt so schnell oder langsam wie er mag und gestaltet seine Pausen nach Lust und Laune. Die detaillierte Tourenbeschreibung für jeden Tag macht ein Verirren fast unmöglich. Zusätzlich gibt es noch eine Routenkarte. Die Wegbeschreibung steckt man unter die Klarsichtfolie der Lenkertasche – so ist immer klar, wo es langgeht.

Die historischen Glaspaläste von Vystaviste

Wie viele Parks die „Goldene Stadt“ besitzt. Mitten in Grün gebettet liegt Vystaviste, ein Areal, das 1891 für die Prager Jubiläumsausstellung errichtet wurde. Hier sollte die herausragende Stellung tschechisch-böhmischer Industrie präsentiert werden. Die Gebäude orientierten sich am Konzept der Weltausstellungen jener Zeit mit ihren Glaspalästen. Fast alles ist erhalten. Heute wird Vystaviste für Kunstausstellungen oder Musikveranstaltungen genutzt.

Über eine geschwungene Brücke geht’s zur rechten Moldauseite hinüber und dann immer den Fluss entlang nach Troja. Der Name steht für eins der schönsten Barockschlösser Tschechiens. Reiche Deckengemälde soll es geben, wir können sie leider nicht sehen. Es ist Montag – und alle Museen sind geschlossen. Eine Schweizer Gruppe vom Schiff hat ihre Fahrräder vor dem Eingang des Zoos in der Nähe geparkt. Zeit genug für den Tierpark haben die Reisenden allemal. Es sind nur 30 Kilometer bis zum Etappenziel.

Weiterfahren, gemächlich an der Moldau entlang, das haben wir uns so gedacht. Pustekuchen. Jetzt führt der Weg rechts ins Landesinnere, hinauf zum Dorf Klecany. Im ersten Gang schafft man den Berg geradeso. Die Tourenbeschreibung enthält, gelb unterlegt, einen Extratipp: das Lokal „Farm Table“. Junge Leute kochen hier köstliche Suppen und kleine feine Gerichte. Dummerweise haben wir nach dem Frühstück – wie alle anderen auch – zu viele Sandwiches für unterwegs belegt. Ein Cappuccino darf es aber sein. Nancy sitzt schon auf der lauschigen Terrasse vor einer Apfelschorle. „Wo ist Ihr Mann John?“ – „Ach, der will doch immer so schnell fahren, ich wollte nicht hinterherhetzen.“ Das sympathische, sportliche Paar aus Colorado schaut sich jedes Jahr ein anderes Land in Europa an. „Wir sind gern aktiv unterwegs“, sagt Nancy und strahlt. „Europe is so nice and different“, finden die Amerikaner. Die übrigen Passagiere auf dieser Reise kommen aus der Schweiz und aus Deutschland.

John fährt zu schnell und verpasst alle Attraktionen

Industriedenkmal. Diese Eisenbrücke über die Elbe hat tausende Nieten.
Industriedenkmal. Diese Eisenbrücke über die Elbe hat tausende Nieten.

© Hella Kaiser

Das heutige Ziel ist Kralupy. Welch ein Kontrast zum malerischen Prag. Bis Mitte des 19. Jahrhunderts war Kralupy ein Dorf mit 20 Häusern. Nach Eisenbahnbau und Moldaubegradigung lag der Ort plötzlich verkehrsgünstig, Industriebetriebe siedelten sich an. Der Ort wuchs planlos und verlor seine Seele. Dabei versuchen die Verantwortlichen, Lebensqualität zu schaffen. Viele Bänke zum Ausruhen sind aufgestellt, jede mit einem Papierkorb versehen. Vom Liegeplatz der „Florentina“ aus können wir das Bemerkenswerteste von Kralupy bestaunen: die Masaryka-Brücke. Gebaut wurde sie von 1926 bis 1928. Schlicht und funktional ist sie, wie aus der Stilfibel der Bauhausarchitekten.

Von Kralupy geht es weiter in Richtung Melnik. Der Weg ist schmal am Hochufer der Moldau – und man muss sich konzentrieren, um nicht abzurutschen. Nicht einmal die älteren Herrschaften überholen hier. Warum sind die überhaupt immer so schnell? „E-Bikes“, sagt ein flotter Siebzigjähriger und lacht.

Irgendwann sind alle am Schloss Nelahozeves eingetroffen. Es gehört, wie etliche Paläste in Tschechien, der weitverzweigten Familie Lobkowicz. Das Schloss, im 16. Jahrhundert im Stil der Spätrenaissance erbaut, haben die Fürsten 1993 zurückbekommen. Die Nordfassade des Schlosses ist großflächig mit Sgraffito geschmückt. Innen wird die Privatsammlung der Lobkowicz’ präsentiert: Stradivaris, Reliquien, Klappaltäre und Hellebarden. Dazu wertvolle Gemälde von Lukas Cranach d.Ä., Peter Paul Rubens und Diego Velazquez. Was die Fürsten in ihrer Freizeit so machten, erkennt man in den Fluren. Dort sind jede Menge Jagdtrophäen aufgehängt. Die Bibliothek umfasst rund 65 000 Bücher, dazu rare Handschriften von Mozart und Beethoven.

Astronaut Armstrong hörte Dvoráks 9. Sinfonie im All

Aber im Grunde steht der Ort Nelahozeves für einen anderen genialen Komponisten: Antonín Dvorák. Sein Geburtshaus, heute ein kleines Museum, steht am Fuß des Schlosshügels. Mächtig stolz sind sie hier auf ihren berühmten Sohn und stellten ihm nicht nur ein Bronzedenkmal in den Garten. Schwarz auf weiß haben sie es sich von der NASA bestätigen lassen: Bei der Mondmission mit Apollo 11 hat Neil Armstrong Dvoráks 9. Sinfonie gehört. Das Dokument hängt unter Glas.

Wie viele Nieten wohl in der Eisenbrücke stecken, die wir gerade überquert haben? Und wie viele alte Baumriesen stehen im Landschaftspark, der das Rokokoschlösschen Veltrusy umgibt? An diesem dritten Reisetag reiht sich eine Attraktion an die nächste. Nancy staunt über die Seilfähre, die uns ans gegenüberliegende Moldauufer bringt. Ihr Mann ist längst drüben. „John, Du siehst nichts von all den Schönheiten“, wird sie ihn später schelten.

Erhaben auf einem Berg gelegen grüßt Schloss Melnik. Dort radeln wir auf dem Rückweg hinauf. Jetzt ist erstmal eine kurze Kreuzfahrt dran – bis Litomerice. Das frühere Leitmeritz ist ein Juwel mit Renaissance- und Barockbauten, umgeben von einer größtenteils erhaltenen gotischen Stadtbefestigung. Während die einen zum Stadtbummel gehen, radeln andere zu einem traurigen Ort. Die Gedenkstätte Theresienstadt ist nur rund fünf Kilometer von Litomerice entfernt. Dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz wurde das Ghetto 1943 als „Vorzeigelager“ präsentiert. Man hatte es zuvor extra „verschönert“. Mehr als 33 000 Menschen sind hier gestorben. Die Radausflügler kommen still von diesem Ort zurück.

Im Barockstädtchen Melnik wächst guter Wein

Laue Sommerluft an Deck. Kein Schiff zu sehen. Auf diesem Teil der Elbe gibt es kaum Transportverkehr und keine Ausflugsdampfer. „Zu viele Schleusen“, sagt Kapitän Ladislav Novotny. 14 sind es von Prag bis Usti, dem letzten Ort vor der deutschen Grenze, aber keine einzige von Usti bis Dresden. Wer ohne Pause radelt, ist daher schneller als das Schiff.

Wer nicht radeln mag, bleibt einfach an Bord. Wenn die Julisonne strahlt, ist das besonders verlockend.
Wer nicht radeln mag, bleibt einfach an Bord. Wenn die Julisonne strahlt, ist das besonders verlockend.

© Hella Kaiser

In Melnik verlieben wir uns. Welch ein hübsches Städtchen. Blassgelb, rosa, lindgrün oder pastellblau sind die Fassaden der kleinen barocken Häuser rund um den Markplatz. An den Hängen unterhalb des mächtigen Schlosses ließ Kaiser Karl IV. Reben aus Burgund anbauen. Auch heute noch ist Melnik eine Weinstadt. Die Einheimischen lassen sich den roten Rebsaft in mitgebrachte Behälter zapfen. Touristen kaufen ihn in Flaschen mit kunstvollen Etiketten drauf. Viel werden die Weinhändler in ihren einladenden Boutiquen aber nicht los. Nur wenige ausländische Besucher finden den Weg nach Melnik. Dabei könnten sie auf der Schlossterrasse sitzen und schwelgen. Welch ein malerisches Bild: Dort unten fließt die Moldau in die Elbe.

John und Nancy radeln die letzte Strecke von Mlcechvosty zurück nach Prag. 40 Kilometer. Vom Schiff aus können wir ihnen zuwinken. Jetzt soll mal Schluss sein mit der Strampelei. Im Kopf all die Bilder der Tour. Die Dichte der Hopfengärten, der Friedhof, auf dem die Grabsteine Namen, doch keine Jahreszahlen hatten, die aufgemalten Pegelstände der Elbe an Gebäuden. Viele Häuser hat das Hochwasser von 2002 ruiniert.

Die Sonne strahlt, der Himmel ist blau-weiß getupft. Wie wunderbar es ist, gemächlich übers Wasser zu gleiten. Irgendwann kommen die Türme von Prag in den Blick. Ein herrlicher Anblick.

Der letzte Abend an Bord: Kapitänsdinner. Fünf köstliche Gänge und große Tortenstücke werden zum Dessert serviert. Wir putzen alles ohne schlechtes Gewissen weg. Wer radelt, kann sich’s leisten.

Tipps für Tschechien

Der Veranstalter

Der österreichische Veranstalter Eurobike hat in verschiedenen Ländern, zum Beispiel in Polen, in den Niederlanden, der Slowakei und in Deutschland Schiff- und Radreisen im Programm.

Termine für Tschechien

Die beschriebene Tour auf Moldau und Elbe findet in diesem Jahr an fünf Terminen im Juli sowie noch einmal Anfang August statt.

Das Schiff

Die MS „Florentina“ kann 88 Passagiere mitnehmen. Die Crew setzt sich aus 15 Personen zusammen.

Preise

Die achttägige Reise (sieben Übernachtungen kostet in einer Kabine auf dem Hauptdeck ab 799 Euro pro Person, auf dem Oberdeck 999 Euro.

Im Preis eingeschlossen sind unter anderem tägliches Frühstücksbüfett, Lunchpaket für Fahrradtouren oder Mittagssnack, Kaffee und Kuchen am Nachmittag, Drei-Gang-Abendessen sowie Bordreiseleitung, Routenplaner etc.

Räder

Zur Verfügung an Bord stehen Sieben-Gang-Räder zum Preis von 70 Euro pro Woche. E-Bikes kosten 165 Euro. Es besteht auch die Möglichkeit, sein eigenes Rad mitzubringen.

Auskunft

Eurobike ist telefonisch zu erreichen unter 0043/62197444, Internet: eurobike.at

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