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Es werde Licht. Zur Adventszeit präsentiert sich der Domplatz von Erfurt besonders prächtig.

© H.P. Szyszka/dpa-tmb

Weihnachten in Erfurt: Bitte nicht die Kurve kratzen

Zwischen Augustinerkloster, Krämerbrücke und Domplatz: Durch Erfurt führt derzeit eine Weihnachtsfrau.

Es ist ein bisschen frostig in Erfurt an diesem Vormittag. Nicht klirrend kalt und auch noch ohne Schnee, aber schon so, dass man merkt, der Winter ist da. Vor dem Dom ist Weihnachtsmarkt, über der Krämerbrücke hängen Girlanden aus Tannengrün. Und was ist das da, direkt vor der Tourist-Info am Benediktsplatz? „Guck mal, der Weihnachtsmann!“, ruft ein Dreikäsehoch, der sich sicherheitshalber hinter dem Postkartenständer versteckt hält. Ganz richtig hingeschaut hat er offenbar nicht, denn der Weihnachtsmann, der hier gleich zu einer Führung durch Thüringens Landeshauptstadt starten will, ist eine Weihnachtsfrau und heißt Birgit Ahr.

Erfurt kennt sie aus dem Effeff, und Führungen hat sie schon viele gemacht. Wenn der erste Advent vorbei ist, schlüpft sie dabei regelmäßig in den passenden roten Mantel mit weißem Pelzsaum und trägt rote Handschuhe zu rotem Schal und roter Mütze. „Ne Weihnachtsfrau, na herrlich!“, ruft ein Passant, als er sie sieht. Birgit Ahr droht mit der Rute in seine Richtung. Das wirkt offenbar.

Die Teilnehmer ihrer vorweihnachtlichen Stadtführung stecken die Hände in die Taschen und folgen ihr unauffällig. Die zweistündige Tour beschränkt sich nicht auf den Weihnachtsmarkt, dafür hat Erfurt zu viel zu bieten. Birgit Ahr zeigt auch das Collegium Maius, ehemals Hauptgebäude der bereits im 14. Jahrhundert gegründeten Universität. Sie erzählt von Martin Luther, der die Stadt ein „Bier- und Hurenhaus“ nannte, in Erfurt Theologie studierte und zunächst Mönch im Augustinerkloster war – bevor er der große Reformator wurde. Sie lässt die jüdische Gemeinde nicht aus, die schon im Mittelalter eine Synagoge und eine Mikwe – ein rituelles Bad – in Erfurt hatte.

Und sie stoppt an vielen Stellen, an denen sich Geschichtliches und Anekdotisches verbinden lassen – wie an dem Rammstein, der Hausecken davor schützte, dass Fuhrwerke mit überhöhter Geschwindigkeit „die Kurve kratzten“ und dabei die Hauswand beschädigten. Als sie sich auf den Rammstein setzt, sind gleich mehrere spanische Touristen von dem Motiv so hingerissen, dass die Kameras dutzendfach klicken.

Die Waidhändler waren stinkreich

„Erfurt war mal die zehntgrößte Stadt im Heiligen Römischen Reich“, sagt Ahr, „da war Weimar noch ein Kuhdorf. Heute liegen wir in Deutschland auf Platz 37 und sind eine kleine Großstadt.“ Erfurt war nicht nur vergleichsweise groß, sondern auch wohlhabend – durch den Handel mit Waid, einer Pflanze, aus der sich die Farbe Waidblau herstellen lässt. In Thüringen war das schon im frühen Mittelalter verbreitet. Waid war beinahe unvorstellbar wertvoll: „Ein Gramm kostete fast so viel wie die gleiche Menge Gold“, erzählt Ahr.

Und die Waidhändler waren oft gemachte Leute, buchstäblich stinkreich. Gestunken hat allerdings nicht ihr Geld, sondern der Urin, mit dem der Waid befeuchtet wurde, damit er zu gären begann – was für die Farbgewinnung unverzichtbar ist. Den damaligen Reichtum der Waidhändler sieht man schon an ihren ansehnlichen Häusern. Am Kulturhof Zum güldenen Krönbacken ist das gut zu erkennen. „Im Innenhof wächst sogar noch Waid“, sagt Birgit Ahr und huscht durch den Toreingang in der Michaelisstraße. Am anderen Ende steht ein alter Waidspeicher.

Ho ho ho! Birgit Ahr führt im rotem Mantel durch die Stadt.
Ho ho ho! Birgit Ahr führt im rotem Mantel durch die Stadt.

© p-a/dpa

Nur ein paar Minuten später hält Ahr vor einem Haus, bei dem eine Bronzebüste aus der Wand zu wachsen scheint. „Das ist der Rechenmeister Adam Ries.“ In Erfurt gelebt hat er nicht. Aber seine Bücher zum Rechnen mit arabischen Ziffern sind hier im Haus zum Schwarzen Horn gedruckt worden. Sie haben ihn berühmt gemacht. Und so haben die Erfurter ihm dieses Denkmal gesetzt. Ein Fotomotiv ist der Bronzekopf allemal, aber zu Erfurts wirklichen Glanzpunkten gehört er nicht. Das gilt schon eher für die Krämerbrücke.

Auf ihr bummeln etliche Touristen in Steppjacken und mit Wollmützen auf dem Kopf, schlendern an den vielen Schaufenstern entlang, halten mal hier und mal da. „Die Brücke ist 120 Meter lang“, erzählt Birgit Ahr, „und wurde 1325 aus Stein gebaut, nachdem die ältere Holzbrücke abgebrannt war.“ Heute gehört sie zu den architektonischen Schmuckstücken der Stadt. Von den einst mehr als 60 Häuschen, die auf ihr standen, sind noch 32 erhalten. In viele davon sind inzwischen Cafés, Galerien oder Kunsthandwerksgeschäfte eingezogen.

70 Stufen führen zu der Bischofskirche

Weihnachtlich ist die Atmosphäre auch am Fischmarkt, den Ahr bei keiner Führung auslässt. Im Mittelalter war hier an den Ständen der Fischhändler immer einiges los. „Schließlich war fast jeder dritte Tag ein Fastentag“, erzählt die Stadtführerin – Fleisch war dann tabu, Fisch nicht. An den Wintertagen im Advent hat Fisch hier allerdings kaum eine Chance. Dafür läuft der Handel mit Eierpunsch umso besser. Denn der Fischmarkt im Zentrum Erfurts ist mit dem Rathaus und gleich mehreren Renaissancegebäuden wie dem Haus zum Roten Ochsen nicht nur architektonisch eindrucksvoll: Er ist auch Teil des Weihnachtsmarktes.

Noch deutlich mehr Stände als hier – rund 200 sind es insgesamt – gibt es am Domplatz. Über ihm erhebt sich seit 300 Jahren die Festung Petersberg, der „Balkon von Erfurt“. Auch der Dom St. Marien und daneben die Severikirche ragen hoch in den Himmel über der Landeshauptstadt – 70 Stufen führen auf der Domtreppe zu der Bischofskirche. Der Weihnachtsmarkt, in diesem Jahr bis zum 22. Dezember, erstreckt sich genau davor. Ein Riesenrad dreht sich fast ohne Pause. An einem Stand reibt sich ein Tannenbaumhändler die Hände. Es ist nicht so ganz klar, ob wegen der Kälte oder der guten Geschäfte.

Es gibt Buden mit Glaskugeln aus Lauscha im Thüringer Wald und natürlich Textilien mit Blaudruck, für den Thüringen einst so berühmt war. Feuerzangenbowle und Rumtopf werden flambiert serviert. Thüringer Bratwurst ist an vielen Stellen zu haben. Birgit Ahr winkt noch einmal zum Abschied und lässt die Erfurtbesucher nun allein. Auf dem Domplatz finden sie sich problemlos auch ohne sie zurecht.

Nach Erfurt kommt man mit der Bahn ab Berlin in zweieinhalb Stunden. Führungen mit Weihnachtsmann/-frau bis zum Jahresende täglich um 11 und 14 Uhr. Auskunft: Erfurt Tourismus, Telefonnummer: 03 61 / 664 00

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