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Alle in Deckung. Drei Wochen lang gab’s Action im sonst so beschaulichen Obertilliach. Was dabei herausgekommen ist, wird „Spectre“ zeigen.

© Sony Pictures Releasing

Österreich: Ballermann im Dorf

Sölden, Obertilliach und das Salzkammergut sind Kulisse für den neuen Bond-Film. Sie versprechen sich dort nun mehr Touristen.

London, Rom, Mexiko-City, Tanger – in „Spectre“ kann sich James Bond wieder in Metropolen dieser Welt herumtreiben. Vor allem in jenen, in denen es schön warm ist. In Spielfilmlänge könnte das vielleicht doch etwas langweilig sein.

„Kannst du mir was Heißes und im Gegensatz dazu was Kaltes finden?“, fragte Regisseur Sam Mendes den Produktionsdesigner. Bond könnte doch mal wieder in den Schnee. Seine letzten Abenteuer in Weiß bestand er 2002 in „Stirb an einem anderen Tag“. Lange her. Jetzt durfte er endlich zurück ins Winterland – vom 5. November an in den Kinos zu betrachten.

Sepp Lugger, Wirt vom Gasthof Unterwöger, ist skeptisch. „Vielleicht“, so vermutet er, „wird man Obertilliach im Film gar nicht erkennen.“ Das wäre ein Jammer. Der 700-Einwohner-Ort liegt so versteckt im Osttiroler Lesachtal, dass ihn selbst Österreicher kaum kennen.

Wie haben die Produzenten von „Spectre“ das Dorf zwischen den Lienzer Dolomiten und den Karnischen Alpen überhaupt entdeckt? „Über Google Maps“, mutmaßen die Obertilliacher. „Beim ersten Besuch konnten die Locationscouts nicht glauben, dass hier neben jedem Hotel noch ein Misthaufen dampft“, sagt Lugger. Die Produktionsfirma war begeistert.

Schmale Wege kreuzen krumme Gassen

Ist ja kein Wunder. Das Dorfzentrum ist „ortsbildgeschützt“, an 19 Gebäuden klebt die Denkmalplakette. Dunkelbraun verwitterte Holzhäuser stehen eng nebeneinander, ihre ausladenden Dächer scheinen sich zu berühren. An den Seiten vieler Häuser stapeln sich Holzscheite, neben Eingangstüren wachsen Birnbäume, auf herzig geschnitzten Balkons flattert Bettwäsche zum Trocknen.

Schmale Wege kreuzen krumme Gassen. An jeder Gabelung steht ein Materl mit Heiligenbildern. Es gibt zwei Supermärkte, ein Sportgeschäft und eine „Meisterbackstube“. Ein Zettel an einem Scheunentor offeriert „Frische Bauernbutter“, ein paar Kühe muhen im Stall.

Am Dorfrand gibt es eine verglaste Schirmbar. In jedem anderen Wintersportort wäre dies der Treffpunkt für ausgelassenen Après-Ski. Hier fließt der Alkohol in geringen Dosen, die Musik ist eher leise. Halligalli passt nicht ins Lesachtal.

Das Filmset war hermetisch abgeriegelt

Drei Januarwochen lang weilte die Bond-Crew in Obertilliach. „450 Leute waren da“, weiß Lugger. Ja, auch Daniel Craig wurde per Helikopter eingeflogen, „aber den hat ja ka Mensch kennt“. Und nicht verstanden, weshalb um ihn so viel Gewese gemacht werde. Auch Bond-Girl Léa Seydoux war da. Lugger wäre Monica Bellucci lieber gewesen, „ein echtes Vollblutweib“. Über den Dreh könne man nur spekulieren. „Da war alles hermetisch abgeriegelt.“

Jede Menge Security-Personal, erkennbar an den gelben Westen, sei vor Ort gewesen. Die waren hauptsächlich damit beschäftigt, Paparazzi zu verfolgen. „Immer wieder haben sich Neugierige in den bewaldeten Hängen versteckt.“ Aber was ist passiert? „Die haben alles so abgesperrt, dass niemand zugucken konnte“, sagt Lugger. Und führt dennoch zu jenem Weg, „den der Daniel, mit der Pistole in der Hand, runtergejagt ist“.

Und sonst? Eisernes Schweigen im Dorf. Jeder Bewohner musste unterschreiben, nichts zu erzählen. Bei Zuwiderhandlung drohe eine Strafe von bis zu 500.000 Euro.

Fast wäre ein Helikopterflügel auf den Kameramann gefallen

Darstellertrio im Schnee: Daniel Craig, Léa Seydoux und Dave Bautista am Set.
Darstellertrio im Schnee: Daniel Craig, Léa Seydoux und Dave Bautista am Set.

© Sony

Auch Liftwart Andreas Bucher (54) schüttelt den Kopf: „Ich habe nichts gesehen.“ Aber, und da glänzen seine Augen, „a bisserl Hollywood-Luft hast schon schnuppern dürfen“. Ist Daniel Craig hier Ski gefahren? Es ging wohl eher um Actionszenen mit Flugzeugen, vermutet Bucher. Immerhin: Jede Menge Bond-Fans waren da. Und die, alle schwarz angezogen, seien zu Dutzenden die Pisten „runtergesaust“.

Um runterzusausen, muss man erst mal hinauf zum 2300 Meter hohen Golzentipp, dem Hausberg von Obertilliach. Seit Dezember 2014 erst ersetzt eine neue Gondelbahn den museumsreifen Sessellift. Eine Million von der insgesamt 7,5 Millionen Euro teuren Investition haben die Einheimischen bezahlt. „Man muss was tun, wenn Touristen kommen sollen“, sagt Lugger.

Viele Urlauber finden nun Platz in den nagelneuen Zehnerkabinen. Oben angekommen ist das Skigebiet überschaubar. 13 Kilometer Pisten, von vier Schleppliften erschlossen. Zwei schöne lange Talabfahrten gibt es, nicht zu steil, aber dennoch anspruchsvoll.

Skilehrer Seppi hält sich in puncto Bond weniger bedeckt als die übrigen Dörfler. Er zeigt die Schneise im Wald, in der sich eine wilde Verfolgungsjagd abspielte. Mehrere Propellerflugzeuge seien im Einsatz gewesen. „Bei einem ist der Flügel abgebrochen und fast auf den Kameramann gefallen“, erzählt Seppi, „das war knapp.“

Die eigens aufgebaute Scheune, durch die das Flugzeug im Film rast, ist wieder verschwunden. Einige Dörfler hatten für den Verbleib und die Einrichtung eines Bond-Museums plädiert, doch die Produktionsfirma ließ das nicht zu.

"Ein Stammgast ist ein Juwel"

20 Range Rover hätten die Filmleute mitgebracht – „und davon zwölf zu Schrott gefahren“, erzählt Seppi. Auch sonst hat er einiges mitbekommen. Worauf man beim Filmen achten muss, zum Beispiel. „Die haben immer bei schlechtem Wetter gedreht und so Probleme mit Licht und Schatten vermieden.“

Ganz in Weiß. Obertilliach im Winter ist ein Traum.
Ganz in Weiß. Obertilliach im Winter ist ein Traum.

© Schneider/Osttirolwerbung

Allerdings hat Seppi auch Fehler entdeckt. „Da fahren Autos herum mit Innsbrucker Kennzeichen, aber mit Wiener Landeswappen drauf“, spöttelt der Einheimische. „Achten Sie drauf, wenn Sie später im Kino sitzen.“

Lugger hätte Daniel Craig gern ein Zimmer in seinem urgemütlichen Gasthof gegeben. Aber: Es war keines frei. „Bei uns war ja Hochsaison.“ Und einem Stammgast absagen? Kommt nicht infrage. „Ein Stammgast ist ein Juwel.“

So wohnte Craig im rund 40 Kilometer entfernten Lienz. Standesgemäß im Grandhotel. Den Bond-Mimen habe dort kaum jemand zu Gesicht bekommen. Er sei in einer Limousine mit abdunkelten Scheiben in der Tiefgarage verschwunden und von dort gleich in sein Zimmer hinaufgefahren, heißt es.

Über Geld will die Tourismusmanagerin nicht reden

Als Logiergast in Obertilliach wäre er morgens womöglich unausgeschlafen zum Dreh erschienen. Denn: Sie haben dort so einen Brauch. Um vier Uhr früh beginnt das „Rosenkranzläuten“. Jede Nacht, von Oktober bis Palmsonntag. Der Grund ist historisch und wird auf sorgfältig gemalten Wandbildern in der Pfarrkirche erklärt. „Am Pfingstsonntag, den 23. Mai 1915, erklärte das treulose Italien Österreich den Krieg. Dadurch kam das Dorf und die Kirche in die größte Gefahr, da es der neue Feind von der Porze aus beständig einsehen und beschießen konnte.“

Mit Gesang und Gebeten hielten die Obertilliacher dagegen und wurden „auffallend belohnt“. Das Dorf blieb verschont. Mit dem Rosenkranzläuten danken sie’s dem Herrgott – bis heute und womöglich in alle Ewigkeit.

Der Bond-Dreh hatte das Dorfleben durcheinandergebracht. Vor allem galt es, die Stammgäste bei Laune zu halten. Denn der Himbeergoll-Lift, ein Schlepper, der die Gäste zur Gondel bringt, war oft außer Betrieb. „Immerhin“, sagt Bürgermeister Matthias Scherer stolz, „wurden hier doppelt so viele Sequenzen wie in Sölden gedreht.“ Und Sölden, so munkelt man, habe ja auch viel dafür bezahlt, dass es im Filmabspann auftauchen wird.

„Über Geld reden wir nicht“, sagt Sarah Ennemoser von Sölden Tourismus und betont: „Wir haben auch sehr viel Leistung eingebracht.“ Mitten in der Hauptsaison habe man zum Beispiel tagelang die Gaislachkoglbahn schließen müssen. Gedreht wurde auf der Gletscherstraße, die bis 2800 Meter hinaufführt. Und natürlich im unlängst erbauten Ice Q Restaurant. Cooles Eiswürfel-Design auf 3048 Metern. Bond-Gerichte stehen (noch) nicht auf der Karte, dafür etwa „Gefüllte Brust und Keule vom Maishuhn, Kürbisrisotto, Saubohnen, Wintertrüffel“ für 28 Euro.

Im Film soll das gläserne Lokal eine Klinik sein und per Computeranimation „noch spektakulärer aussehen als in Wirklichkeit“. Sarah Ennemoser zählt stolz auf, wie viel Equipment am Berg war: „80 Lkws, 80 Mini-Vans, 50 Pick-ups, 45 Range Rovers, zwei Flugzeuge...“

Wo der Winter am schönsten war, dazu schweigt Agent 007

Das Ice Q-Restaurant auf 3000 Meter wird im Film zur Klinik.
Das Ice Q-Restaurant auf 3000 Meter wird im Film zur Klinik.

© Rudi Wyhlidal/promo

Daniel Craig wohnte im Berghotel, das mit folgenden Worten für sich wirbt: „Wenige Schritte ins pulsierende Tages- und Nachtleben von Sölden.“ Ausprobiert hat er es wohl nicht. Steht Bond für den Dreh im Schnee auf Skiern? „Nein“, weiß Sarah Ennemoser. Wahrscheinlich kann der Brite gar nicht Ski fahren? „Oh doch“, sagt sie, aber wo sie ihn auf den Brettern hat runterfahren sehen, will sie nicht verraten. In jedem Fall hatte er die Qual der Wahl: Sölden bietet 144 Pistenkilometer.

Im Ausseerland musste Daniel Craig nicht mal sportlich sein. Die Gegend im Salzkammergut ist wie geschaffen, um die Seele baumeln zu lassen. Allein der Altausseer See lässt jeden Romantiker jubeln. Dicht am Ufer führt ein knapp acht Kilometer langer Wanderweg um ihn herum. Eine Straße für Autos gibt es nicht. Der österreichische „Kurier“ meldete während der Dreharbeiten im vergangenen Winter, dass Craig direkt am Wasser im Hotel Seevilla logierte. Stimmt nicht. „Der wurde mit dem Helikopter eingeflogen“, sagt die Frau an der Rezeption.

Und dann saß der Bond-Mime für den Dreh vielleicht im Boot. „Das ist kein Boot, das ist eine Plätte“, korrigiert Herbert Stocker. Und gleich erklärt der Experte den Unterschied. Eine Plätte habe keinen Kiel und eine kantige Form, die es erlaube, überall anzulanden und „trockenen Fußes“ auszusteigen. 40 Plätten gebe es insgesamt und „die schlechteste“ hätte die Produktionsfirma gekauft und in die Londoner Studios transportiert.

Die Altausseer sind ein wenig traumatisiert von den Dreharbeiten

„Eventuell ist sie dort in die Luft geflogen“, sagt Stocker besorgt. Vielleicht ist sie auch nur untergegangen, vermutet eine Besucherin. „Schmarrn, eine Plätte ist unsinkbar“, sagt der Plättenführer streng. Die Altausseer sind noch immer ein wenig traumatisiert von den Dreharbeiten. Fünf, sechs Hubschrauber seien da herumgeflogen. „Ausgesehen hat's, als ob Krieg ausgebrochen ist.“

Plätten werden über den See gestakt, „wie in Venedig die Gondeln“, sagt Stocker. In der Sommersaison werden sie gern von Touristen gebucht. Die schippern darin dann gemütlich bis zum östlichen Zipfel. Dort befindet sich das Seewiese Jagdhaus, in dem zünftig aufgetischt wird.

Plättenführer Stocker. So ein uriges Boot gleitet auch im Film übern See.
Plättenführer Stocker. So ein uriges Boot gleitet auch im Film übern See.

© Hella Kaiser

Während Wirt Paul König Neugierigen in der Küche zeigt, wie die Spezialität „Eschbohnkoh“ – eine Art Bratkartoffeln – entsteht, entdecken wir ein angepinntes Din-A4-Blatt an der Wand. Das Rezept für eine „James-Bond-Torte“ steht drauf. Eine Zutat: Pfirsiche aus der Dose. Oh je. „Ach, das Rezept habe ich mal im Internet gefunden, gebacken habe ich die Torte noch nie.“ Wir hätten dem Agenten hier zu Apfelstrudel geraten. Schmeckt göttlich.

In der Gaststube hängen ein paar Fotos vom Dreh. Auch Daniel Craig ist drauf, leicht unscharf mit dunkelblauer Pudelmütze. „Bitte, bitte, nicht die Fotos ablichten, dann werden wir bestraft“, fleht die Kellnerin. Szenen der Handlung kennt sie nicht. „Der See war ja hermetisch abgeriegelt.“ Aber, sagt Tourismuschef Kammerer triumphierend, „der Name Altaussee wird dreimal im Film erwähnt, dreimal!“

Um Ole Einar Björndalen machen sie auch keinen Bohei

Da kann einem Obertilliach fast ein bisschen leidtun. „Aber unser Dorf ist unverkennbar“, sagt Bürgermeister Scherer trotzig. Vielleicht gebe es im Film sogar einen Kameraschwenk über die Kirche, hofft er. „Früher waren wir ein ‚Naturdorf‘, jetzt könnten wir uns ‚Bond-Dorf‘ nennen“, sagt Lugger versonnen.

Wahrscheinlich lassen sie’s bleiben. Um Ole Einar Björndalen machen sie ja auch keinen Bohei. Seit einigen Jahren hat der norwegische Biathlet ein Haus im Dorf, das er in der Wintersaison bewohnt. „Wir haben hier auf 1200 Metern exzellente Trainingsbedingungen. Das Biathlon-Stadion ist mit einer 60 Kilometer langen Loipe verbunden“, erzählt Scherer. Im Gasthof Andreas könnte Björndalen ein „James Bond Pfandl“ bestellen: „Rinder- und Schweinesteak in Pfefferrahmsauce und Zapfenkroketten.“

Der Winter ist lang in Obertilliach, das als „Schneeloch“ gilt. „Von November bis April ist der Niederschlag bei uns weiß“, erklärt Lugger. Und ausgerechnet Anfang Januar 2015, zu den Dreharbeiten, wollten kaum Flocken vom Himmel fallen. „Die mussten den Schnee für Obertilliach mitbringen“, sagt Sarah Ennemoser, ein bisschen schadenfroh. In Sölden gab’s diesbezüglich keine Probleme? „Natürlich nicht! Im Film werden Sie sehen, wie viel Schnee bei uns gelegen hat.“

Und wo war der österreichische Winter nun am schönsten? Agent 007 schweigt.

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